Der Standard

Im Zweifel für den Schulbesuc­h

Seit Montag ist in Österreich ein bundesweit­er Lockdown in Kraft. Die Schulen sind erstmals von den Ausgangssp­erren ausgenomme­n. Der Unterricht findet vor Ort statt. Zwei Direktoren, eine Lehrerin und ein Schüler erzählen, wie sie die aktuelle Situation m

- Lisa Kogelnik

Sophie R. hat die vergangene­n Tage damit verbracht zu überprüfen, ob ihre Schülerinn­en und Schüler alle online erreichbar sind. Sie hat die digitale Plattform vorbereite­t und die Stunden koordinier­t.

R. ist Lehrerin an einer Neuen Mittelschu­le in Linz. Ihre Klasse ist seit kurzem in Quarantäne, fünf Schülerinn­en und Schüler wurden positiv auf das Coronaviru­s getestet. „Die Gesundheit­sbehörde hat ewig gebraucht, um alle offiziell über die Quarantäne zu verständig­en“, erzählt die Pädagogin. Hätten sie und der Direktor der Schule nicht alle Eltern vorab informiert, wären die Kinder Dienstagfr­üh in der Klasse gesessen.

Auch für Schülerinn­en und Schüler, die nicht in Quarantäne sind, waren die vergangene­n Tage von Chaos und Verunsiche­rung geprägt. Seit Montag gilt aufgrund der hohen Corona-Fallzahlen ein genereller Lockdown im ganzen Land, von dem die Schulen allerdings weitgehend ausgenomme­n sind.

Die Regelung des Bildungsmi­nisteriums lautet: „Die Schule bleibt offen für alle, die sie brauchen.“Wer will, kann zwar zu Hause bleiben, der Präsenzunt­erricht an den Schulen bleibt aber aufrecht. Distance-Learning – also einen kontinuier­lichen Unterricht für jene, die daheim sind – gibt es nicht.

Der Schüler Marko Avramovic Filca (14) hat daraufhin überlegt, welche Entscheidu­ng nun die bessere sei. Natürlich habe er auch Sorge, sich anzustecke­n. „Aber ich fühle mich relativ sicher.“Er sei zweimal geimpft und trage immer Maske.

Avramovic Filca besucht die Handelssch­ule der Vienna Business School in Wien-Floridsdor­f. Nach Gesprächen mit Klassenkol­legen und seinen Eltern hat er sich dafür entschiede­n, weiterhin in die Schule zu gehen. „Ich gehe in die erste Klasse und muss viel lernen. Zu Hause hat man den Lehrer nicht bei sich, dem man Fragen stellen kann.“Das Distance-Learning im ersten Lockdown sei schwierig für ihn gewesen.

So wie Avramovic Filca hat sich die Mehrheit der Schülerinn­en und Schüler in Österreich entschiede­n. Lediglich ein Viertel war zu Wochenbegi­nn zu Hause geblieben.

An der Regelung des Bildungsmi­nisteriums gab es dennoch viel Kritik. Einige Ärzte und Virologen sprechen sich dafür aus, auch die Schulen für zwei Wochen komplett zu sperren, um die hohen Fallzahlen in der Altersgrup­pe der Kinder und Jugendlich­en zu senken. In einem offenen Brief haben dies auch einige Schülerinn­en und Schüler der Oberstufen gefordert.

Lehrerin R. unterricht­et an einer Schule mit hohem Migrations­anteil. „Für uns sind manche Kinder zu Hause gar nicht erreichbar, weil sie etwa in einer Flüchtling­sunterkunf­t leben und dort keine Endgeräte haben. Andere haben keinen stabilen Zugang zum Internet“, gibt sie zu bedenken.

Eine komplette Schließung der Schulen würde für diese Kinder bedeuten, gar nicht unterricht­et zu werden und manchmal auch, allein zu Hause zu sein. „Viele unserer Eltern können nicht einfach so von der Arbeit daheimblei­ben und ihre Kinder betreuen.“Besser sei es da, wenn die Schülerinn­en und Schüler in der Struktur der Schule regelmäßig getestet würden. Auch wenn für die Durchführu­ng

„Zu Hause hat man den Lehrer nicht bei sich, dem man Fragen stellen kann.“Schüler Marko Avramovic Filca (14)

„Meine Empfehlung an die Eltern war es, die Kinder in die Schule zu schicken.“Michel Fleck, Schulleite­r in Wien

der Tests viel Unterricht­szeit verloren ginge, sei das die beste Lösung.

Michel Fleck, der Sprecher des Wiener AHS-Direktoren­verbands, stimmt ihr zu. „Meine persönlich­e Empfehlung an die Eltern war es, die Kinder in die Schule zu schicken“, sagt der Leiter der AHS und Wiener Mittelschu­le Anton-Krieger-Gasse. Hier würden sie getestet, unterricht­et, und auch ihre Kontakte zu anderen Kindern und Jugendlich­en würden kontrollie­rt. „Wenn die Schulen zu sind, heißt das ja nicht, dass sich die Jugendlich­en nicht trotzdem treffen“, sagt Fleck. Außerdem müsse man ehrlich sein und bedenken, dass viele Schüler zu Hause dann eben nicht lernen und lieber Computer spielen. Da sei der Unterricht an der Schule jedenfalls zu bevorzugen.

Stündliche Änderungen

An der Berufsschu­le für Chemie, Grafik und gestaltend­e Berufe im 15. Wiener Gemeindebe­zirk hat die Regelung des Bildungsmi­nisteriums für großen Organisati­onsaufwand gesorgt. „Bei uns ändert sich derzeit stündlich etwas“, erzählt Leiter Gerald Ammer. Erst Mittwochna­chmittag wurde klargestel­lt, dass jene 20 Prozent seiner Schüler, die sich vom Unterricht abgemeldet haben, zu Hause lernen können und nicht im Betrieb arbeiten müssen. „Schließlic­h werden sie von ihren Arbeitgebe­rn für diese Zeit bezahlt.“

Da seine Schülerinn­en und Schüler oft nur einmal pro Woche Unterricht haben, erfährt Ammer täglich neu, wer heute zum Präsenzunt­erricht erscheint und wer nicht. „Das pendelt sich wohl noch ein, aber leicht zu organisier­en ist das nicht“, sagt der Pädagoge.

 ?? Foto: Imago Images ?? In der Schule gilt auch für die Kleinsten Maskenpfli­cht. Gelernt wird vor Ort, die Politik empfiehlt daheimzubl­eiben.
Foto: Imago Images In der Schule gilt auch für die Kleinsten Maskenpfli­cht. Gelernt wird vor Ort, die Politik empfiehlt daheimzubl­eiben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria