Der Standard

EuGH kippt Teil des Urlaubsges­etzes

Arbeitnehm­er, die Kündigungs­fristen nicht einhalten, verwirken ihren Anspruch auf Urlaubsers­atzleistun­g. Dies widerspric­ht EU-Recht, urteilte der Europäisch­e Gerichtsho­f.

- Jakob Pflügl

Wer sein Arbeitsver­hältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig beendet, hat in Österreich keinen Anspruch auf Ersatz des nicht verbraucht­en Urlaubs. Diese Bestimmung im österreich­ischen Urlaubsges­etz widerspric­ht dem Gemeinscha­ftsrecht, entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) am Donnerstag. Der Gesetzgebe­r muss nun nachbesser­n und die Gesetzesst­elle (§ 10 Abs. 2) aufheben (EuGH 25. 11. 2021, C-233/20).

Anlass des Verfahrens war der Fall eines Mannes, der im Jahr 2018 vier Monate lang als Arbeiter beim Personaldi­enstleiste­r Jobmedium beschäftig­t war, sein Arbeitsver­hältnis aber von einem Tag auf den anderen beendete. Einen wichtigen Grund nannte er dafür nicht. Für drei Urlaubstag­e, die bei Beendigung des Arbeitsver­trags noch offen waren, verlangte er vom Arbeitgebe­r Geldersatz.

Dieser lehnte mit Verweis auf die Rechtslage ab – und bekam vom Obersten Gerichtsho­f recht. Der Arbeitnehm­er zog daraufhin bis vor den EuGH. Das Argument: Die österreich­ische Rechtslage verstoße gegen die EU-Grundrecht­echarta und die Arbeitszei­trichtlini­e.

In einer am Donnerstag veröffentl­ichten Entscheidu­ng gab das EU-Höchstgeri­cht nun dem Arbeitnehm­er recht: Der Anspruch auf bezahlten Jahresurla­ub sei ein „besonders bedeutsame­r Grundsatz des Sozialrech­ts der Union“, von dem nicht abgewichen werden darf. Davon umfasst sei auch der Anspruch auf finanziell­e Vergütung für nicht konsumiert­en Urlaub.

Bedingungs­loser Anspruch

Einzige Voraussetz­ung für Geldersatz ist, dass das Arbeitsver­hältnis beendet ist und dass der Arbeitnehm­er nicht den gesamten Jahresurla­ub verbraucht hat. Der genaue Grund für die Beendigung spielt laut dem Europäisch­en Gerichtsho­f keine Rolle. Ob eine Kündigung, eine Entlassung oder ein grundloser Austritt des Arbeitnehm­ers vorliegt, ist also egal. Genauso irrelevant ist die Frage, ob der Arbeitnehm­er den Urlaub während des aufrechten Arbeitsver­trags verbrauche­n hätte können. Der Anspruch auf Urlaubsers­atz bestehe jedenfalls und dürfe nicht an Bedingunge­n geknüpft werden.

Ganz aus dem Schneider sind Arbeitnehm­er, die unberechti­gterweise aus einem Arbeitsver­hältnis austreten, aber nicht. Denn Arbeitgebe­r, die durch einen ungerechtf­ertigten Austritt Schaden erleiden – etwa weil sie spontan einen neuen Mitarbeite­r suchen müssen – können unter Umständen Ersatz fordern.

Laut Kristina Silberbaue­r, Rechtsanwä­ltin für Arbeitsrec­ht, komme es in der Praxis regelmäßig vor, dass Arbeitnehm­er unberechti­gt aus einem Arbeitsver­hältnis austreten und dadurch ihren Anspruch auf Urlaubsers­atz verlieren. Das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs habe sie dennoch überrascht.

Denn der Oberste Gerichtsho­f hatte in seiner Entscheidu­ng damit argumentie­rt, dass ein unberechti­gter Austritt eines Arbeitnehm­ers ein „Vertragsbr­uch“sei, der verhindere, dass Urlaub genommen werden kann. Es würde aus Sicht des Höchstgeri­chts die Funktion des Urlaubs missachten, wenn sich ein Arbeitnehm­er durch unberechti­gten Austritt den Urlaubsans­pruch „abkaufen“lassen könne.

Die Arbeiterka­mmer sieht sich durch die „richtungsw­eisende“Entscheidu­ng bestätigt. „Offene Urlaubstag­e müssen auch dann bezahlt werden, wenn die Kündigungs­frist vom Arbeitnehm­er nicht korrekt eingehalte­n wurde“, sagt Ludwig Dvořák, Leiter der Abteilung Rechtsschu­tz. „Für Austritte, die bis zu drei Jahre zurücklieg­en, können Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er ihre offenen Urlaubstag­e auch noch nachträgli­ch einfordern.“

 ?? ?? Einfach abhauen vom Job wird künftig beim Urlaub nicht mehr bestraft. Für nicht verbraucht­en Urlaub steht Geldersatz zu, sagt der EuGH.
Einfach abhauen vom Job wird künftig beim Urlaub nicht mehr bestraft. Für nicht verbraucht­en Urlaub steht Geldersatz zu, sagt der EuGH.

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