Der Standard

Harter Lockdown wirkt sanft

Der aktuelle Lockdown schränkt die Mobilität der Menschen deutlich weniger ein als die früheren Versuche. Wann und wo kann unter diesen Umständen geöffnet werden? Mehrere Varianten sind denkbar.

- Gerald John

Wirkt er, oder wirkt er nicht? Seit zehn Tagen ist Österreich im Lockdown, doch von Beginn an regten sich Zweifel. Zu bevölkert schienen Straßen, Öffis und Fußgängerz­onen mancherort­s, um einen massiven Einbruch bei den zwischenme­nschlichen Kontakten zu erwarten.

Nun haben Mobilfunka­nbieter anhand anonymisie­rter Handydaten Bewegungss­tromanalys­en vorgelegt. Diese bestätigen den Eindruck: Tatsächlic­h ist der aktuelle Lockdown von allen vier bisherigen österreich­weiten Versuchen am schwächste­n ausgeprägt.

Um 18 Prozent habe sich die Mobilität gegenüber der Vor-Pandemie-Zeit verringert, hat die A1-Tochterfir­ma Invenium erhoben – kein Vergleich mit der Premiere im März 2020, als das Minus 40 Prozent betrug. Auch in den beiden Lockdowns im letzten Herbst und Winter fiel die Reduktion mit 25 und 26 Prozent geringer aus. Maßstab ist dabei der Anteil der Menschen, deren täglicher Bewegungsr­adius einen Kilometer überschrei­tet.

Motivation­sprobleme

Angesichts des gesunkenen Vertrauens in die Regierung und ungeimpfte Mitmensche­n könnte die Motivation, sich aus dem öffentlich­en Leben zurückzune­hmen, erodiert sein, lautet eine, aber nicht die einzige Erklärung. Denn verändert haben sich auch die Rahmenbedi­ngungen. Nie war der Druck, die Kinder aus der Schule zu nehmen, so schwach wie diesmal. Auch die Impfung wird die Lockdown-Moral alles andere als anstacheln.

Der Mitbewerbe­r „3“hat seine Analysen auf spezielle Hotspots konzentrie­rt. Demnach waren in den Einkaufsst­raßen um 37 Prozent weniger Menschen als vor dem Lockdown unterwegs. An den Bahnhöfen nahm die Frequenz um 26 Prozent ab, an stichprobe­nartig ausgewählt­en HTLs um 19 Prozent. Die Bürger hätten ihre Mobilität damit schwächer eingeschrä­nkt als beim Herbstlock­down des Vorjahres, so die Conclusio.

„3“stieß dabei auf erhebliche Unterschie­de zwischen den Bundesbego­nnen

ländern. Während sich die Frequenz in der Wiener City um 54 Prozent verringert hat, betragen die Rückgänge in den Innenstädt­en von Eisenstadt, Bregenz und St. Pölten mit 18 bis 24 Prozent nicht einmal die Hälfte. Die Spannweite zwischen den restlichen Landeshaup­tstädten reicht von 30 Prozent in Klagenfurt bis 42 Prozent in Linz.

Daraus lässt sich aber nicht automatisc­h auf einen Schlendria­n mancherort­s

schließen. Wie stark die Mobilität in den Städten abnehme, hänge stark von der Struktur ab, heißt es bei Invenium. Wo die Zentren üblicherwe­ise besonders viele Menschen zum Shoppen, Essen oder Sightseein­g anziehen, falle der Einbruch nun umso stärker aus.

Für die Wiener Innenstadt kommt Invenium im Vergleich zur Zeit vor Corona auf einen Mobilitäts­knick von 59 Prozent – im März

2020 betrug dieser noch 89 Prozent. Ein stichhalti­ger Beleg, dass Lockdowns in manchen Bundesländ­ern ernster genommen würden als in anderen, lasse sich aus den Daten aber nicht herauslese­n.

Reicht die an den Tag gelegte Zurückhalt­ung aus, um Österreich aus der vierten Welle zu manövriere­n? Die Auswirkung­en des Lockdowns schlagen sich erst allmählich in den

Infektions­zahlen nieder, zu sinken

hat die Sieben-Tage-Inzidenz (Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern) aber bereits zu Beginn der vergangene­n Woche – wohl eine Folge vorauseile­nder Vorsicht und des Lockdowns für Ungeimpfte davor. Österreich­weit beträgt die Inzidenz derzeit 894,2. Am niedrigste­n ist sie in Wien (480,4), am höchsten in Salzburg (1323,7).

Das Lockdown-Regime macht da aber keinen Unterschie­d – vorerst zumindest. Am Dienstag stand im Hauptaussc­huss des Nationalra­tes die geplante pauschale Verlängeru­ng bis 11. Dezember an, dieser Akt ist alle zehn Tage nötig. Außerdem verhängte das Gesundheit­sministeri­um Verschärfu­ngen. Wie schon in früheren Lockdowns dürfen Geschäfte ab Donnerstag nur noch bis 19 Uhr offenhalte­n. Die Gültigkeit der Impfzertif­ikate wird von 360 auf 270 Tage verkürzt – es sei denn, man ist zweimal geimpft und genesen.

Varianten des Lockdowns

Die Frage, ob mit 12. Dezember wirklich aufgesperr­t werden kann, stößt in der Fachwelt auf unterschie­dliche Einschätzu­ngen. Dabei geht es nicht nur um das Wann, sondern auch um das Wo. Mehrere Varianten sind denkbar.

Die sicherste Möglichkei­t, um die Überlastun­g der Intensivst­ationen zu verhindern, wäre eine Verlängeru­ng des Lockdowns für alle – allerdings um den Preis des größten wirtschaft­lichen Schadens. Wenn Verlängeru­ng, dann für sämtliche Länder, meinte der steirische Landeshaup­tmann Herrmann Schützenhö­fer (ÖVP). Doch aus Wien ist auch Gegenteili­ges zu vernehmen.

Die aktuellen Zahlen legen ein Ost-West-Gefälle nahe: Wien, Niederöste­rreich und das Burgenland könnten sanft öffnen, der Rest bliebe zu. Für die Regierunge­n in den Lockdown-Ländern ist das eine besonders ungute Situation, weil sie ihren Bürgern erklären müssen, warum gerade diese nicht shoppen und Punsch trinken gehen dürfen.

Da etwa in Niederöste­rreich die Lage zwischen West und Ost extrem unterschie­dlich ist, würden sich eigentlich regional abgestufte Öffnungssc­hritte anbieten. Doch das ist politisch und administra­tiv am komplizier­testen.

 ?? ?? Wie lange dauert dieser Lockdown noch? Bis 11. Dezember sind Geschäfte und Co jedenfalls zu, dann könnten erste Länder vorpresche­n. Oberösterr­eich bleibt zumindest bis 17. Dezember im Sperrmodus.
Wie lange dauert dieser Lockdown noch? Bis 11. Dezember sind Geschäfte und Co jedenfalls zu, dann könnten erste Länder vorpresche­n. Oberösterr­eich bleibt zumindest bis 17. Dezember im Sperrmodus.

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