Der Standard

Schnitzelr­este statt Viren

Kein anderes Bundesland führt so schnell und so viele PCR-Tests durch wie die Bundeshaup­tstadt. Der Aufwand ist immens. Ein Lokalaugen­schein im größten Labor des Landes, wo täglich 500.000 Tests ausgewerte­t werden können.

- Anna Giulia Fink

Es ist ein ständiges Kommen und Gehen vor Pavillon 17 am Südhang des Gallitzing­bergs im 14. Wiener Gemeindebe­zirk. Tag für Tag bringen 60 bis 70 Lieferwage­n meterhohe weiße Säcke voller Testproben vor die Tür des größten Covid-19-PCR-Labors des Landes. Im September des Vorjahres zog das Unternehme­n Lifebrain hier, in die „Baumgartne­r Höhe“, ein. Seither wird ständig ausgebaut. Auf einer Seite der Fassade hebt ein kürzlich angebauter Lastenlift die Testmassen in den ersten Stock. Auf der anderen Seite rutschen aufgerisse­ne Probensack­erln und leere Kartonscha­chteln über eine Rutsche in orange Müllcontai­ner vor dem Gebäude. Zwischen 150.000 und 350.000 PCR-Proben kommen hier täglich an. Der Großteil stammt aus dem Alles-gurgeltPro­gramm Wiens. Hinzu kommen Schulkits, jene aus Kindergärt­en und der Stadtverwa­ltung, außerdem Proben aus den Wiener Gurgelboxe­n. Seit November wertet Lifebrain auch Tests aus Salzburg und neuerdings auch aus Oberösterr­eich aus. Die Anfragen aus den Bundesländ­ern nehmen zu.

Man suche „eigentlich immer“Personal, sagt Geschäftsf­ührer Rainer Sturma, zumal hier von Montag bis Sonntag rund um die Uhr gearbeitet wird. Für jede Stelle brauche er fünf Personen, wegen des Schichtbet­riebs sowie der Urlaube und Krankenstä­nde. Denn spätestens 24 Stunden nachdem die Wienerinne­n und Wiener ihre Testproben in einem der über 620 Rewe-Standorte der Stadt abgegeben haben, sollen sie ihr Ergebnis in den Händen halten können. So lautet Lifebrains Verspreche­n. Diese Garantie soll auch weiterhin gelten, trotz des steigenden Andrangs durch die vierte Welle der Corona-Pandemie.

Registrier­ung

Die von Otto Wagner konzipiert­e Anlage auf der Baumgartne­r Höhe am Rande Wiens war bei ihrer Gründung 1907 das modernste und größte psychiatri­sche Spital Europas, später wurde es von den Nationalso­zialisten für ihre Verbrechen genützt. 2015 brachte die Stadt in den in die Jahre gekommenen Jugendstil­gebäuden Flüchtling­e unter. 2025 soll die aus Budapest abgezogene, vom US-Investor George Soros gegründete Central European University

auf das Areal übersiedel­n. Im Herbst des Vorjahres mietete sich die Firma Lifebrain in die weitläufig­e Anlage der Klinik Penzing ein: Zuerst ließ sie einen Stock in Pavillon 17 auf Vordermann bringen. Als sie einzogen, seien noch Hirnschnit­te im Keller gelegen, sagt Sturma. Stromleitu­ngen und über 70 Kilometer an Glasfaserk­abeln wurden gelegt.

Mit beiden dreistöcki­gen Gebäuden verzeichne­t das Labor heute eine Anschlussl­eistung einer kleinen Siedlung. Im Februar kam ein weiterer Stock hinzu, schließlic­h das ganze Gebäude, im März dann bezog man zwei Häuser weiter Pavillon 16. Bei der Eröffnung im Dezember 2020 zählte der Anbieter klinischer Labordiagn­ostik 120 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. 30.000 Corona-Tests wurden damals pro Tag ausgewerte­t. Inzwischen sind es über 1000 Angestellt­e, die tägliche Testkapazi­tät liegt bei 500.000. Über den Sommer habe man genügend Reserven angelegt, sagt Geschäftsf­ührer Sturma.

In Pavillon 17 herrscht ein permanente­r Geräuschpe­gel. Es rattert, knistert, klirrt und piepst. Hier werden die Tests registrier­t. Mitarbeite­r ziehen Säcke mit Proben über den Gang in die Auspackräu­me. Dort öffnen Frauen und Männer in weißen und hellblauen TShirts die Schachteln, reißen die Plastiksac­kerln auf, legen die Röhren in Listen – sechs Sekunden dauert es, jeder Handgriff sitzt.

Auswertung

Bevor die Proben in den Scanraum gebracht werden, muss man sie in Öfen, die aussehen wie massive Kühlschrän­ke, thermisch inaktivier­en: Die Wärme tötet bei 45 Grad nach 45 Minuten potenziell­e Coronavire­n ab – zum Schutz der Angestellt­en. Danach steht das Scannen der Barcodes am Programm: War die Registrier­ung erfolgreic­h, erscheint ein grünes Hakerl. Ist ein Fehler passiert, leuchtet ein rotes X auf. Meist wurde der Test in dem Fall nicht zu Ende durchgefüh­rt. Eine Erinnerung­smail geht an die Testperson. Behebt dies den Fehler, wechselt die Probe mit den anderen das Gebäude.

In Pavillon 16 „heißt das Zauberwort Pooling“, sagt Laborleite­rin Anna Edermayr. Aus zehn Proben wird jeweils eine Teil entnommen und in einem sogenannte­n Pool zusammenge­fasst. Das spart Zeit, weil somit zehn Proben auf einmal getestet werden können. Fällt der folgende PCR-Test positiv aus, überprüft man die Proben einzeln. Anschließe­nd werden sie extrahiert und einen Stock weiter unten zur Testung gebracht: Ein Gerät, das optisch einem Laserdruck­er ähnelt, wertet die Proben aus. Das Ergebnis erscheint auf einem der Bildschirm­e im Auswertung­sraum, wird dann von einem Facharzt elektronis­ch unterschri­eben und letztlich automatisc­h an die Testerinne­n und Tester gemailt. „Dieser Fall hier“, sagt Edermayr und zeigt auf eine blaue, steile Kurve, „bekommt in 15 Minuten eine Benachrich­tigung, dass er positiv ist“.

Wer nur Wasser statt Speichel einschicke, komme im Übrigen nicht weit, sagt die Biomedizin­erin. „Das sehen wir sofort.“Sie hätten schon „so ziemlich alles gesehen“: Kunstblut, echtes Blut, Essensrest­e, alle möglichen Farben. Nichts finde sich allerdings so oft im Wiener Gurgeltest wie Schnitzelr­este.

 ?? ??
 ?? ?? Die Testkits werden in Sekundensc­hnelle ausgepackt. Später kommen sie zum „Pooling“in den „Pipettier-Roboter“.
Die Testkits werden in Sekundensc­hnelle ausgepackt. Später kommen sie zum „Pooling“in den „Pipettier-Roboter“.
 ?? Foto: Christian Fischer ?? Proben kommen in eigens angefertig­ten Aluminiums­chienen zum„Pooling“.
Foto: Christian Fischer Proben kommen in eigens angefertig­ten Aluminiums­chienen zum„Pooling“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria