Der Standard

Gewaltige Geschichte

- Mia Eidlhuber

Blaue Frau von Antje Rávik Strubel, das Buch, das in diesem Jahr, mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeich­net wurde, hier vorzustell­en ist kein kreativer Alleingang, aber man kann diesen Roman nicht genug loben. Die in Potsdam lebende Antje Rávik Strubel mischt schon eine ganze Weile im Literaturb­etrieb mit, übersetzt auch literarisc­he Größen wie Joan Didion oder Virginia Woolf aus dem Amerikanis­chen oder schreibt Gebrauchsa­nweisungen für Potsdam, Schweden oder auch fürs Skifahren.

Blaue Frau ist bereits ihr neunter Roman. Mit dieser gewaltigen Geschichte über eine Frau, die zuerst aus ihrem tschechisc­hen Heimatdorf und später vor einer Vergewalti­gung an ihr und den ungeheuerl­ichen Peinigern in der ostdeutsch­en Provinz bis in den Norden Europas flüchtet, hat sich Strubel ganz an die Spitze deutschspr­achiger Autorinnen geschriebe­n. Adina heißt die nach außen nicht sichtbar, dennoch schwer verletzte Protagonis­tin in diesem klug komponiert­en Roman, die irgendwann als illegale Arbeiterin in einem Hotel in Helsinki untertauch­t, aber weder in einer neuen Liebesbezi­ehung mit Leonides, einem EU-Abgeordnet­en und Menschenre­chts-Professor, noch in ihrem inneren Exil Schutz findet. Aber Adina ist nicht nur Adina, manchmal ist sie Nina oder Sala oder auch „der letzte Mohikaner“und erinnert daran, dass auch ihre Schöpferin, die Autorin Antje Strubel, im Sinne einer Erweiterun­g der eigenen Identität „Rávik“einen Raum im eigenen Namen gegeben hat. „Im Unerkundba­ren kommen wir einander nah“, schreibt Strubel und zitiert Ilse Aichinger.

Der Deutscher-Buchpreis-Gewinner-Roman ist trotz seiner unglaublic­h poetischen Sprache ein knallharte­r Europa-Roman über die Zweiklasse­ngesellsch­aft, eine nicht nur abenteuerl­iche, sondern auch albtraumha­fte Ost-West-Migrations-Geschichte, ein feministis­ches Menschenre­chtsplädoy­er und ein queerer Identitäts­roman. Und trotz allem ist er tröstlich. Da ist immer wieder die Blaue Frau, die auftaucht. Im rettenden Hafen von Helsinki. „Schreiben bedeutet, sich das eigene Denken anzusehen“, sagt Antje Rávik Strubel. Mit Blaue Frau ist das dieser Autorin auf geniale Weise gelungen.

 ?? ?? Mia Eidlhuber leitet das ALBUM und liest und bespricht gemeinsam mit Beate Hausbichle­r Bücher von Frauen für den Podcast „Lesezeiche­n“. Auch zu Weihnachte­n verschenkt sie Bücher.
Mia Eidlhuber leitet das ALBUM und liest und bespricht gemeinsam mit Beate Hausbichle­r Bücher von Frauen für den Podcast „Lesezeiche­n“. Auch zu Weihnachte­n verschenkt sie Bücher.
 ?? ?? Antje Rávik Strubel, „Blaue Frau“. € 24,70 / 428 Seiten. S.-Fischer-Verlag, 2021
Antje Rávik Strubel, „Blaue Frau“. € 24,70 / 428 Seiten. S.-Fischer-Verlag, 2021

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