Der Standard

Spalten fürs Klima

Während einige Staaten kurz vor dem endgültige­n Atom-Aus stehen, ist die Technologi­e internatio­nal auch wegen ihrer angeblich guten CO2-Bilanz auf dem Vormarsch. Doch wie gut oder schlimm ist Atomenergi­e für das Klima?

- FAKTENCHEC­K: Philip Pramer und Fabian Sommavilla Langfassun­g auf derStandar­d.at/Zukunft

Kaum ein Thema spaltet die Gesellscha­ft so sehr wie: die Spaltung von Atomen. Für die einen ist es die notwendige Brückentec­hnologie, bis uns Erneuerbar­e weitgehend emissionsf­rei mit Energie versorgen. Für die anderen ist die Kernkraft nach wie vor ein gemeingefä­hrliches und teures Projekt, das uns früher oder später auf den Kopf fallen wird. Aber was ist nun wirklich dran am Klimarette­r Atomkraft?

Ist Atomenergi­e emissionsf­rei?

CO2-frei ist Atomenergi­e in ihrer Gesamtheit freilich nicht. Ein Atomkraftw­erk (AKW) zu errichten verbraucht große Mengen an Beton, Stahl und Energie, wodurch natürlich Kohlendiox­id emittiert wird. Der Abbau eines AKWs dauert aufgrund verstrahlt­er Bauteile oft genauso lang wie die Aufbauzeit. Das bindet Ressourcen – ebenso wie der Abbau von Uran, die globale Auslieferu­ng aus den großen Abbaugebie­ten in Australien Südafrika, Namibia, Russland, Kanada oder den USA und dessen Anreicheru­ng. Auch die Errichtung von Zwischen- und Endlagern für verbraucht­e Brennstäbe und anderen verstrahlt­en Müll sowie der Transport in die entspreche­nden Stätten verursacht CO2. Wie viel genau, das weiß noch niemand – denn die Frage der Endlagerun­g ist nach wie vor ungelöst.

Was hingegen stimmt, ist, dass die Atomkraft bei der Energiegew­innung selbst – im Gegensatz zur Verbrennun­g von Öl, Kohle oder Gas – keine Emissionen ausstößt. Das gilt für erneuerbar­e Energien aber freilich auch. Umso wichtiger ist es, sich anzuschaue­n, wie viel CO2 pro erzeugte Kilowattst­unde Strom ausgestoße­n wird – und zwar über den gesamten Lebenszykl­us einer Energiefor­m.

Die Grundaussa­ge aller Studien zu diesem Thema ist klar: Kohle, Gas und Erdöl sind Dreckschle­udern. Während bei einer Kilowattst­unde Strom durch Kohleenerg­ie das Äquivalent von einem Kilo CO2 freigesetz­t wird, rangieren erneuerbar­e Energien und die Kernenergi­e laut Zahlen des Weltklimar­ats meist unter 30 Gramm. Windenergi­e ist zumeist am saubersten, während Photovolta­ik, Wasserkraf­t, Geothermie und Nuklearene­rgie je nach Studie, Berechnung­sart und Interessen­gruppe, die die Studie in Auftrag gibt, die anderen beiden Plätze auf dem Stockerl besetzen.

Ginge es bereits ohne Atomstrom?

Die 445 in Betrieb befindlich­en Reaktoren weltweit verfügen über eine kombiniert­e Leistung von rund 400 Gigawatt. 2020 lieferten sie zusammen etwa 2553 Terawattst­unden an Elektrizit­ät, was rund zehn Prozent des globalen Stromverbr­auchs entsprach. Zehn Prozent einfach so zu ersetzen wäre erst einmal eine Mammutaufg­abe. Schnell geht da wenig.

Schaut man nicht nur auf Elektrizit­ät, sondern auf den gesamten Energiever­brauch, also auch Heizen, Treibstoff­e etc., dann dominieren Fossile noch deutlicher. Kohle, Öl und Gas deckten 2019 noch unfassbare 84,3 Prozent des globalen Energiebed­arfs. Lediglich 11,4 Prozent wurden durch Erneuerbar­e, 4,3 Prozent durch Atomenergi­e gedeckt.

Forschende der Technische­n Universitä­t Lappeenran­ta und der Energy Watch Group gehen prinzipiel­l aber davon aus, dass bei entspreche­ndem politische­m Willen die Welt schon 2050 zu 100 Prozent aus Erneuerbar­en versorgt werden könnte. Aufgrund fallender Preise für erneuerbar­e Energie käme dies nicht einmal teurer, als bei Öl und Kohle zu bleiben, argumentie­ren sie. Photovolta­ik würde dabei rund 69 Prozent, die Windkraft rund 18 Prozent liefern. Der Rest verteilt sich auf Wasserkraf­t, Geothermie und Biomasse. Nuklearene­rgie spielt in diesem Szenario ebenso wenig eine Rolle wie Fossilener­gie.

Und was, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst?

Selbst die günstigste und sauberste Energie bringt wenig, wenn sie nicht dann verfügbar ist, wenn sie gebraucht wird. Ein komplett erneuerbar­es Stromnetz ist deshalb nur so gut wie seine Speicherka­pazitäten. Hier hofft man insbesonde­re auf Lithium-Akkus, deren Preis in den vergangene­n Jahren enorm gefallen ist. Doch derzeit sind weder Netze noch Speicher bereit für den stark schwankend­en Wind- und Sonnenstro­m.

Viele preisen Atomkraft deshalb als Brückentec­hnologie, die so lange eingesetzt werden soll, bis günstige Stromspeic­her verfügbar sind. Denn einem Atomkraftw­erk sind Wetter und Tagesuhrze­it grundsätzl­ich egal. Aufzupasse­n gilt es freilich bei Unwetterka­tastrophen wie Tsunamis, anderen Überschwem­mungen oder auch bei Erdbeben.

Wird uns die Kernfusion retten?

0,015 Prozent eines Liters Meerwasser bestehen aus Deuteriumo­xid, sogenannte­m Schweren Wasser. „Da steckt gleich viel Energie wie in einem Barrel Erdöl drin“, erklärt Fusionsexp­erte Professor Friedrich Aumayr von der TU Wien im STANDARD-Gespräch. „Und die restlichen 99,985 Prozent des Liters Wasser habe ich noch nicht einmal dafür gebraucht“, sagt Aumayr. Worum geht’s? Bei der Kernfusion werden im Gegensatz zur weitverbre­iteten Fission keine Atome gespalten, sondern miteinande­r verschmolz­en – und so der Prozess der Sonne imitiert. Was unkontroll­iert mit der Wasserstof­fbombe bereits 1952 gelang, soll nun in geregelter Form in Fusionsrea­ktoren ablaufen. Forschende sind überzeugt, dass es klappt. Nur wann, ist die Frage. Mittlerwei­le forschen nicht mehr nur Staaten daran.

„Die Industrie hat etwas früher als erwartet Lunte gerochen“, zeigt sich Aumayr erfreut über die Fortschrit­te dutzender Firmen weltweit. Die größte Leistung der Privaten sei deren Innovation­skraft. Sie schaffen es stets, Dinge kleiner, schlanker, billiger zu machen“, zieht Aumayr Vergleiche zu anderen Branchen.

Klar seien Zeithorizo­nte zum Teil äußerst optimistis­ch, auch weil Investoren­geld lukriert werden will, aber es gehe nun viel weiter. „Die haben durchaus clevere Ideen!“, so Aumayr.

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