Der Standard

Ehebett für drei

Florian Illies’ „Liebe in Zeiten des Hasses“heftet sich an die Fersen berühmter Liebespaar­e der 1930er und erzählt anhand der Liebeswirr­en von Literaten, Künstlern, Filmstars und Denkern amüsant und kundig auch jene Epoche.

- Michael Wurmitzer

Florian Illies ist ein Meister bis zum Vibrieren verdichtet­er Episoden. So locker und zugleich bedeutungs­schwer tupfte er vor sieben Jahren in dem Buch 1913. Der Sommer des Jahrhunder­ts Begebenhei­ten und Persönlich­keiten aus Kunst, Politik und Industrie nebeneinan­der auf 300 Seiten, dass ein Panorama jenes Jahres vor der Katastroph­e entstand, wie man es sich fiebriger und flirrender nicht ausmalen kann. Die gleiche Vorgehensw­eise verfolgt der Autor in seinem neuen Wurf Liebe in Zeiten des Hasses. Wieder heftet Illies sich an die Fersen prominente­r Figuren, um in deren Biografie eine Epoche zu spiegeln. Diesmal die Jahre 1929 bis 1939, die Protagonis­ten sind Liebespaar­e.

Wir begegnen Marlene Dietrich, deren Kindermädc­hen im Ehebett neben ihrem Mann schläft, während sie darüber „erleichter­t“um die Häuser zieht. Henry Miller, dessen Frau in New York derweil ihre Geliebte in die gemeinsame Wohnung und das Ehebett einziehen hat lassen, hadert damit indes und flüchtet nach Paris. Alma Mahler hat erst vor kurzem den Namen „Werfel“angeheirat­et und denkt sich jetzt schon: „Soll er seinen Dreck allein machen.“Allein tut jedenfalls Muttersöhn­chen Erich Kästner wenig – er zieht in eine neue Wohnung, die ihm seine Freundin suchen und die Mutter mit Pölstern ausstatten darf.

Ja, große Geister werden in dieser schonungsl­os offengeleg­ten Privatheit zu oft mickrigen Menschen.

Und Mascha Kaléko? Berlin wird allmählich süchtig nach ihren Gedichten, noch kehrt sie aber nach langen Abenden in ihrem Lieblingsc­afé zum im Bett dösenden Mann heim und beruhigt ihn mit kleinen Gedichten: „Die anderen sind das weite Meer. Du aber bist der Hafen. So glaube mir: kannst ruhig schlafen, ich steure immer wieder her.“

Das Namedroppi­ng ließe sich noch lange fortsetzen: Pablo Picasso und seine Muse Marie-Thérèse Walter, sämtliche heimlich und offen homosexuel­len Mitglieder der Familie Mann, das Dreieck aus Lotte Lenya, Kurt Weill und ihrem Geliebten, Josephine Baker, die unglücklic­hen Fitzgerald­s ... Leni Riefenstah­l wird erst später für Hitler drehen, derweil hat sie Affären mit anderen mächtigen Männern: „Ihre Nymphomani­e hatte elitäre Züge.“

Der Band könnte genauso gut 1000 Seiten haben, hätte Illies sein Ensemble (neun zweispalti­g bedruckte Seiten im Register!) nicht doch irgendwann beschränkt. Er folgt der Chronologi­e, doch sonst keiner Dramaturgi­e. Illies beschreibt im Plauderton und kommentier­t mit Witz, was seine Figuren fühlen und denken und spickt das mit markigen Zitaten, bis es sich liest, als wäre er in Berlin und Paris, an der Côte d’Azur, in den Alpen und den USA dabei gewesen. 18 Seiten mit Quellenang­aben zu Briefen, Biografien und Tagebücher­n legen Zeugnis von seiner Recherche ab. Über Gustaf Gründgens Faible für teure Autos (rot!) und Kleider (Knize!) weiß Illies so viel, weil der Mime Rechnungen nicht immer bezahlte und sie oft auch ans Gericht gingen.

Sex und Kulturgesc­hichte

Man fühlt sich wie in einer Soap voller Sex und Tratsch und wird zugleich staunender Zeuge einer sehr kundigen Kulturgesc­hichte des auf den Untergang zutaumelnd­en Kontinents. Der Nationalso­zialismus grundiert das Geschehen ab der Hälfte, die Stimmung schlägt von ausgelasse­n zu angespannt zu verzweifel­t um. Die Akteure fliehen in Nachtzügen und auf Booten, auf Schiffen und zu Fuß ins Exil. Aber auch dort schlafen die Triebe nicht (Bert Brecht) und versucht man, der eigenen Frau aus dem Weg zu gehen (Hermann Hesse ließ sogar das gemeinsame Haus getrennt anlegen).

Die einzig funktionie­rende Beziehung der 400 Seiten hat wohl Vladimir Nabokov. Frauen stehen ihren Männern in Affären und offenen Ehen nicht nach, wiewohl nicht alle: Ernst Jüngers Frau muss den Gatten „Gebieter“nennen und tut das auch.

Diese Fülle! Wäre es ein Roman, man fände ihn übertriebe­n. Illies gelingt im besten Sinn eine Disneyland­isierung der Historie zum Erlebnis. Das Erfolgsrez­ept geht erneut auf. Florian Illies, „Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939“. € 24,70 / 432 S. Fischer: Frankfurt 2021

 ?? ?? Beruflich ein gutes Team, privat ging es bei Lotte Lenya und Kurt Weill aber turbulent zu: Ihr Geliebter verzockte sein Geld.
Beruflich ein gutes Team, privat ging es bei Lotte Lenya und Kurt Weill aber turbulent zu: Ihr Geliebter verzockte sein Geld.

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