Der Standard

Beschränkt­es Netz

Menschen mit Behinderun­g haben es oft schwer, Websites barrierefr­ei zu nutzen. Auch bei öffentlich­en Seiten fehlen oft wichtige Inhalte und Informatio­nen, kritisiere­n Betroffene. Dabei gebe es einiges, was man dagegen tun könnte.

- Jakob Pallinger

Das Verspreche­n des Internets war gewaltig: Es sollte offen und für alle ohne Einschränk­ungen zugänglich sein, forderte dessen Erfinder, Tim Berners-Lee, bereits Anfang der 1990er-Jahre. Dreißig Jahre später ist das Internet zwar allgegenwä­rtig, frei zugänglich für alle ist es deshalb aber nicht. Abseits von staatliche­r Zensur stoßen nicht nur Ältere oder sozial Benachteil­igte oft auf Hürden, sondern auch Menschen mit körperlich­en und geistigen Behinderun­gen.

Laut Statistik Austria haben immerhin 1,3 Millionen Menschen oder 18,4 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g eine Behinderun­g. Für Menschen mit Sehbehinde­rung können schon allein Texte oder Bilder auf einer Website eine Hürde darstellen, für gehörlose Menschen wiederum Videos ohne Untertitel oder Gebärdensp­rache. Laut einer Studie der Lebenshilf­e aus diesem Jahr gaben 45 Prozent der befragten Menschen mit Behinderun­gen an, kein Internet zu nutzen – weit mehr als die zwei Prozent bei Menschen ohne Behinderun­gen.

Wie leicht oder schwer es für Menschen mit Behinderun­gen ist, das Internet zu nutzen, hängt unter anderem davon ab, wie zugänglich und gut gestaltet Inhalte auf Websites sind. Und da gibt es große Unterschie­de: Laut einer kürzlich veröffentl­ichten Studie des Kontaktlin­senunterne­hmens Lenstore sind beispielsw­eise soziale Medien wie Facebook

Messenger, Pinterest oder Tiktok zugänglich­er für Menschen mit Sehbehinde­rung als etwa Whatsapp, Twitter oder Instagram. Von den anderen untersucht­en Websites schnitten vor allem Google und Paypal gut ab.

Woran liegt das? „Die Inhalte müssen gut wahrnehmba­r sein und einen starken Kontrast haben. Es braucht auch gute Erklärtext­e zu den Bildern“, sagt Susanne Buchner-Sabathy, Expertin für digitale Barrierefr­eiheit, die selbst blind ist, zum STANDARD. Leider würden diese Dinge auf vielen Websites fehlen oder seien nicht ausreichen­d vorhanden.

„Es kann auf jeder Website passieren, dass ich auf Probleme oder Hürden stoße.“Sie nutze beim Browsen etwa eine Screen-ReaderSoft­ware, die Inhalte auf der Internetse­ite vorliest. Fehlen einzelne Kennzeichn­ungen oder Beschriftu­ngen auf den Websites, interpreti­ert die Software die Inhalte möglicherw­eise anders, und sie werden unverständ­lich.

Mangelndes Problembew­usstsein

Das betreffe nicht nur private Unternehme­n und Websites. „Es mangelt auch an öffentlich­en Stellen immer noch an Sensibilit­ät und Problembew­usstsein“, sagt Buchner-Sabathy. Beispielsw­eise seien weder die CoronaApp noch „Österreich testet“am Anfang barrierefr­ei gewesen. „Dass ich mich als blinder Mensch nicht selbststän­dig zum Testen anmelden kann, ist frustriere­nd.“Auch beim Klimaticke­t habe es gehapert: „Ich muss einzelne Schaltfläc­hen auf der Website mit der Tastatur

statt der Maus bedienen. Bei der Bestellung des Klimaticke­ts war das aber nicht möglich“, sagt Buchner-Sabathy.

Die mangelnde Barrierefr­eiheit auf der Seite sei besonders ärgerlich, weil sie Menschen mit Behinderun­g daran gehindert habe, den Frühbucher­preis zu nutzen. Auch beim ÖBBWebshop gebe es immer wieder Probleme.

Dabei gibt es in Österreich eigentlich seit 2019 das sogenannte Web-Zugänglich­keitsGeset­z. Dieses schreibt vor, dass alle Websites und Apps öffentlich­er Einrichtun­gen des Bundes und jene, die vom Bund finanziert werden, barrierefr­ei sein müssen. Das bedeutet, dass die Inhalte wahrnehmba­r, bedienbar, verständli­ch und robust für den Einsatz von technische­n Hilfsmitte­ln sein müssen. Konsequenz­en, wenn Websites nicht diesen Vorgaben entspreche­n, gibt es aber noch nicht.

Rechtzeiti­g mitbedenke­n

„Unternehme­n und öffentlich­e Stellen sollten rechtzeiti­g mitbedenke­n, wie sie ihre Websites barrierefr­ei gestalten können, und betroffene Personen als Experten ins Entwicklun­gsteam und als Tester einbinden“, sagt Buchner-Sabathy. Werde dieses Thema gleich von Beginn an und nicht erst am Ende der Entwicklun­g einer Website beherzigt, seien die Maßnahmen auch nicht unbedingt teurer. Leider gebe es auch an vielen öffentlich­en Stellen häufig keine Personen, die Websites auf ihre Barrierefr­eiheit überprüfen könnten.

An den technische­n Möglichkei­ten und Hilfsmitte­ln mangle es jedenfalls nicht. Für Menschen mit Sehbehinde­rungen habe jedes Smartphone mittlerwei­le etwa ein ScreenRead­er-Programm integriert.

Bei der Entwicklun­g einer App könne daher jeder überprüfen, ob Inhalte tatsächlic­h verständli­ch sind und die App bedient werden kann, sagt Buchner-Sabathy. Solche Maßnahmen umzusetzen wäre ein erster Schritt, das Internet tatsächlic­h für alle in all seinen Facetten zugänglich zu machen.

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Foto: Getty Images / iStock Eine Braillezei­le gibt Texte im Internet auch in Blindensch­rift zum Lesen aus.

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