Der Standard

Den Schutz muss sie sich schon selbst suchen

Der Gewaltschu­tzgipfel zeigte einmal mehr die Oberflächl­ichkeit, mit der in Österreich an das Thema Gewalt gegen Frauen und Femizide herangegan­gen wird. Internatio­nale Forschung wird ausgeblend­et, man will das Rad neu erfinden.

- Isabel Haider

Internatio­nale Forschung und Politik haben über Jahrzehnte die strukturel­len Zusammenhä­nge geschlecht­sbezogener Gewalt gegen Frauen herausgear­beitet. Unter geschlecht­sbezogener Gewalt versteht man Gewalt, die gegen Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlecht­s begangen wird oder von der Frauen und Mädchen überpropor­tional betroffen sind. Der Geschlecht­sbezug kann sich im Motiv der Täter widerspieg­eln oder strukturel­le Machtunter­schiede zum Ausdruck bringen, die zu einem erhöhten Risiko von Gewalt gegen Frauen und Mädchen führen. Und er kann dazu beitragen, dass die Gewalt akzeptiert, normalisie­rt oder als weniger gefährlich und vorwerfbar eingestuft wird.

Die Gewalt steht im Zusammenha­ng mit sozialkons­truierten Geschlecht­errollen. Sie ist Ausdruck eines der Frau in der Gesellscha­ft zugeschrie­benen minderen Werts und wird häufig begangen, wenn sie sich außerhalb der ihr zugeschrie­benen Rolle bewegt. Die Gewalt wird zum Großteil durch dem Opfer nahestehen­de Männer begangen, allen voran aktuellen oder ehemaligen Intimpartn­ern. Ebenso gibt es jedoch Gewalt- inklusive Mordkrimin­alität, der Frauen unabhängig von ihrem Geschlecht zum Opfer fallen.

Internatio­nale Forschung und Politik behandeln geschlecht­sbezogene Gewalt- und Mordkrimin­alität gegen Frauen aufgrund ihrer strukturel­len Unterschie­de zur heterogene­r ausgestalt­eten allgemeine­n Gewalt- und Mordkrimin­alität als eigenständ­iges Kriminalit­ätsphänome­n. Besonders detaillier­t befasste sich die Forschung bereits mit dem Teilbereic­h geschlecht­sbezogener Gewalt und Mordkrimin­alität gegen Frauen in Intimbezie­hungen mit Gewaltvorg­eschichte. Hier wurden Risikofakt­oren erarbeitet, die weitere Gewalt und/oder Femizide mit einer gewissen Wahrschein­lichkeit vorhersage­n sollen. Die Behandlung von Kriminalit­ätsphänome­nen differenzi­ert nach Teilbereic­hen erlaubt eine detaillier­te und vertiefend­ere Analyse. Zusammenhä­ngendes ist gemeinsam zu betrachten, Unterschie­dliches ist zu trennen.

Kein regionaler Unterschie­d

Eine Vielzahl von Studien ergab darüber hinaus, dass geschlecht­sbezogene Gewalt und Mordkrimin­alität gegen Frauen in Intimbezie­hungen im Wesentlich­en keine regionalen oder kulturelle­n Unterschie­de aufweisen. Internatio­nale Forschung ist somit auch für den österreich­ischen Kontext relevant. Studien bauen üblicherwe­ise auf vortistisc­h handener Forschung auf, um diese in gewissen Aspekten weiterzuen­twickeln. Detaillier­te Studien zu eng abgegrenzt­en Teilbereic­hen erlauben es, Kriminalit­ät nicht nur zu beschreibe­n, sondern sie zumindest teilweise zu erklären.

Die Politik in Österreich geht einen anderen Weg. Anstatt sich detaillier­t und fachlich geboten mit den verschiede­nen oder ausgewählt­en Manifestat­ionsformen von geschlecht­sbezogener und nichtgesch­lechtsbezo­gener Gewalt gegen Frauen zu beschäftig­en, wird undifferen­ziert bis zur Unkenntlic­hkeit vereinheit­licht und vereinfach­t. Oberflächl­iche Informatio­nen, die anderswo jährlich durch die Sicherheit­sbehörden selbst kriminalst­aaufbereit­et und veröffentl­icht werden, werden als neue Erkenntnis­se präsentier­t. Es entsteht der Eindruck, als würde Gewaltund Mordkrimin­alität gegen Frauen in diesem Land ausnahmslo­s durch gewalttäti­ge Partner begangen und als wäre die Lösung dieses Problems im Grunde das Wählen des Notrufs durch die Opfer.

Die Pressekonf­erenz zum Gewaltschu­tzgipfel am Dienstag verlautbar­te: 2019 stellt den traurigen Höhepunkt der letzten elf Jahre mit 43 ermordeten Frauen dar. Frauen sollten Hilfsangeb­ote in Anspruch nehmen, die Polizei rufen. Damit wird suggeriert, dass sich alle 43 Frauen in Gewaltbezi­ehungen befanden und keine Hilfe gesucht hätten.

„Frauen sehen das Risiko, ermordet zu werden, nicht vorher.“Prävention ist nicht Aufgabe des Opfers

Keine Statistike­n

Es gibt zahlreiche Barrieren, die verhindern, dass Hilfsangeb­ote Menschen in Gewaltbezi­ehungen erreichen. Frauen werden darüber hinaus nicht nur im Zuge von Gewaltbezi­ehungen ermordet. Zuweilen werden sie auch ermordet, obwohl die Polizei bereits involviert war. Frauen sehen auch das Risiko, ermordet zu werden, nicht vorher. Wie auch in anderen Kriminalit­ätsbereich­en können Kriminalit­ätsbekämpf­ung und -prävention auch hier nicht nur an Opferanzei­gen anknüpfen.

Diese Form von Opferzentr­ierung wurde zuletzt auch von der Soziologin Laura Wiesböck in der ZiB 2 zu Recht kritisiert.

Zur Frage, wie viele Frauenmord­e in Zusammenha­ng mit Gewaltbezi­ehungen stehen oder wie viele Frauen jährlich überhaupt Opfer von Gewaltbezi­ehungen werden, gibt es in Österreich keine Statistike­n. Die in den Medien verwendete Zahl an Femiziden des aktuellen Jahres beruht auf einem Media-Monitoring der Österreich­ischen Frauenhäus­er. Eine behördlich­e Informatio­n gibt es nicht. Zahlen zu Betretungs­und Annäherung­sverboten und „Gewalt im sozialen Nahraum“betreffen unterschie­dlichste Konstellat­ionen von Gefahren- und Gewaltsitu­ationen im Zusammenwo­hnen von Menschen und sind damit nicht treffsiche­r. Auch die beauftragt­e Studie, die sämtliche Morde an Frauen und Mädchen durch männliche und weibliche Täterinnen und Täter über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht, wird aufgrund des engen Zeitkorset­ts und mangels Eingrenzun­g auf spezifisch­e Teilbereic­he vermutlich nur an der Oberfläche kratzen können.

ISABEL HAIDER ist Universitä­tsassisten­tin am Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie der Universitä­t Wien.

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Jede Frau soll wissen, dass sie Unterstütz­ung bekommen kann, sagte Frauenmini­sterin Susanne Raab (ÖVP) am Dienstag, im Bild mit Marina Sorgo von den Gewaltschu­tzzentren und Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP).

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