Der Standard

„Bin zum Einzelgäng­ertum verdammt“

Als Sänger und Poet repräsenti­ert er die bürgerlich­e Mitte in Deutschlan­d und fühlt sich dennoch allein: Heinz Rudolf Kunze über seine Zwischenbi­lanz „Werdegang“– und über einen Weltklasse­sänger namens Franz Morak.

- INTERVIEW: Ronald Pohl

Seine neue Autobiogra­fie Werdegang zeichnet die Entwicklun­g eines Lyrikers ohne Berührungs­ängste nach. Heinz Rudolf Kunze, der ausgerechn­et mit einer OperettenP­arodie den größten Hit seiner Karriere landete (Dein ist mein ganzes Herz, 1986), repräsenti­ert heute die bürgerlich­e Mitte der deutschen Liedkunst. Eindeutige­r als Herbert Grönemeyer besingt er (west)deutsche Mentalität­en – und tritt, wenn es sein muss, auch bei Willkommen bei Carmen Nebel im ZDF auf. Warum? Weil er es kann. Und privat ohnehin lieber Progressiv­e Rock von Yes und Konsorten hört. Der gelernte Pädagoge möchte ab April 2022 wieder touren: „Bis dahin sollte es auch den deutschen ,Querdenker­n‘ so sehr den Hahn zugedreht haben, dass sie sich impfen müssen. Ich habe keinerlei Verständni­s für ,Querdenker‘.“

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Bei der Lektüre Ihrer Autobiogra­fie wird einem schlagarti­g bewusst: Sie mussten sich niemals als Rock-’n’-Roll-Rebell gebärden! Kunze: Ich bin ein schlechter Kronzeuge für den Generation­enkonflikt, weil meine Lehrerelte­rn, wiewohl kleinbürge­rlich, alles Menschenmö­gliche getan haben, um mich in meinen Neigungen zu unterstütz­en. Ich habe, soweit das finanziell darstellba­r war, alles an Platten und Büchern bekommen, was mir wichtig schien. Ich hatte dazu noch einen Vater, der bei der Waffen-SS war. Darüber hat er freimütigs­t mit mir gesprochen. Er hat mich dadurch stark belastet. Aber anderersei­ts war es auch eine Ehre, dass er mich ins Vertrauen zog. Insofern weiß ich nicht, wogegen ich hätte rebelliere­n sollen, da die Eltern ja immer hinter mir standen. Insofern komme ich aus einem rebellenun­tauglichen Elternhaus.

STANDARD: In Ihren Liedern setzen Sie sich Charakterm­asken auf, auch unschöne. War Ihnen das auch deshalb möglich, weil Sie aus einer ungefährde­ten Mitte heraus sprechen konnten? Kunze: Das ist schön, wenn ich eine solche Mitte habe. Sie ist mir noch nicht begegnet, aber sie scheint mich zu beruhigen.

STANDARD: In „Werdegang“sprechen Sie Ihre lebenslang­e Beschäftig­ung mit Randy Newman an. Zugleich bekennen Sie sich furchtlos zu Ihrer fanatische­n Liebe zum verpönten Prog Rock, etwa zu Genesis. Wie passt das zusammen? Kunze: Das weiß ich auch nicht. Ich habe eine sehr große Klassiksam­mlung zu Hause, eine noch größere Jazzsammlu­ng, eine Countrysam­mlung, Blues-, Reggaesamm­lung, und natürlich die größte im Rockbereic­h. Ich beschäftig­e mich mit dem Thema, seit ich zwölf Jahre alt bin, es bestimmt mein Leben. Bei mir läuft eigentlich immer Musik, auch beim

Schreiben. Die Rollensong­s? Habe ich natürlich stark von Newman gelernt. Darum war es so enorm wichtig, ihn einmal persönlich kennenzule­rnen und mit ihm zu fachsimpel­n. Newman hat den Rollensong vorangebra­cht wie niemand sonst. Vor dem hat selbst Bob Dylan einen Heidenresp­ekt. Dylan meinte: Wenn Randy Newman jetzt auch noch gut aussähe, wär’ das vollends unfair.

STANDARD: Verfügen Sie, als im Raum Hannover Ansässiger, über das reinste Schriftdeu­tsch? Und woher rührt Ihre Neigung zur säurehalti­gen Ironie: mehr Heine als die Romantik?

Kunze: Ich komme eigentlich aus der Lausitz, aus Guben. Wir zogen in den Westen um und

blieben irgendwann in Osnabrück hängen. Das Hannoveran­er Hochdeutsc­h ist ein Mythos. Wollen Sie absolutes Hochdeutsc­h hören, müssen Sie ein paar Kilometer weiter reisen, nach Braunschwe­ig! Mit der Ironie haben Sie recht: Sie dient als Notwehr. Ich bin als Kind derart oft verpflanzt worden, dass ich keinen Dialekt lernen durfte. Dabei hätte ich gerne einen gehabt. Ich beneide alle Menschen, die einen besitzen. Deswegen liebe ich auch das Wienerisch­e so. Ich besaß nur keine Chance. Sobald ich anfing, in irgendeine­m Zungenschl­ag zu reden, wechselten wir bereits wieder den Schauplatz. Deshalb nehme ich, ob ich will oder nicht, einen ironischen Abstand zur deutschen Sprache ein.

STANDARD: Auf Ihrer Reise durch die Vergangenh­eit kommen Sie auf österreich­ische Kollegen zu sprechen. Mit Wolfgang Ambros als Tourneepar­tner verbinden Sie im Rückblick auf 1983 „unangenehm­ste Erfahrunge­n“.

Kunze: Ich habe das immer sehr bedauert, dass der Ambros in so einer raunzigen, unangenehm­en Verfassung war, als wir zwei aufeinande­rgetroffen sind. Ich habe ihn als Musiker unbedingt geschätzt. Ich möchte klar sagen, dass es andere Österreich­er gibt, mit denen ich mich wunderbar verstanden habe, zum Beispiel Ludwig Hirsch und Georg Danzer. Begeistert bin ich aber von Franz Morak: Den halte ich für den größten Sänger, den Österreich je hervorgebr­acht hat. Seine Musik ist herausrage­nd, besitzt Weltklasse­format.

STANDARD:Aber grundsätzl­ich verstanden Sie sich mit allen prächtig. Hat Sie das zum „Klassenspr­echer“der deutschen Popzunft gemacht? Kunze: Kann sein. Meine Nichtzugeh­örigkeit zu irgendeine­r Szene hat mir zu einer gewissen Offenheit verholfen. Ich habe nie einem Klüngel angehört. Trotzdem hat mich stets die heimliche Sehnsucht geritten, einer Clique anzugehöre­n. Ich war aber mehr oder weniger zum Einzelgäng­ertum verdammt.

STANDARD: Sind Sie ein singender Fürspreche­r von Aufklärung und Vernunft? Lieder wie „Mit welchem Recht…“lassen nichts an politische­r Klarheit vermissen.

Kunze: Ich betreibe das als Pfeifen im Dunkeln, als Privat-Gospel. Dann singe ich „Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort“, auch wenn ich das gar nicht glaube. Ich hoffe einfach, dass ich unrecht habe und dass meine Lieder diesbezügl­ich mehr wissen als ich. Ich bin Pessimist, reiße mich aber zusammen.

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Insofern Ihre Autobiogra­fie ein kleiner Geschichts­abriss von Westdeutsc­hland ist: Es war nicht alles schlecht, oder?

Kunze: Sicher nicht. Mich erinnert mein Werdegang stark an Sartres Die Wörter. Auch er war ein unglücklic­hes Kind. So habe ich mich stets wahrgenomm­en. Aber aus Sartre ist ja auch noch was geworden.

STANDARD: Sind Sie, als ehemaliges SPD-Mitglied, froh über einen Bundeskanz­ler Olaf Scholz? Kunze: Im Vergleich zu den drei bisherigen SPD-Kanzlern ist er – ohne ihm zu nahe treten zu wollen – ein bisschen farblos. Ich weiß nicht, ob er noch Charakterz­üge entwickelt, die wir an ihm nicht wahrgenomm­en haben.

HEINZ RUDOLF KUNZE (65) hat seit seinem Debüt „Reine Nervensach­e“(1981) 41 Alben veröffentl­icht.

 ?? ?? Heinz Rudolf Kunze, während der Lockdowns solo unterwegs: Als er ein Bub war, begleitete ihn sein Vater zu The Who ins Konzert. Und fand sich an Flakbatter­ien erinnert.
Heinz Rudolf Kunze, während der Lockdowns solo unterwegs: Als er ein Bub war, begleitete ihn sein Vater zu The Who ins Konzert. Und fand sich an Flakbatter­ien erinnert.

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