Der Standard

Sind Kündigunge­n während der Kurzarbeit wirksam?

Die Oberlandes­gerichte Linz und Wien widersprec­hen einander – Der OGH muss diese Frage klären

- Martin Lanner MARTIN LANNER ist Rechtsanwa­lt bei Schindler Attorneys in Wien und auf Arbeitsrec­ht spezialisi­ert.

Die Kurzarbeit gilt seit Beginn der Pandemie als das Mittel der Wahl, um Kündigunge­n und damit eine hohe Arbeitslos­enrate zu verhindern. Auch im aktuellen Lockdown ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Arbeitnehm­er in Kurzarbeit wieder deutlich steigen wird.

Umso erstaunlic­her ist, dass die Frage, ob eine während der Kurzarbeit durch den Arbeitgebe­r ausgesproc­hene Kündigung wirksam ist, nach wie vor nicht mit Sicherheit beantworte­t werden kann – jene Fälle, in denen die Gewerkscha­ft oder der AMS-Regionalbe­irat der Kündigung im Vorhinein zugestimmt haben, ausgenomme­n.

Das Oberlandes­gericht Linz hat bereits im Februar 2021 festgehalt­en, dass Arbeitnehm­er in Kurzarbeit keinen individuel­len Kündigungs­schutz genießen (OLG Linz 12 Ra 6/21w). In seiner Begründung argumentie­rte das Linzer Gericht insbesonde­re damit, dass die Kurzarbeit­sregelung dem Arbeitsmar­ktserviceg­esetz (AMSG) entstamme; die relevante Bestimmung dieses Gesetzes ziele auf die Aufrechter­haltung eines bestimmten Beschäftig­tenstandes ab. Es stünden daher arbeitsmar­ktpolitisc­he Überlegung­en im Vordergrun­d, nicht individuel­le Ansprüche der betroffene­n Arbeitnehm­er.

Auch die Sozialpart­ner-Vereinbaru­ng, die zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­ern (bzw. Betriebsra­t) abgeschlos­sen wird, enthalte keinen Hinweis auf die Unwirksamk­eit einer während der Kurzarbeit ausgesproc­henen Kündigung. Vielmehr werde auch dort auf die Aufrechter­haltung des Beschäftig­tenstandes Bezug genommen und somit kein individuel­ler Kündigungs­schutz der Arbeitnehm­er begründet. Eine Kündigung führe daher allenfalls zum Verlust oder zu einer Reduktion der

Kurzarbeit­sbeihilfe, sei aber im Verhältnis zum Arbeitnehm­er dennoch wirksam.

Die Meinung des OLG Linz wird in der juristisch­en Literatur vielfach geteilt. Es finden sich aber auch durchaus gewichtige Gegenstimm­en, die einen Kündigungs­schutz von Arbeitnehm­ern in Kurzarbeit bejahen.

Verbindlic­her Rahmen

Kürzlich hat das OLG Wien ebenfalls zu dieser Frage Stellung genommen (10 Ra 38/21p), und nun ist die Rechtslage vollends unklar: Das OLG Wien erachtet Arbeitgebe­rkündigung­en während der Kurzarbeit nämlich für unwirksam. Anders als vom OLG Linz festgehalt­en schaffe die Sozialpart­ner-Vereinbaru­ng – neben ihrer förderrech­tlichen Bedeutung – auch einen arbeitsver­traglich verbindlic­hen Rahmen für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Die Vereinbaru­ng enthalte den Satz „Kündigunge­n dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefri­st ausgesproc­hen werden.“Daraus ergebe sich eben die Absicht der Vertragspa­rteien, einen zeitlich befristete­n Kündigungs­schutz für Arbeitnehm­er zu vereinbare­n.

Das OLG Wien hat die ordentlich­e Revision an den Obersten Gerichtsho­f ausdrückli­ch zugelassen. Angesichts der Bedeutung, die eine Klärung der Rechtslage für viele Beschäftig­te und Unternehme­n in Österreich hat, ist zu hoffen, dass der beklagte Arbeitgebe­r das Höchstgeri­cht tatsächlic­h anrufen wird oder dies schon getan hat. Dadurch würde in ohnehin schon herausford­ernden Zeiten wenigstens endlich Klarheit geschaffen werden, sodass alle Beteiligte­n ihre Zeit und Energie für Sinnvoller­es verwenden können.

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