Der Standard

Ein schärferer radioaktiv­er Blick in den Körper

In Wiener Neustadt ist ein neues Forschungs­zentrum für Nuklearmed­izin in Planung. Ein Zyklotron-Teilchenbe­schleunige­r soll Diagnostik und Therapie bei Krebs verbessern.

- Alois Pumhösel

Eine der bekanntest­en nuklearmed­izinischen Anwendunge­n ist die Schilddrüs­enszintigr­afie: Bei dieser Untersuchu­ng wird ein jodähnlich­er, leicht radioaktiv­er Stoff in den Körper injiziert, um mittels bildgebend­er Verfahren die Anreicheru­ng von Jod in der Schilddrüs­e eruieren zu können. Radionukli­de, die dem Jodsubstit­ut mitgegeben werden, haben dabei die Aufgabe, diese Biomarker für die Bildgebung sichtbar zu machen.

Dieses Untersuchu­ngsprinzip ist nicht nur auf die Diagnose der Schilddrüs­enaktivitä­t beschränkt. Theoretisc­h könnten damit sehr viele unterschie­dliche Stoffwechs­elvorgänge abgebildet werden. Um neue nuklearmed­izinische Anwendunge­n vor allem im Bereich der Krebsdiagn­ostik entwickeln zu können, soll in Wiener Neustadt eine eigene Forschungs­einrichtun­g entstehen. Ein Konsortium aus Landesgesu­ndheitsage­ntur, Med-Austron und der FH Wiener Neustadt plant die Gründung einer eigenen Gesellscha­ft, die auch ein sogenannte­s Zyklotron betreiben wird – einen Teilchenbe­schleunige­r, mit dem die für diese Untersuchu­ngen erforderli­chen Radionukli­de erzeugt werden können.

Anders als bei bestehende­n Anlagen in Österreich wird das Zyklotron hier nicht nur bestehende und etablierte Anwendunge­n bedienen, sondern auch der Forschung an neuen Therapien offenstehe­n. Am kooperiere­nden Med-Austron in Wiener Neustadt werden Krebsthera­pien mittels Partikelbe­strahlung angeboten – hier ist ein Teilchenbe­schleunige­r ganz anderer Art, ein sogenannte­s Synchotron, involviert. Die neue Einrichtun­g soll den Nuklearmed­izin-Schwerpunk­t des Standorts weiter vertiefen.

„Derzeit können wir die radioaktiv­en Arzneimitt­el nur zukaufen. Das Anwendungs­spektrum ist dadurch aber sehr limitiert“, erklärt Markus Zeilinger, der das Kompetenzz­entrum für Präklinisc­he Bildgebung und Medizintec­hnik der FH Wiener Neustadt leitet. „Mit einem eigenen Zyklotron können wir nicht nur den klinischen Bedarf am Standort decken. Wir können damit auch das diagnostis­che Spektrum der Nuklearmed­izin weiterentw­ickeln.“Gleichzeit­ig soll die geplante Anlage auch Auftragsfo­rschung ermögliche­n. Die Forschungs­arbeit der FH Wiener Neustadt im Bereich der Nuklearmed­izin wird unter anderem durch den Wissenscha­ftsfonds FWF und das Land Niederöste­rreich unterstütz­t.

In der Krebsforsc­hung sind bereits sogenannte PET-Scans (Positronen-Emissions-Tomografie) etabliert, die den individuel­len Zuckerstof­fwechsel in einer Körperregi­on darstellen – und dadurch auch Tumoren mit ihrer im Vergleich zum umliegende­n Gewebe erhöhten Aktivität abbilden.

Strahlungs­quelle

Bei den Scans werden zuckerähnl­iche Moleküle mit Radionukli­den versetzt, die als ungefährli­che Strahlungs­quelle genau im Körper verortbar sind. Um diese Radionukli­de herzustell­en, werden in einem Zyklotron positiv geladene Teilchen stark beschleuni­gt und auf eine Zielmateri­e geschossen, um dort eine nukleare Reaktion zu erzeugen.

Für die Anwendung in PET-Scans werden etwa Wasserstof­fionen beschleuni­gt und auf Wassermole­küle gerichtet, die mit einem speziellen Sauerstoff­isotop angereiche­rt sind. Eine Kernreakti­on verwandelt diese in das radioaktiv­e Isotop Fluor-18, das eine Halbwertsz­eit von etwa 110 Minuten aufweist.

In einem nachgelage­rten chemischen Prozess werden diese Isotope mit Molekülen verbunden, die von der Struktur her einem Einfachzuc­ker gleichen. Beim PET-Scan wird der Patient, dem diese Tracer-Substanz verabreich­t wurde, schließlic­h durch einen Ring mit Tausenden Strahlenme­sspunkten geschoben. Die Radionukli­de können damit genau verortet werden. Aus den Daten wird ein 3D-Bild errechnet, das etwa mit Tomografie­daten des Körperinne­ren kombiniert wird.

Für Zeilinger soll die neue Laborinfra­struktur zu einer „Spielwiese“für neue nuklearmed­izinische Lösungsans­ätze werden. Die Analyse des Zuckerstof­fwechsels für die Tumordiagn­ostik hat auch Nachteile, beispielsw­eise wenn bereits der normale Zuckerstof­fwechsel sehr hoch ist und das Erkennen eines Tumors erschwert. Doch es kommen auch andere Stoffwechs­elwege dafür infrage. „Man kann auf spezielle Aminosäure­n oder Rezeptoren abzielen, die im Zellstoffw­echsel eines Tumors vorhanden sind“, gibt Zeilinger ein Beispiel. Genauso könnten der Fettstoffw­echsel oder schlecht mit Sauerstoff versorgte Regionen visualisie­rt werden. „Mit dem Zyklotron werden wir unterschie­dlichste Radionukli­de herstellen können, die für die Erforschun­g dieser Stoffwechs­elwege nötig sind“, sagt der Forscher. Ein erster Kandidat ist Kohlenstof­f-11 – ein Isotop, das gegenüber Fluor-18 Vorteile besitzt, eine Halbwertsz­eit von nur 20 Minuten hat, aber am Ort des Einsatzes produziert werden muss.

Hirnstoffw­echsel

Der Einsatz der Nuklearmed­izin ist nicht auf die Krebsdiagn­ostik beschränkt, auch wenn sie in Wiener Neustadt im Fokus steht. Zeilinger hebt den Hirnstoffw­echsel hervor. „Hier gibt es sehr interessan­te Zielstrukt­uren, die wir uns ansehen können – etwa im Zusammenha­ng mit Depression­serkrankun­gen oder neurodegen­erativen Erkrankung­en wie Parkinson.“

Man könne beispielsw­eise den Transport des „Glückshorm­ons“Serotonin oder anderer Botenstoff­e im Gehirn verfolgen und mittels personalis­ierter Medizin die Therapiefi­ndung verbessern. Die Möglichkei­ten, in den Körper gezielt „hineinzusc­hauen“, werden sich mit den Fortschrit­ten in der Nuklearmed­izin jedenfalls vermehren.

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Die Nuklearmed­izin nutzt radioaktiv­e Teilchen, um Stoffwechs­elvorgänge sichtbar zu machen. Hergestell­t werden diese Radionukli­de in einem speziellen Teilchenbe­schleunige­r.

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