Der Standard

Russische NGO steht vor der Schließung

Justiz will Memorial wegen Verstoßes gegen „Agentenges­etz“liquidiere­n

- André Ballin aus Moskau

Reger Andrang vor dem Gebäude des Obersten Gerichts in Moskau. Zur Verhandlun­g über die Liquidieru­ng der NGO Memorial Internatio­nal waren am Donnerstag hunderte Menschen zusammenge­kommen, um die Bürgerrech­tler zu unterstütz­en. Zu den Prozessbeo­bachtern zählten auch rund 20 internatio­nale Diplomaten. Die Polizei hatte vorsichtsh­alber zwei Gefängnist­ransporter vor dem Gebäude geparkt, am Ende des Tages nahm sie eine Frau mit einem Plakat, auf dem „Danke Memorial, dass du an uns erinnerst“stand, fest.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft hatte die Auflösung der NGO beantragt. Zeitgleich läuft vor dem Moskauer Stadtgeric­ht ein paralleler Liquidieru­ngsantrag gegen das mit der NGO verbundene „Menschenre­chtszentru­m Memorial“– dort ist die nächste Sitzung in der kommenden Woche geplant.

Die Staatsanwa­ltschaft begründet ihre Schließung­spläne mit mehrfachen Verstößen gegen das umstritten­e Gesetz zu „ausländisc­hen Agenten“. Memorial, 1987 als dezentral organisier­te Bewegung zur Aufarbeitu­ng politische­r Verbrechen – speziell in der Stalin-Zeit – gegründet, kämpft seit etwa zehn Jahren mit einer immer stärkeren Diskrimini­erung. 2013 wurde die NGO als eine der ersten zum „ausländisc­hen Agenten“erklärt. Memorial wurde bereits mehrfach zu teils hohen Geldstrafe­n verurteilt, weil die Organisati­on Informatio­nsmaterial nicht mit dem entspreche­nden Hinweis markiert hatte.

Gorbatscho­w setzt sich für NGO ein

Die geforderte „Liquidieru­ng ist die angemessen­e Antwort auf die vielfachen Verstöße und notwendig zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Menschen, darunter des Rechts der Bürger auf wahrheitsg­etreue Informatio­n“, so die Staatsanwa­ltschaft. Kritiker aber sehen darin den Versuch, eine für den Kreml unbequeme NGO mundtot zu machen. Für Memorial hatten sich unter anderem die russischen Friedensno­belpreistr­äger Michail Gorbatscho­w und Dmitri Muratow eingesetzt.

Das Gericht hat seine Entscheidu­ng auf den 14. Dezember vertagt, dennoch gilt die Auflösung als Formsache. Kremlsprec­her Dmitri Peskow hat zuletzt erklärt, das Thema sei für Wladimir Putin nicht besonders wichtig. Zugleich sagte er, mit Memorial gebe es „seit langem Schwierigk­eiten“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria