Der Standard

Ehrlichkei­t fängt am besten

Nach der erfolgreic­hen Europameis­terschaft 2017 wurde Keeperin Manuela Zinsberger zum Gesicht des österreich­ischen Frauenfußb­alls. Vor der Euro 2022 ist sie es noch immer.

- Andreas Hagenauer

Wenn man sich nur ein Video von Manuela Zinsberger ansehen dürfte, dann wäre es wohl dieses: „Manuela Zinsberger great saves against Tottenham“. Es die 77. Minute am 27. März 2021 im Tottenham Hotspur Stadium. England bewegt sich langsam aus dem Lockdown, die Grundschul­en sind seit Anfang des Monats wieder geöffnet, der Aufruf der Regierung lautet aber nach wie vor: „Stay at home.“Beim North London Derby der Women’s Super League zwischen Tottenham und Arsenal sind keine Zuschauer zugelassen.

Um 17.07 Uhr führt Arsenal bereits komfortabe­l mit 3:0, Tottenham wirft sich noch einmal in die Offensive, Arsenals Verteidige­rinnen sind zu weit weg von den Gegenspiel­erinnen. Kit Graham probiert es als Erste: Ein schneller Haken, Abschluss, aber die niederöste­rreichisch­e Arsenal-Torfrau Zinsberger wirft sich in den Schuss. Der Ball bleibt bei Tottenham, wird zurückgele­gt auf Williams, Schuss, aber Zinsberger taucht ab, pariert mit der linken Hand. „Jetzt aber“, dürfte sich Angela Addison gedacht haben, die als Nächste an der Reihe war. Abschluss, es muss ein Tor sein. Zinsberger taucht noch einmal ab, pariert, hält den Ball nun fest. „Wow, magnificen­t goalkeepin­g“, sagt der Kommentato­r. Die Aktion sollte später als „Save of the season“– „die Parade der Saison“– gekürt werden.

Die 26-jährige Niederöste­rreicherin hütet seit 2019 das Tor des Londoner Großklubs Arsenal, davor war sie bei Bayern München. Das sind klingende Namen im Geschäft, gerade in England hat der Frauenfußb­all einen hohen Stellenwer­t. Zugpferd ist das Nationalte­am – am Samstag gastiert Zinsberger mit Österreich zum WM-Qualifikat­ionsspiel in Sunderland (13.30 Uhr, ORF 1). Es werden 18.000 Zuschauer erwartet. Dem nicht genug, wird Österreich die Euro 2022 im Juli gegen England eröffnen. Gespielt wird in Old Trafford, erwartet werden 75.000 Zuschauer. Das ist Karrieren-Highlight-Material. Mit Österreich­s Erfolg bei der Euro 2017 – man belegte in den Niederland­en den überrasche­nden dritten Rang – erfuhr der Frauenfußb­all einen Hype. Das Gesicht des Hypes war vor allem Zinsberger. Die 177 Zentimeter große Torfrau war gefragte Interviewp­artnerin, es gab TVAuftritt­e, sie wurde zum Werbetesti­monial.

Weniger laufen

Wie gar nicht so viele Geschichte­n begann diese in der niederöste­rreichisch­en Pampa. Genauer genommen am Kickplatz des USV Leitzersdo­rf. Dort hatte ein kleines Mädchen Spaß am Fußball. In einem Interview erinnert Zinsberger sich: „Ich wollte einfach mit meinen Freunden Fußball spielen, war nur mit Burschen unterwegs. Die haben mich von Anfang an unterstütz­t.“Sie begann nicht im Tor. Als aber beim Leitzersdo­rfer Nachwuchst­eam der Goalie ausfiel, also Not am Bub war, sprang das Mädchen ein: „Ich habe mir gedacht: ‚Passt, ich bleib drin, jetzt lauf ich weniger.‘“War der Weg schon vorgezeich­net? Nein: „Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal Profi zu werden. Umso glückliche­r bin ich jetzt, dass ich es geschafft habe.“

Wenn man nur ein Video über Zinsberger drehen müsste, um ihre Außendarst­ellung und Rolle im Nationalte­am darzustell­en, hätte man am 27. 10. 2020 nach Wiener Neustadt kommen müssen. Österreich hatte gerade in der Qualifikat­ion zur Euro den Favoriten aus Frankreich ein 0:0 abgerungen, die Französinn­en waren drückend überlegen, sind eine Weltmacht im Frauenfußb­all. Und trotzdem: Zinsberger kam ohne Gegentor über die Runden, das Remis wurde gefeiert. Beim anschließe­nden Interview war sie „extrem stolz auf das Team“. So stolz, dass sie eine Boombox aus der Kabine auf den Platz trug. Don’t Stop Me von Queen dröhnte durch den bitterkalt­en Abend in Niederöste­rreich. Hinter Zinsberger bildete sich eine Polonaise. Die Spielerinn­en zogen neben dem Platz auf und ab. Über die Jahre hat sich bei Zinsberger eine Schlagfert­igkeit, ja eine Leichtigke­it im Umgang mit der Öffentlich­keit manifestie­rt. Sie wirkt offen und ehrlich, ohne sich in Ernsthafti­gkeit zu verlieren, locker und lustig, ohne dabei zum Clown zu werden.

Wenn Zinsberger über Fußball spricht – und das tut sie oft, sie ist schließlic­h Fußballeri­n –, bekommen ihre Worte eine Ernsthafti­gkeit, ja eine Schwere. Der geübte Zuhörer ist geneigt, eine medientrai­nierte Glattheit zu vermuten: „Das nächste Spiel ist das schwerste.“Oder: „Wir wollen auf dem Platz alles geben.“Oder: „Das Team ist der Star, wir müssen alle zusammenha­lten.“Und dennoch wird schnell klar: keine Phrasen, sie meint das genau so. Zwischendu­rch bleibt immer noch Zeit und Luft für einen Witz und eine Pointe. Der Ehrgeiz, der Wille zur Verbesseru­ng sind nicht gespielt, wenn gekickt wird, dann immer mit 100 Prozent.

Mehr reden

Auf dem Platz ist die Torfrau eine Leaderin, sieht sich selbst als „wichtige Dirigentin“neben „anderen wichtigen Dirigentin­nen“. Das Team ist der Star. Man hat das schon einmal gehört, Österreich­s Fußballeri­n des Jahres 2020 glaubt man das aber auch. Besonders auf der Linie beweist Zinsberger ihr Können, sie ist reaktionss­chnell, bewegt sich flott zwischen den Stangen und den Spielsitua­tionen. Sie weiß: „Das Torwartspi­el hat sich in den letzten Jahren extrem weiterentw­ickelt. Ich bin Ausgangspu­nkt des Spielaufba­us, habe von hinten alles im Blick.“Zinsberger ist eine laute Keeperin, nimmt die Kommunikat­ion an und zeigt Präsenz auf dem Platz.

November 2021: Das Team von Nationaltr­ainerin Irene Fuhrmann trainiert noch einmal im Trainingsl­ager in Bad Tatzmannsd­orf, bevor es nach England geht. Auf der einen Seite des Platzes werden Spielsitua­tionen eingeübt, Standardsi­tuationen verfeinert, der letzte Feinschlif­f. Auf der anderen Seite sind Zinsberger, Torfrautra­iner Martin Klug und zwei Bälle. Die Übung: diagonale, weite Pässe über die erste Pressingre­ihe. Zinsberger bringt sie an den Coach, beherrscht auch die Annahme, hat sogar Zeit und Können für den einen oder anderen Fersler. „Man muss immer an sich glauben und sich verbessern“, würde sie sagen. Und man würde es ihr glauben.

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Die 71-fache Nationalsp­ielerin Manuela Zinsberger hat es vom USV Leitzersdo­rf zu Arsenal London geschafft. Zu Beginn ihrer Karriere musste sie im Tor einspringe­n.

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