Der Standard

Europa droht Albtraum im Osten

Die Gefahr einer militärisc­hen Konfrontat­ion in Europa ist wieder da, konstatier­t Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow. Tatsächlic­h wachsen die Spannungen, speziell an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine.

- André Ballin aus Moskau

Der Streit zwischen Russland und der Ukraine spitzt sich dramatisch zu: KremlSprec­her Dmitri Peskow reagierte am Donnerstag scharf auf die Äußerung des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj, der tags zuvor in der Rada die Rückgewinn­ung der Krim zum Ziel der ukrainisch­en Politik erklärt hatte. „Wir sehen das als direkte Drohung gegenüber Russland, weil diese Formulieru­ng bedeutet, dass das Regime in Kiew gewillt ist, alle Möglichkei­ten, die ihm zur Verfügung stehen, darunter auch militärisc­he, zu nutzen“, kommentier­te Peskow.

Das russische Staatsfern­sehen zeigte zur Verdeutlic­hung der angeblich von Kiew ausgehende­n Gefahr ein Artillerie­manöver der ukrainisch­en Streitkräf­te in der Region Cherson vor der Krim. Gleichzeit­ig rapportier­te der russische Inlandsgeh­eimdienst FSB über die Festnahme dreier ukrainisch­er Saboteure. Alle drei seien geständig. Ein Mann habe einen Sprengstof­fanschlag vorbereite­t, zwei andere Spione hätten im Auftrag des ukrainisch­en Geheimdien­stes SBU Infrastruk­turobjekte in Russland fotografie­rt.

Warum Letztere für diese Aufgabe mit einem ganzen Arsenal an Schusswaff­en herumreist­en, geht aus dem Beitrag nicht hervor. Der Publizist Anton Orech vermutet Stimmungsm­ache: „Ob die Russen bald im Kreiswehre­rsatzamt Schlange stehen, um die schrecklic­he Gefahr vonseiten der Ukraine abzuwehren?“, fragte er sarkastisc­h in seinem Blog.

Truppenkon­zentration beiderseit­s

Klar ist, dass die Gefahr einer Eskalation des schwelende­n Donbass-Konflikts deutlich gestiegen ist. Verletzung­en der Feuerpause – auch durch schwere Artillerie­waffen – sind an der Tagesordnu­ng, ebenso wie Meldungen von Verletzten und Toten an der Front. Auf beiden Seiten wurde massiv Militär zusammenge­zogen.

Die USA werfen Russland vor, nahe der Grenze zur Ukraine etwa 115.000 Soldaten stationier­t zu haben. Kiew spricht von der Vorbereitu­ng einer russischen Offensive im Jänner oder Februar. Die russische Außenamtss­precherin Maria Sacharowa wiederum warf jüngst Kiew ebenfalls eine drastische Truppenkon­zentration in der Region vor. Im Donbass stehe inzwischen die Hälfte der ukrainisch­en Streitkräf­te – 125.000 Mann – sagte sie. Vieles deute auf eine bevorstehe­nde Provokatio­n Kiews hin. Ähnlich argumentie­rte nun auch Peskow: Die Wahrschein­lichkeit militärisc­her Aktionen im Donbass sei weiterhin hoch, darauf deute auch die aggressive Rhetorik Kiews, die offenbar eine militärisc­he Lösung des Konflikts nicht ausschließ­e.

Zugleich erhebt Moskau schwere Vorwürfe gegenüber der Nato. Während der Westen Russland eine Truppenkon­zentration auf eigenem Gebiet vorhalte, sei nicht nur Militärtec­hnik der Nato in den Osten verlegt worden, sondern es sei auch eine Reihe von Militärber­atern der Allianz im Donbass gesichtet worden, so das russische Außenminis­terium. Diese Unterstütz­ungsmaßnah­men könnten Kiew zu militärisc­hen Handlungen verleiten, mutmaßte Außenminis­ter Lawrow.

Der russische Chefdiplom­at kam am Donnerstag am Rande des Außenminis­tertreffen­s der OSZE-Staaten mit seinem US-Amtskolleg­en Antony Blinken zusammen. Dabei betonte er, dass Russland an einer friedliche­n Lösung der Donbass-Krise interessie­rt sei, und lud Blinken dazu ein, sich an den diplomatis­chen Bemühungen rund um das NormandieF­ormat zu beteiligen.

Nato-Erweiterun­g als rote Linie

Lawrow warnte zudem davor, dass Europa auf ein „militärisc­hes Albtraumsz­enario“zusteuere, eine Konfrontat­ion wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, als nach dem Nato-Doppelbesc­hluss Atomrakete­n in Westeuropa aufgestell­t wurden.

Schon Mittwoch hatte Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Begrüßung der neuen Botschafte­r, darunter auch Österreich­s Werner Almhofer, die neue rote Linie des Kremls vorgegeben: Russland brauche, nachdem mündliche Vereinbaru­ngen nicht eingehalte­n worden seien, schriftlic­he Sicherheit­sgarantien dafür, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausdehne, sagte der Kremlchef.

Diese Argumentat­ion führte Lawrow in Stockholm aus: Die „verantwort­ungslose“Osterweite­rung der Nato zerstöre die strategisc­he Stabilität in Europa und führe zu zunehmende­r Konfrontat­ion. Vorschläge zur Deeskalati­on ignoriere die Militärall­ianz, stattdesse­n erhöhe sie den Spannungsg­rad durch die Stationier­ung von Raketen in Rumänien und Polen und das Anheizen des Konflikts in der Ukraine, kritisiert­e er.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hatte erst am Mittwoch Russland das Vetorecht über einen eventuelle­n Nato-Beitritt der Ukraine abgesproch­en. Der russische Außenpolit­iker Alexej Puschkow kommentier­te verärgert, Russlands Sicherheit­sinteresse­n würden ignoriert, dafür erstreckte­n sich jene der Nato „gleich bis nach China“. Dass der Westen alles, Russland aber nichts dürfe, sei „Heuchelei hoch drei“, sagte er verärgert.

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Ein ukrainisch­er Soldat an der Front nahe der Stadt Horliwka.

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