Vorbereitung für den Straßenkampf
Stadt Wien und Land Niederösterreich wollen um die Realisierung der vom Verkehrsministerium gestoppten S1-Außenring-Schnellstraße samt Lobautunnel kämpfen. Verkehrsexperten empfehlen eine Redimensionierung.
Wenn es gegen die grüne Umweltministerin geht, versammeln sich Landespolitiker von SPÖ und ÖVP besonders gern auf einer Bühne. So geschehen am Donnerstag anlässlich einer Pressekonferenz im Wiener Rathaus. Anlass für den Paarlauf war jene Entscheidung von Leonore Gewessler, die seither die Emotionen in den Landesregierungen von Wien und Niederösterreich hochkochen lässt: das Aus für den jahrelang geplanten – und umstrittenen – Schellstraßenabschnitt der S1 zwischen Schwechat und Süßenbrunn inklusive Lobautunnel.
Die Absage der Nordostumfahrung sowie der Marchfeld-Schnellstraße (S8) sei eine Verhöhnung der verkehrsgeplagten Ostregion und ein Schlag ins Gesicht der Menschen in Wien und Niederösterreich. Die Ministerin habe die einzige Lösung zur Entlastung von Wohngebieten gestrichen, beklagten die Wiener Verkehrs- und Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und der niederösterreichische Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP).
„Jede kleinere Stadt hat eine Umfahrung, nur die Millionenstadt Wien nicht“, echauffierte sich Sima. Für die Umfahrung der 3000Einwohner-Gemeinde Rainbach in Oberösterreich habe Gewessler grünes Licht gegeben. Wienerinnen und Wiener hingegen würden nicht vor Durchzugsverkehr und Lärm geschützt. „Hier wird der Verkehr weiter durch die Stadt donnern.“
Rechtliche Schritte prüfen
Gemeinsam wollen Wien und Niederösterreich nun rechtliche Schritte gegen die Absage der Wiener Außenring-Schnellstraße (S1), wie die Nordostumfahrung korrekt heißt, prüfen. Details zu konkreten Möglichkeiten ließen die beiden offen. Schleritzko polterte allerdings: „Auch eine Ministerin steht nicht über dem Gesetz, in dem Fall dem Bundesstraßengesetz.“
Im Bundesstraßengesetz findet sich unter Paragraf 37 tatsächlich eine lange Liste von längst verwirklichten und geplanten „Bundesstraßen A“und „Bundesstraßen S“, also vom Bund (im Wege der Asfinag) finanzierten, errichteten und betriebenen Bundesautobahnen und Bundesschnellstraßen beziehungsweise deren Teilabschnitten. Über einen Zeitplan der Realisierung steht im Gesetz kein Wort.
So findet sich die Weinviertel-Schnellstraße (S3) auf dieser Liste, die allerdings bereits vor Jahren begraben wurde – diesfalls im Einvernehmen mit dem Land Niederösterreich. Die dazugehörige Streichung aus dem Bundesstraßengesetz erfolgte freilich nie.
Bei der S1 dürfte es – das ist aus dem Widerstand abzuleiten – wohl anders laufen. Für eine Streichung aus dem Gesetz bräuchte die Verkehrsministerin jedenfalls den Sanktus des Koalitionspartners ÖVP, der eher nicht zu bekommen ist, oder nur zu einem hohen Preis.
Folgt man allerdings der Argumentation des Rechnungshofs (RH), müsste Gewessler für den angekündigten Stopp von S1, S8, S34 oder S36/S37 eine Strategische Prüfung Verkehr (SP-V) durchführen. Denn wohl handelte es sich damals bei der Streichung von Straßen aus dem Bundesstraßengesetz um noch nicht realisierte Projekte, hinsichtlich der verkehrlichen Wirkung dieser Streichung sei aber so ein von der EU vorgeschriebenes „Screening“unerlässlich. Als Beispiele führte der RH die Streichung der Anfang der 2000er
Jahre geplanten Stadtautobahn A24 (von der A23 nach Rothneusiedl) oder die ursprünglich als Nordostumfahrung angedachte Verlängerung der A23 über die Donau an, die dann später durch die nunmehr umstrittene S1 samt Lobautunnel ersetzt wurde.
Wie die S1 heute war auch die damalige Variante als Entlastung für die Donaustadt und die A23 verkauft worden. Die Auswirkungen dieser Änderung auf das niederrangige Straßennetz hätte das Ministerium prüfen müssen, schrieb der Rechnungshof. Das Ministerium verneinte. Aus den der Umweltverträglichkeitsprüfung zugrunde liegenden Verkehrsprognosen für S1 und A23 bis 2035 ist die behauptete Entlastung allerdings nicht abzulesen – DER STANDARD berichtete.
Minimum 24.000 Fahrzeuge
Eine solche Strategische Prüfung ist übrigens auch in die andere Richtung notwendig, um die Voraussetzungen zu prüfen, ob eine Straße überhaupt ins hochrangige Straßennetz aufgenommen werden darf. Das wichtigste Kriterium dabei: das Verkehrsaufkommen. Diesbezüglich nimmt es der Gesetzgeber nicht so genau, der von der Asfinag verwendete Richtwert von mindestens 24.000 Kfzs pro Werktag wurde oft nicht eingehalten und 2018 eliminiert.
Wie auch immer der nun anstehende Poker um alternative Varianten ausgehen wird, um die rasche Umsetzung der Beschleunigung und Intervallverdichtung im Straßenbahnund Busnetz wird die Stadt nicht herumkommen. Barbara Laa, Verkehrsexpertin der TU Wien, empfiehlt eine Redimensionierung und den zügigen Öffi-Ausbau, der lange vor der Fertigstellung allfälliger Straßen startklar sein müsse. „Neue Straßen allein bringen keine Entlastung, das dauert auch zu lang.“
Wie geplant durchziehen will Sima die Stadtstraße zwischen der A23 Hirschstetten und Seestadt Aspern. Die dazugehörige Spange Aspern hat Gewessler zugesagt. Der Konflikt ist damit programmiert: Die Aktivisten an den Baustellen wollen nicht weichen, ehe auch die Stadtstraße fällt.