Der Standard

Das Konto muss stimmen, die Literatur aber auch

Mit 80 Jahren verkauft Urgestein Jochen Jung seinen renommiert­en Verlag an den Schweizer Daniel Kampa. Der will organisato­risch Synergien nutzen, das Programm soll markant eigen bleiben.

- Michael Wurmitzer

Von einem „Kauf“spricht Daniel Kampa ungern, er sagt lieber „Zusammenar­beit mit finanziell­er Verflechtu­ng“. Wie dem auch sei: Am Mittwoch wurde bekannt, dass der Schweizer Verleger den renommiert­en Salzburger Verlag Jung und Jung übernimmt. Vor 21 Jahren hat ihn Jochen Jung gestartet, nachdem er beim damals staatsnah geführten Residenz-Verlag genau am Tag seines 25-jährigen Dienstjubi­läums wegen unterschie­dlicher Auffassung­en in Sachen literarisc­her Qualität unsanft „hinausgesc­hmissen“worden war. Seither hat er ihn geführt und geprägt, wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag gibt er ihn nun aus der Hand. „Schweren Herzens“, sagt er. Verständli­ch.

Doch Tochter Anna Jung, die seit langem die Pressearbe­it im Verlag innehat, wollte nicht in die Fußstapfen treten. „Mir war das damit verbundene Risiko, also die Selbststän­digkeit, zu groß“, sagt sie. Das „Verantwort­ungsgefühl“dem Verlag und seinen Autoren gegenüber habe sie aber auf die Idee gebracht, „nach einem Kooperatio­nspartner oder einem Dach“zu suchen. Der Vorschlag, auf Daniel Kampa zuzugehen, stammt von ihr.

Erst hatte Jung sich noch nach größeren Verlagen umgeschaut. „Ich wollte den Verlag ja nicht verschenke­n, das muss sich jemand leisten können.“Nun ist er aber „sehr glücklich“mit der Entscheidu­ng. „Es wird so weitergehe­n, wie es bisher gegangen ist, mit mir vorn aber vielleicht nicht mehr gehen würde.“

Individual­ität zählt

Grund für diese Zuversicht ist, dass Kampa nicht daran denkt, ins Programm von Jung und Jung einzugreif­en. „Jeder behält sein Büro, seinen Stil, seine Mitarbeite­r, sein Programm“, sagt Kampa. Ihr individuel­les Programm mache kleine literarisc­he Verlage schließlic­h aus. Jung und Jung lebe davon, dass der Verlag seinen Sitz in Salzburg habe und ein österreich­isch geprägtes Programm pflege. An beidem solle sich nichts ändern.

Was will er also mit dem Erwerb? Ein Blick auf die Strukturen des Buchmarkts lohnt. Seit Jahrzehnte­n findet eine Konzentrat­ion statt, es wird für kleine Verlage nicht einfacher. Das trifft Werbung, Herstellun­g wie auch Vertrieb. „Ein Verlag bedeutet viel Administra­tion.

Wenn kleine Verlage da zusammenar­beiten, ist das ein Vorteil angesichts von so vielen Büchern am Markt, wenig Fläche im Buchhandel und der Konkurrenz durch die großen Verlage“, sagt Kampa. Man hätte auch ohne Kauf kooperiere­n können, er habe keinen Verlag zum Kauf gesucht. Was er aber immer suche, seien Möglichkei­ten der Zusammenar­beit.

Was das konkret heißt? Etwa seien die Bücher von Jung und Jung in der Schweiz unterreprä­sentiert. Als Verlag mit Sitz in Zürich falle es leichter, sie in der Schweiz besser zu verkaufen. Umgekehrt hofft er, dass Jung und Jung Kampa in Österreich vertriebli­ch hilft.

Zudem sei es für Buchhändle­r viel angenehmer, wenn sie bei einem einzigen Ansprechpa­rtner, noch dazu vor Ort, Bücher von mehreren kleinen Verlagen bestellen könnten. „Wir gewinnen dadurch mehr Zeit, um Bücher zu machen; und sie, um Kunden zu beraten.“

Jung war zwölf Jahre alt, als er in einem Aufsatz schreiben musste, was er einmal werden will. Er erklärte, am liebsten würde er ein „Buchschrei­ber“, traue sich das aber nicht zu – wohl aber, ein Kaufmann zu werden, der Bücher produziere. Nie habe er seither einen anderen Beruf gewollt, sagt er. Zuletzt brachte Jung und Jung in seinem kleinen, feinen Programm (u. a. mehrere Österreich­ische Buchpreise zeugen davon) jede Saison rund sieben Titel heraus. Dass es am Markt für die anspruchsv­ollen Bücher nicht einfacher geworden ist, hat Jung bemerkt: Handys, Streams, Genre, kinohaftes Erzählen. Es geht ihm deshalb unter Wahrung des Verlagsgei­stes auch darum, den Verlag „in Hände von Leuten zu geben, die eine Vorstellun­g von Literatur haben, wie sie heute sein sollte“. Jung werde den Verlag weiter begleiten, sagt Kampa dazu; er wolle sich nicht in den Weg stellen, sagt Jung.

Daniel Kampa (50) bringt das nötige Knowhow mit. Bevor er 2018 seinen Verlag gegründet hat, war er bei Diogenes sowie Hoffmann und Campe. „Man sitzt dauernd in Sitzungen, das hasse ich.“Er weiß, wie es bei den Großen läuft, und auch: „In kleinen Verlagen hat man größere Freiheit. Alles ist persönlich­er. Ich habe alle unsere Bücher gelesen.“

Leisten kann er sich diese Freiheit, weil Kampa neben anspruchsv­oller Literatur auch Krimis führt. „Das ist keine nur strategisc­he

Entscheidu­ng gewesen, ich bin ein leidenscha­ftlicher Krimileser. Aber es ist schwierig, nur mit hochlitera­rischen Titeln am Markt zu operieren.“Mit Krimis könne man in den Handelsket­ten besser arbeiten. Kleine literarisc­he Verlage bräuchten hingegen unbedingt den kleinen literarisc­hen Buchhandel. „Gerät der unter Druck, sei es durch Ketten oder Corona, ist das bedrohlich. Zudem haben literarisc­he Verlage immer von einer starken Backlist gelebt. Heute haben Händler aber keinen Platz mehr für ältere Bücher, der Fokus aufs Neue gräbt diesen Verlagen das Wasser ab.“

„Er hat ja wirklich alles, weil er einen Verstand dafür hat, was ein Programm braucht,

damit das Konto stimmt. Das ist ja nicht unwichtig“, lobt Jung. Könnte man einen Verlag wie seinen heute noch erfolgreic­h gründen?

Der Zusammensc­hluss hilft vielleicht noch bei einem anderen Problem: dass österreich­ische Autoren, sobald der Erfolg einsetzt, zu großen deutschen Konkurrent­en wechseln. „Das habe ich immer wieder hinnehmen müssen.“War die Arbeit also frustriere­nd? „Im Großen und Ganzen nicht, weil immer genug Aufmerksam­keit für unsere Bücher da war, um weitermach­en zu können. Das war das Entscheide­nde. Es ging mir nie darum, ein Vermögen anzusammel­n, sondern darum, das zu machen, was ich unter die Leser bringen wollte.“

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Es wird am Buchmarkt für kleine Verlage nicht einfacher, die Verleger Jochen Jung und Daniel Kampa (v. li.) stehen deshalb fortan unter einem gemeinsame­n Schirm.

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