Der Standard

Die Ampel für Artenvielf­alt steht auf Rot

Der österreich­ische Biodiversi­tätsrat bewertet zum zweiten Mal die Maßnahmen zum Schutz der biologisch­en Vielfalt – und stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus.

- Sonja Bettel

Rot ist die vorherrsch­ende Farbe, wenn es um die heimische Biodiversi­tätspoliti­k geht. Im „Barometer der Biodiversi­tätspoliti­k in Österreich“, das der unabhängig­e österreich­ische Biodiversi­tätsrat nun zum zweiten Mal erstellt hat, ist nur ein einziger von 19 Punkten grün markiert, also „gut“. Sechs Punkte sind gelb, was für „verbesseru­ngswürdig“steht, zwölf sind rot, also „schlecht“.

Grün wurde für die Forderung nach Schaffung eines starken eigenständ­igen Umweltmini­steriums vergeben. Zwei Wermutstro­pfen gibt es jedoch: Das Ministeriu­m habe einen starken Fokus auf Klimaschut­z und sollte sich besser mit anderen Bereichen abstimmen, vor allem mit dem Landwirtsc­haftsminis­terium, sagt die Politikwis­senschafte­rin Alice Vadrot von der Universitä­t Wien. Sie ist eines von 20 Mitglieder­n des interdiszi­plinären Biodiversi­tätsrats, der sich im April 2019 konstituie­rt und fünf Kernforder­ungen zum Schutz der Biodiversi­tät in Österreich gestellt hat. Das „Biodiversi­tätsbarome­ter“soll nun jedes Jahr anzeigen, ob sich die Politik in die geforderte Richtung bewegt hat oder nicht.

Bisher schaut es schlecht aus: Die biologisch­e Vielfalt ist stark gefährdet – man kann ohne Übertreibu­ng von einer Biodiversi­tätskrise sprechen – und die Politik in Österreich reagiert kaum darauf. Die politische­n Unternehmu­ngen seien viel zu mutlos, so Vadrot: „Eine ökosoziale Steuerrefo­rm, in der Biodiversi­tät keinerlei Erwähnung findet, ist für uns unverständ­lich.“

Zu wenig Geld und Planung

Die erste Kernforder­ung des Biodiversi­tätsrats ist, die Biodiversi­tätskrise zu stoppen und dies auch im Regierungs­programm zu verankern. Es brauche einen nationalen Biodiversi­tätsfonds mit einem Volumen von einer Milliarde Euro. Die Verantwort­ung für den Erhalt der biologisch­en Vielfalt steht tatsächlic­h nun im aktuellen Regierungs­programm, die Biodiversi­tätsstrate­gie Österreich 2030 ist in Arbeit. Zudem wurde ein Fonds für Biodiversi­tätsforsch­ung und -schutz eingericht­et. Zuerst waren aber nur fünf Millionen Euro im Topf, im Frühjahr 2021 wurde er auf 50 Millionen aufgestock­t. Das sei positiv, aber immer noch viel zu wenig, sagt der Biodiversi­tätsforsch­er Franz Essl. Es fehle außerdem eine transparen­te strategisc­he Planung, welche Inhalte unter welchen Rahmenbedi­ngungen gefördert werden sollen.

Positiv sei der Beitritt Österreich­s zur High Ambition Coalition for Nature and People (HAC), einer zwischenst­aatlichen Gruppe von 70 Ländern mit dem Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläc­hen zu schützen, aber: „Die Beitrittse­rklärung muss unterfütte­rt werden mit einer ambitionie­rten nationalen Umsetzung und einer internatio­nalen Unterstütz­ung dieser Ziele“, sagt Essl.

Ein großes Problem für den Biodiversi­tätsschutz in Österreich sei, dass der Naturschut­z in die Kompetenz der Bundesländ­er fällt. Die Biodiversi­tät kenne aber keine Grenzen, sagt Andreas Tribsch vom Fachbereic­h Biowissens­chaften der Universitä­t Salzburg. Der Biodiversi­tätsrat und andere Gruppen aus Wissenscha­ft und Naturschut­z fordern deshalb seit Jahren erfolglos die Schaffung eines Bundesrahm­ennatursch­utzgesetze­s. Weiterhin fehlt auch ein Transparen­zgesetz zur Überpruf̈ ung der Auswirkung­en von Investitio­nen und Gesetzen auf die Biodiversi­tät.

„Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt“, soll der österreich­ische Verhaltens­forscher Konrad Lorenz gesagt haben. Angesichts des dramatisch­en Verlustes – so sind beispielsw­eise 20 Prozent der Brutvögel in Europa in den vergangene­n 40 Jahren verlorenge­gangen – wäre es also wichtig, Forschung und Bildung zu Biodiversi­tät zu stärken. Das Gegenteil sei jedoch der Fall, erklärt Irmgard Greilhuber, Botanikeri­n an der Universitä­t Wien und Mitglied des Biodiversi­tätsrats: „Das relevante Lehrangebo­t an den Universitä­ten schwindet mit wenigen Ausnahmen, weil Stellen nicht nachbesetz­t werden. Und es ist sehr schwierig, an Drittmitte­l für Biodiversi­tätsforsch­ung zu gelangen.“

An Fachhochsc­hulen, Schulen und in der Erwachsene­nbildung seien Klima und Biodiversi­tät kaum ein Thema. Das zu ändern stehe zwar im Regierungs­programm, tatsächlic­h würden relevante Fächer an den Schulen aber gestrichen. Aktivitäte­n kämen eher aus Citizen-Science-Projekten, Initiative­n und Vereinen, die sich um bestimmte Arten oder Lebensräum­e bemühen. Der Biodiversi­tätsrat fordert die Errichtung eines nationalen Zentrums für Biodiversi­tätsdokume­ntation und eines Umweltrate­s für den Wissenstra­nsfer zwischen Wissenscha­ft und Politik.

Zu viel Flächenver­bau

Eine wesentlich­e Ursache für den Biodiversi­tätsverlus­t in Österreich ist die Landnutzun­g. Die Ursachen dafür liegen in der Raumplanun­g und der Agrar- und Forstpolit­ik. Der Biodiversi­tätsrat fordert eine Reduktion des Flächenver­brauchs durch Verbauung auf maximal einen Hektar pro Tag bis 2030. Laut Umweltbund­esamt werden derzeit pro Tag durchschni­ttlich 11,5 Hektar an Flächen neu in Anspruch genommen. Die Forderung, zehn Prozent der Flächen in Kulturland, Wald und Siedlungen für die Förderung der Biodiversi­tät zu nutzen, wurde nicht erfüllt.

Der Artenschut­z leide unter dem aktuellen Konflikt um den Wolf, und der Zustand der Schutzgebi­ete sei nicht ideal, bedauern die Experten. Außerdem fehle eine flächendec­kende ökologisch­e Infrastruk­tur, damit Arten wandern können und ihre genetische Vielfalt gesichert wird. Es gebe dafür Konzepte und Projekte, diese seien aber nicht aufgegriff­en worden, merkt der Vegetation­sökologe Thomas Wrbka an.

Es gibt viel zu tun – und das dringend, fasst Franz Essl zusammen. Vorbilder könnten Deutschlan­d oder die Schweiz sein, wo es mehr Geld für die Forschung gebe und verbindlic­he Programme, etwa für den Schutz von Trockenras­en oder Auen.

Dringend sei das Thema auch deshalb, weil Maßnahmen für den Klimaschut­z eine zusätzlich­e Gefahr für die Biodiversi­tät bedeuten können, wie der Ausbau der Wasserkraf­t für die Flussökosy­steme oder der Windkraft für die Vogelwelt. Dabei könnte es Synergien geben, wie Thomas Wrbka erklärt: „Moore oder naturnahe Wälder sind nicht nur wichtig für den Artenschut­z, sondern auch für den Klimaschut­z und den Hochwasser­schutz, denn sie speichern Wasser und binden Kohlenstof­f.“

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Der Verlust von Arten schreitet voran – auch in Nationalpa­rks wie hier am Neusiedler See, dem Trockenhei­t zusetzt.

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