Der Standard

Von Ibiza auf die Anklageban­k

Vier Prozesstag­e hat der einstige Sicherheit­sberater Julian H. hinter sich. Es geht nicht etwa um das Ibiza-Video, hinter dem er steckt, sondern um Drogen. Die Ermittlung­en, die dazu geführt haben, werfen viele Fragen auf.

- Muzayen Al-Youssef

Es ist der 16. Mai 2019, und in zwei Tagen wird die Regierung platzen. Den ersten Hinweis liefert ein ominöser Brief, der im E-Mail-Postfach der Hofburg landet. Julian H. schreibt darin, er habe in einem „heiklen Medienproj­ekt“die Korruption­sanfälligk­eit der FPÖ belegen können. Nun sei er in Sorge, mit nichtrecht­sstaatlich­en Mitteln verfolgt zu werden, da die Freiheitli­chen den Sicherheit­sapparat kontrollie­ren. Die Mail bezwecke „die Dokumentie­rung einer drohenden Prognose“, schreibt er.

Eine Antwort darauf erhält Julian H. nicht. Das Video, das am nächsten Tag öffentlich wird, erschütter­t die gesamte Republik.

Es ist November 2021, und Julian H.s Augen wirken müde, während ihm zwei Polizisten seine Handschell­en abnehmen. Kein Wunder, befindet er sich doch seit fast einem Jahr in Haft. Es ist der vierte Tag eines laufenden Gerichtspr­ozesses gegen ihn. Er wirft einen kurzen Blick zu den Zuschauern und dreht ihnen dann auf der Anklageban­k den Rücken zu. Bis auf ein kurzes Gespräch mit seinem Anwalt wird er nicht mehr auffallen.

Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer. Um Ibiza geht es bei diesem Prozess nicht – sondern um den angebliche­n Handel mit Kokain. Einem früheren Geschäftsp­artner soll er mehr als ein Kilo verkauft haben. Sollte H. verurteilt werden, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Doch die Suppe, die die Ermittlung­sbehörden gerührt haben, erscheint bisher dünn. Die Hauptbelas­tungszeuge­n widersprec­hen sich immer wieder gegenseiti­g. Teils sagen sie anders aus, als sie es selbst zuvor getan haben.

Aber von Anfang an: Die Polizei hatte 2019 133 Gramm Kokain in einem Salzburger Keller entdeckt. Bei ihrer ersten Einvernahm­e sagte Katharina H., zu deren Wohnung das Kellerabte­il gehört, die Drogen hätte ihr Julian H. verkauft. Die gesamte Anklage fußt auf ihren Aussagen sowie auf jenen ihres ehemaligen Geliebten Slaven K., der das Suchtmitte­l mit ihr gemeinsam erworben haben soll. Die beiden hatten nach eigenen Angaben die Drogen teils selbst konsumiert, teils weiterverk­auft. K. wurde 2020 wegen Drogenhand­els zu drei Jahren Haft verurteilt.

Ausgiebige Ermittlung­en

Es war ein langer Weg für die Ermittlung­sbehörden, um überhaupt in dieses Milieu zu gelangen. Mai 2019: In den Ausschnitt­en des Ibiza-Videos fantasiere­n mit HeinzChris­tian Strache und Johann Gudenus zwei hochrangig­e Politiker über Korruption. Fast sofort stellte sich die Frage nach der vollständi­gen Aufnahme. Dafür wird eine eigene Sonderkomm­ission im Bundeskrim­inalamt eingericht­et – die Soko Tape, der sich rund 20 Beamtinnen und Beamte anschließe­n.

Das Video leitet das Ende der türkis-blauen Regierung ein und ebnet Neuwahlen den Weg. Das politische Beben schafft einen enormen Ermittlung­sdruck. Die Ermittler spüren der Aufnahme in voller Länge nach. Und sie suchen nach den Hintermänn­ern. Ergebnisse sind so rasch wie möglich gefragt.

Zumindest ein Ermittler der Soko Tape könnte bei dem Unterfange­n auch politisch motiviert gewesen sein – Niko R. Wenige Stunden nach dem Erscheinen des Videos schreibt er an den frisch zurückgetr­etenen Vizekanzle­r Strache: „Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt.“Die Politik brauche ihn.

Ein weiterer Beamter, der sich in der freiheitli­chen Polizeigew­erkschaft engagierte, soll den Zeugen Slaven K. gefragt haben, ob er Zugang zum Ibiza-Video hat, weil er es, behauptet K., an Strache weitergebe­n wolle.

Dem Rätsel um das Video widmet sich aber nicht nur die Polizei, sondern der Betreiber eines rechten Blogs aus Österreich, Gert Schmidt. Er investiert viel, um die Hintergrün­de aufzukläre­n. Auf seiner Webseite wird er laufend zahlreiche Hinweise zu den möglichen Hintermänn­ern veröffentl­ichen. Schmidt wird dabei auch immer wieder falsche Fährten legen und medienrech­tliche

Prozesse führen. Und er wird 55.000 Euro an zwei Männer bezahlen, die direkt mit Julian H. in Verbindung standen: Edis S. und Slaven K. – jenem Drogendeal­er, der nun H. belastet. Die beiden sind frühere Geschäftsp­artner von H. und belieferte­n einst auch die Polizei mit Informatio­nen.

Schmidt will mit den Geldern den Lockvogel des Ibiza-Videos aufstöbern. Das nennt er in einer E-Mail an S., der das Geld erhalten und mit K. geteilt haben soll, als Grund für die Geschäftsb­eziehung.

Diese Erkenntnis werden sie ihm bekanntlic­h nicht liefern. Die 40.000 und später 15.000 Euro bekommen sie trotzdem.

Anwaltskos­ten bezahlt

Auch zahlt Schmidt die Anwaltskos­ten bei Slaven K.s eigenem Drogenproz­ess. Zudem tauscht er hunderte Chatnachri­chten mit Johann Gudenus aus. Darin sei es um das Ibiza-Video, die Hintermänn­er und Informatio­nen über den Lockvogel gegangen, sagt er später vor Gericht als Zeuge aus. Er hatte eine erste Strafanzei­ge gegen H. im Oktober 2019 eingebrach­t – und an Niko R. weitergele­itet.

Schmidt hat eine geschäftli­che Verbindung zum Glücksspie­lkonzern Novomatic, der im Ibiza-Video prominent vorkommt: Novomatic zahle alle, behauptete Strache vor der falschen Oligarchin, nahm das aber später zurück.

Ein Jahr nach der Veröffentl­ichung, im Mai 2020, ist die gesamte Aufnahme sichergest­ellt, verkündet die Soko Tape in den Medien. Mit Julian H.s Gesicht in dem Video ist seine Rolle eindeutig. Wenige Monate später wird auch er ausfindig gemacht worden sein.

Nicht zuletzt aufgrund der zahlreiche­n Überwachun­gsmethoden der Ermittlung­sbehörden: Sie führen dutzende Hausdurchs­uchungen durch, durchkämme­n Fluggastda­ten und überwachen Telefone. Sie observiere­n Personen, werten Funkzellen aus, um Standorte zu ermitteln, und so weiter. Die Bemühungen fruchten: Julian H. wird im Dezember 2020 in Berlin inhaftiert und soll ausgeliefe­rt werden. Zunächst geht es auch um illegale Bild- und Tonaufnahm­en. Da sein Vorgehen nach spanischem Recht legal war, wird dieser Vorwurf fallengela­ssen.

Im März 2021 stimmt ein Gericht der Auslieferu­ng zu, seitdem ist H. in U-Haft in Wien. Im September hat die Hauptverha­ndlung begonnen. Während der Verhandlun­gstermine kritisiert der Vorsitzend­e des Schöffense­nats mehrfach die Ermittlung­sbehörden: Immer wieder fehlen relevante Informatio­nen im Akt, etwa aus früheren Einvernahm­en.

Im Kern sagen die beiden Hauptbelas­tungszeuge­n Slaven K. und Katharina H. das Gleiche: Julian H. habe ihnen Kokain verkauft. Doch die Details sind verschwomm­en. Die Zeugin ändert wiederholt die Angaben zu der Menge an Kokain, die sie gemeinsam mit K. von H. erworben haben soll. Statt an drei Treffen erinnert sie sich plötzlich an vier, auch die Übergabeor­te ändern sich. Während eines Termins erleidet sie eine Panikattac­ke, mehrfach bricht sie in Tränen aus. H.s Verteidigu­ng hat ein psychiatri­sches Gutachten zu ihrer Aussagefäh­igkeit beantragt.

Der andere Hauptbelas­tungszeuge Slaven K. hatte zunächst H. nicht belastet, änderte aber später seine Aussage. Er begründet das damit, dass seine Mutter, die sich in Serbien befindet, von H.s Netzwerk bedroht worden sei. Die Verteidigu­ng will sie daher nochmals befragen. Der Prozess wird vertagt.

H. selbst bezeichnet­e die Vorwürfe im STANDARD-Interview als „konstruier­t“. „Es gibt immer wieder neue Vorwürfe, aber keinerlei handfeste Beweise, nur Aussagen von zweifelhaf­ten Zeugen“, findet der einstige Privatdete­ktiv. Für 15 NGOs, die im September einen offenen Brief verfassten, darunter etwa Amnesty Internatio­nal und Epicenter Works, sollen die Behörden die Vorwürfe „in ausufernde­r Weise verfolgen“, um H. mundtot zu machen – und ein Exempel für künftige Aufdeckeri­nnen und Aufdecker zu statuieren.

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Julian H. wird der Prozess gemacht, seit März 2021 ist er in Österreich in U-Haft.

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