Der Standard

Wie die Justiz Kurz in Bedrängnis brachte

Es war ein schwierige­s Verhältnis zwischen dem Bundeskanz­ler und der Korruption­sstaatsanw­altschaft. Sebastian Kurz unterstell­te ihr ein rotes Netzwerk – sie ermittelte weiter und saß letztlich am längeren Hebel.

- Fabian Schmid, Michael Völker

Es war am 20. Jänner 2020, ein Hintergrun­dgespräch im Springer-Schlössl in Wien-Meidling, in dem die „Akademie“der ÖVP untergebra­cht ist. Sebastian Kurz hat Innenpolit­ik-Journalist­en zu einem vertraulic­hen Termin geladen, nicht das erste Mal. Etwa 15 bis 20 Medienvert­reter sind anwesend, hauptsächl­ich Journalist­innen von Tageszeitu­ngen, aber auch Kolleginne­n vom ORF. DER STANDARD ist auch vertreten. Kurz gibt einen sehr allgemeine­n Rückblick auf die Regierungs­bildung mit den Grünen und skizziert in einem gemütliche­n Rahmen die aktuellen Themen in der Regierung. Er selbst kommt auf die Justiz zu sprechen, es geht vor allem um die Ermittlung­en der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft gegen den früheren Finanzmini­ster Hartwig Löger und andere ÖVP-nahe Persönlich­keiten in der Causa Casinos.

Kurz spricht sinngemäß aber nicht wortwörtli­ch von einem roten Netzwerk in der Staatsanwa­ltschaft. Es würden gezielt Informatio­nen und Aktenteile aus der Staatsanwa­ltschaft rausgespie­lt, um der ÖVP und letztendli­ch ihm zu schaden.

Gezielte Angriffe

Ein kleines Büffet ist aufgebaut, im Anschluss an den offizielle­n Teil, der von Kurz und seinen Medienleut­en allerdings dezidiert als „off off“, also nicht zitierbar und reiner Hintergrun­d, eingestuft wurde, kommt Kurz an den Stehtische­n mit den Journalist­en ins Gespräch. Es geht auch um sein Verhältnis zur Justiz. Es wird klar, dass Kurz die Ermittlung­en gegen Löger, den er in die Politik geholt hat und der zu diesem Zeitpunkt von den Ermittlung­en offenbar sehr angegriffe­n war, persönlich nimmt. Die Staatsanwa­ltschaft habe hier eine Agenda, sie füttere Medien gezielt mit Material. Der impliziert­e Vorwurf: Die Medien würden dadurch manipulier­t, und sie würden wiederum gezielt gegen Kurz und sein Umfeld schreiben. Kollegen weisen das noch an Ort und Stelle zurück, Kurz wird mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Akten vor allem durch die Akteneinsi­cht durch die Anwälte an die Medien geraten und nicht direkt von der Korruption­sstaatsanw­altschaft weitergere­icht würden.

Kurz bleibt dabei: Die WKStA gehe gezielt und aus politische­n Gründen gegen ihn vor. In den nächsten Tagen taucht ein uraltes Papier wieder auf, dieses würde belegen, wie die SPÖ Einfluss in der Justiz nehme. Es geht um eine Besprechun­g in einer Rechtsanwa­ltskanzlei im Jahr 1997, bei dem sich auch SPÖ-Vertreter darüber beraten, wie man mehr SPÖ-loyales Personal im Justizappa­rat etablieren könne. Kurier und Presse berichten Anfang Februar 2020 darüber, Kurz selbst ruft am Wochenende jene Medien, die das nicht aufgegriff­en haben, durch und verweist nachdrückl­ich auf diese Geschichte. Ein ganz ähnlich lautender Artikel in einer früheren Fassung wurde von einer angeblich involviert­en Person allerdings geklagt, der Kurier wurde dafür verurteilt.

Bestätigte Vorbehalte

Ein paar Tage später gibt es einen runden Tisch mit Vertretern der Justiz. Es soll eine Art Aussprache sein, genutzt hat das offenbar nicht viel. Zumindest Kurz sieht sich in seinen Vorbehalte­n bestätigt: Nach dem Termin tritt Kurz vor die Presse und erklärt unter anderem, „hochrangig­e Journalist­en“hätten ihm gegenüber bestätigt, Akten aus der Staatsanwa­ltschaft erhalten zu haben. Es folgt deswegen eine Anzeige der Neos, Kurz wird von einem Staatsanwa­lt einvernomm­en; der Inhalt dieser Aussage ist bis heute nicht bekannt.

Die WKStA lässt sich jedenfalls nicht beirren. Vor allem die tausenden Nachrichte­n, die auf dem Handy von Thomas Schmid sichergest­ellt wurden, bringen Kurz immer mehr in Bedrängnis. Die Einschläge rücken immer näher an Kurz heran: Nun taucht er selbst in peinlichen Chatnachri­chten auf. In Anordnunge­n der WKStA wird er nun ganz offiziell zur zentralen Figur. Etwa im Februar 2021, als erstmals in der Geschichte der Republik eine Hausdurchs­uchung bei einem Finanzmini­ster durchgefüh­rt wurde. Gernot Blümel, seit Jahren einer der engsten Vertrauten Kurz’, wird vorgeworfe­n, ein korruptes Angebot der Novomatic an den damaligen Außenminis­ter weitergetr­agen zu haben. Die ÖVP beginnt als Reaktion darauf, ihre Angriffe auf die WKStA zu intensivie­ren. Der Kanzler persönlich wirft den Ermittlern „viele Verfehlung­en“vor.

Es ist wohl auch ein Vorbau für den Moment, in dem Kurz selbst zum Beschuldig­ten werden würde. Erwartet wurde schon im Frühjahr eine Großaktion der WKStA samt schwerwieg­enden Korruption­svorwürfen. Doch die bleibt vorerst aus: Stattdesse­n wirft die Staatsanwa­ltschaft dem Kanzler vor, den IbizaUnter­suchungsau­sschuss falsch informiert zu haben. Politisch hätte Kurz das überleben können: Gerade bei dem Delikt der Falschauss­age lässt sich die Erzählung aufbauen, Kurz habe nicht absichtlic­h gelogen oder sei falsch verstanden worden.

Spätestens ab September ist jedoch spürbar, dass da noch mehr gegen Kurz kommen würde. Nervös veranstalt­et die ÖVP zwei bizarre Pressekonf­erenzen, in denen über bevorstehe­nde Hausdurchs­uchungen gemutmaßt wird. Am 6. Oktober ist es dann so weit: In einer Großaktion durchsuche­n Ermittler auf Anordnung der WKStA mehr als zwanzig Orte, darunter die ÖVPSebasti­an

Zentrale und das Bundeskanz­leramt. Dem damaligen Kanzler bleibt eine Razzia wohl nur deshalb erspart, weil sein Personensc­hutz – der vorgewarnt werden müsste – die Angelegenh­eit verkompliz­iert hätte.

Die WKStA wirft engen Beratern und Kurz selbst vor, einen korrupten Deal mit einer Meinungsfo­rscherin und den Fellner-Brüdern abgeschlos­sen zu haben. Dabei geht es um beeinfluss­bare Berichters­tattung, Inserate, manipulier­te Umfragen und Scheinrech­nungen, die dem Finanzmini­sterium gestellt wurden. Alle Beteiligte­n bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Doch abseits der strafrecht­lichen Vorwürfe sind die Chatnachri­chten, die im Durchsuchu­ngsbefehl angeführt wurden, politisch zu brisant und die Vorwürfe gegen Kurz – nämlich Anstiftung zu Bestechlic­hkeit und Untreue – zu schwerwieg­end, um politisch folgenlos zu bleiben. Mit all ihrem politische­n Gewicht zwingen die Grünen den Kanzler zum Rücktritt. Für ihn ist es vorläufig nur ein „Schritt zur Seite“, nämlich in den ÖVP-Parlaments­klub, dem er als Obmann vorsteht. Parteichef bleibt er vorerst.

Schmutzkam­pagnen

In den folgenden Wochen versucht die ÖVP intensiv, den AltKanzler durch sogenannte Ligitation-PR reinzuwasc­hen: Durch bezahlte Gutachten, Hintergrun­dgespräche und Schmutzkam­pagnen gegen investigat­ive Journalist­en sowie die WKStA. Noch am Montag ruft Kurz bei Redakteure­n an, um seine Sicht auf die Einvernahm­e von Ex-Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) darzulegen. Am Donnerstag schließlic­h wendet sich Kurz zuerst an die Kronen Zeitung, dann beruft er eine Pressekonf­erenz ein und verkündet seinen Rückzug aus der Politik.

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Die Auseinande­rsetzung mit der Justiz hat Sebastian Kurz auf seinem politische­n Weg begleitet.

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