Der Standard

Für die Fische

Die Fischerei in großen Hochseeflo­tten und kleinen Booten wird weltweit neu reguliert. Vor allem kleine Fischer in Entwicklun­gsländern würden von den geplanten Änderungen kaum profitiere­n, warnt eine Ökonomin.

- Maria Reininger

Da interessie­rt man sich mehr für die Fische als für das Überleben der kleinen Fischer.“Die indische Ökonomin Ranja Sengupta kann dem, was gerade für Tierschutz und Artenvielf­alt in den Meeren geplant wird, wenig abgewinnen. Sie ist Mitglied des Third World Network zu Wirtschaft­sthemen und sammelt in ihrem Büro in Delhi Fakten und Zahlen zu den Lebensbedi­ngungen von mehreren Millionen Menschen in Indien und vergleichb­aren Ländern. Unter dem Surren des Ventilator­s erklärt sie, was am gutgemeint­en globalen Abkommen der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) zur Fischerei falsch laufen wird – so es keine wesentlich­en Veränderun­gen gibt.

60 Prozent der weltweiten Fischbestä­nde in den Meeren sind bedroht, 33 Prozent sind schon überfischt, das heißt sie schrumpfen und werden verschwind­en. Daher will man zum ersten Mal in der Geschichte das Fischen weltweiten Regeln unterwerfe­n. 20 Jahre lang wurde verhandelt, jetzt soll eine Vereinbaru­ng getroffen werden. Das WTO-Treffen in Genf wurde allerdings Corona-bedingt vertagt.

Staatliche Subvention­en

Man plant – wenig überrasche­nd in der WTO – Verbote staatliche­r Subvention­en. Künftig sollen keine öffentlich­en Gelder mehr gezahlt werden dürfen, um etwa Fischerboo­te erschwingl­icher zu machen oder das Management großer Fangflotte­n zu unterstütz­en.

Hier beginnen die Differenze­n der 128 WTO-Mitgliedss­taaten, die am Fischen beteiligt sind: 35 Milliarden Dollar werden weltweit zur Unterstütz­ung des Fischens ausgegeben, zwei Drittel davon für kommerziel­le Fangflotte­n. Insgesamt werden in den hochentwic­kelten Staaten 87 Prozent der Subvention­en bezahlt. Umgekehrt sind 90 Prozent der weltweit 120 Millionen Menschen, die in der Fischindus­trie

arbeiten, kleine Fischer – 90 Prozent in Entwicklun­gsländern. Mit Subvention­sverboten wird der Job für zahllose ärmere Fischer unrentabel. Und das angesichts übermäßige­r Konkurrenz durch riesige Fischfangf­lotten, die in den vergangene­n 20 Jahren bereits Meeresgebi­ete vor den Küsten Argentinie­ns, Westafrika­s, Koreas und Indiens leergefisc­ht haben.

Immer öfter kommen Fischer in Gambia oder Ghana mit halbleeren Netzen heim, während einige Seemeilen weiter draußen die großen Trawler aus der EU, Russland oder China abcashen. In Ghana behelfen

sich kleine Fischer jetzt schon oft mit illegalem Fischaufka­uf von den großen chinesisch­en Schiffen.

Die Fähigkeit der EU, Russlands und vor allem Chinas, Fischfangf­lotten in weit entfernten Meeresgebi­eten einzusetze­n, werde in Zukunft Ungleichhe­it verstärken, wenn die Subvention­sverbote mitsamt Ausnahmen für Staaten mit ebendiesen Fischfangf­lotten eingeführt werden, ist die Ökonomin Ranja Sengupta überzeugt. Der Hintergrun­d ihrer Befürchtun­gen: Ausnahmen für das geplante Subvention­sverbot der WTO soll es laut Vorbereitu­ngspapier dann geben, wenn ein Staat

in Umweltschu­tzprogramm­e zum Erhalt der Fischbestä­nde investiert. Die großen, gut dokumentie­rten Programme dazu gebe es aber in den großen Staaten, argumentie­rt die Ökonomin in Delhi, die würden daher übermäßig von den Ausnahmen profitiere­n und ihre Fangflotte­n weiter unterstütz­en können. 10.000 Tonnen Thunfisch durfte die EU zum Beispiel bisher jährlich legal vor dem Senegal fischen – zum Billigstpr­eis. Die ärmeren Entwicklun­gsländer aber verfügen noch nicht über die Infrastruk­tur für das Monitoring von Umweltschu­tzprogramm­en, sie würden die Kriterien für Ausnahmen vom geplanten Subvention­sverbot also nicht schaffen und dürften den Erwerb von Booten, Technologi­en für die Kühlung der Fische, Lagerhalle­n etc. nicht mehr öffentlich unterstütz­en.

Die zahllosen kleinen Fischer werden nach den Berechnung­en des Third World Network auch übermäßig von geplanten weiteren Regelungen eingeengt werden. So seien die zwölf Seemeilen, innerhalb derer laut Verhandlun­gspapier künftig mit Subvention für Netze und anderes gefischt werden darf, eine zu scharfe Grenze. Sie kann von kleinen Fischern, die den Schwärmen folgen, nicht immer eingehalte­n werden. Und vor allem erzeuge die Genehmigun­g von Ausnahmen für jeweils nur zwei Jahre hohe bürokratis­che Hürden und Unplanbark­eit. „Die Fischer in Indien werden noch länger arm bleiben“, sagt Ranja Sengupta. Die Vorschläge dazu wurden zwar etwas verbessert in den vergangene­n Monaten, das sei aber noch lange nicht genug.

Gegen Hunger und Armut

Im September hat der Präsident Kenyas, Uhuru Kenyatta, eine Rede zur Fischereid­ebatte gehalten und erklärt, die kleinen Fischer seien der Schlüssel, um weltweit gegen Hunger und Armut anzugehen, und die Bedürfniss­e kleiner Fischer müssten das Herz künftiger „blue food policies“werden.

Interessan­t wird der Umgang mit dem WTO-Mitglied China. Im Land, das sich in der WTO als Entwicklun­gsland einstuft, gibt es de facto keine Wirtschaft­sbereiche, die wirklich unabhängig vom Staat funktionie­ren. Aber ob es zu hintergrün­digen Wirtschaft­sdebatten kommt, ist fraglich. Wahrschein­licher ist der übliche Schlagabta­usch der Nationen: So haben die USA auch einen Passus zur Beobachtun­g von Zwangsarbe­it auf den Schiffen vorgeschla­gen, China und Russland haben ihn schon zurückgewi­esen.

 ?? ?? Riesige Fangflotte­n sind auf den Weltmeeren unterwegs – zum Teil staatlich subvention­iert. Das hat vielfach verheerend­e Folgen für die Umwelt, aber auch für kleine Fischer.
Riesige Fangflotte­n sind auf den Weltmeeren unterwegs – zum Teil staatlich subvention­iert. Das hat vielfach verheerend­e Folgen für die Umwelt, aber auch für kleine Fischer.

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