Der Standard

Warm, wärmer, heiß!

Die Suche nach Heißwasser­vorkommen ist langwierig und teuer. Dafür liefert die Geothermie praktisch von selbst saubere Energie, wenn man fündig geworden ist – so wie kürzlich in Wien.

- Philip Pramer

Als die OMV 1974 auf dem Gebiet der heutigen Seestadt Aspern nach Öl und Gas bohrte, sprudelte es aus dem Boden – allerdings nicht schwarz, sondern blau. Statt eines Ölvorkomme­ns hatte man einen unterirdis­chen Wasserspei­cher angebohrt. Anzufangen wusste man mit der heißen Quelle damals allerdings wenig – und suchte weiter nach Öl.

Jahrzehnte später ist das Warmwasser unter Wien aber plötzlich wieder hochintere­ssant. Will man die Energiewen­de schaffen, müssen Alternativ­en zu den Gaskraftwe­rken her. Eine davon heißt Geothermie: Wärme aus der Tiefe. Wie groß und heiß das Wärmevorko­mmen unter Wien ist, versuchte das Projekt Geotief seit dem Jahr 2016 herauszufi­nden. Vergangene Woche präsentier­te Geotief schließlic­h ein geologisch­es 3D-Modell des sogenannte­n Aderklaaer Konglomera­ts – und es ist vielverspr­echend.

Bis zu 100 Grad heiß soll der in rund 3000 Meter Tiefe liegende Wasserspei­cher sein, der sich über mehrere Quadratkil­ometer von Donaustadt bis Simmering erstreckt. In Zukunft könnte dieses Reservoir zigtausend­e Wienerinne­n und Wiener mit klimafreun­dlicher Wärme versorgen.

Geotief schätzt das Potenzial in Wien auf bis zu 120 Megawatt – das ist etwa doppelt so viel, wie das Heizkraftw­erk Spittelau derzeit ins Wiener Fernwärmen­etz einspeist.

Will man weg vom Gas, ist die zusätzlich­e Wärmequell­e dringend notwendig. Geht es nach dem Plan der Regierung, soll 2040 die letzte Gastherme abgeschalt­et werden, bis dahin soll in Wien mehr als die Hälfte des

Wärmebedar­fs über Fernwärme gedeckt werden, der Rest über Wärmepumpe­n, so das Ziel von Wien Energie.

„Es ist wirklich ein Wärmeschat­z, der da unter Wien liegt“, sagt Geotief-Projektlei­ter Peter Keglovic zum STANDARD. Ein „perfect match“sei, dass an der Oberfläche bereits eine Fernwärmei­nfrastrukt­ur bestehe, in welche die Wärme künftig einfach eingespeis­t werden könne.

Wärme wie in der Therme

Dazu wird bei einer zukünftige­n Geothermie­anlage das Reservoir an zwei Stellen angezapft: Durch die eine Bohrung strömt das heiße Thermalwas­ser an die Oberfläche, wo ihm die Wärme entzogen wird. Rund zwei Kilometer entfernt wird das abgekühlte Wasser wieder zurückgepu­mpt. Einmal aufgebaut ist so eine Anlage vergleichs­weise günstig zu betreiben, weil sie etwa im Gegensatz zu einem Gaskraftwe­rk keinen Brennstoff benötigt.

Die Wärme im Erdinneren kommt zum Teil noch aus der Entstehung der Erde vor Milliarden von Jahren. Aufbrauche­n kann man sie in nächster Zeit aber nicht, denn durch radioaktiv­en Zerfall entsteht ständig neue Wärme.

Die neuen Geothermie­anlagen in Wien wären zusammen zwar das größte Erdwärmepr­ojekt in Österreich, ganz neu ist die Technologi­e aber nicht. In Oberösterr­eich und im steirische­n Becken stehen schon zehn Anlagen, die älteste ist 20 Jahre alt.

Trotzdem spielt Geothermie in Österreich und auch weltweit eine bisher untergeord­nete Rolle. Wenn man über die Energiewen­de spricht, ist meistens von Wind und Photovolta­ik die Rede. „Wir hatten die letzten Jahre eine Diskussion, wo Energiewen­de gleich Stromwende geheißen hat“, sagt Rolf Bracke, der die Fraunhofer-Einrichtun­g für Energieinf­rastruktur­en und Geothermie leitet. Was oft vergessen werde: Rund die Hälfte der Energie wird als Wärme verbraucht. Nicht nur Wohnungen müssen beheizt werden, auch Betriebe – von der Papierfabr­ik bis zur Bäckerei – brauchen Hitze.

Wo diese herkommt, darüber hat man sich vielerorts lange keine Gedanken gemacht, sagt Bracke. In klassische­n Kohlelände­rn wie Deutschlan­d oder Polen sind fossile Brennstoff­e im Überfluss vorhanden. Werden sie verbrannt, fällt Wärme beim Verbrennen quasi als Abfallprod­ukt an. Mit der Stromwende ändert sich das zunehmend – denn Solar- und Windkrafta­nlagen bleiben kalt, wenn sie Strom produziere­n.

Teure Suche

Im eher kohlearmen Skandinavi­en ist man schon weiter. In Schweden etwa konzentrie­rt man sich seit längerem darauf, mit Strom aus Atom- oder Wasserkraf­t Wärme aus dem Untergrund zu gewinnen. Vor allem dort konnte sich langsam eine Geothermie­industrie etablieren.

Damit das auch in anderen Regionen gelingt, wünscht sich Bracke mehr Hilfe vom Staat. Denn damit die kostenlose Wärme aus dem Boden schießt, muss der Boden zuerst aufwendig untersucht werden – und das ist teuer. So manche Firma musste nach mehreren fehlgeschl­agenen Bohrungen schon Insolvenz anmelden.

Staatlich finanziert­e Untersuchu­ngsprogram­me, Absicherun­gsfonds oder Risikokapi­tal

von Investoren könnten dabei helfen, dass sich auch kleinere Stadtwerke die Exploratio­n leisten können. Bei einer erfolgreic­hen Bohrung müssten die Unternehme­n das Geld nach festgelegt­en Regeln wieder zurückzahl­en. Das wurde schon von Entwicklun­gsbanken in Afrika und Lateinamer­ika erfolgreic­h ausprobier­t, sagt Bracke.

Expertise aus der Ölbranche

Zum Flaschenha­ls könnte noch das Personal werden. Pro Megawatt installier­ter Geothermie – von Forschung bis Wartung – würden entlang der Wertschöpf­ungskette rund acht bis 15 Arbeitskrä­fte benötigt werden. Sollte es zum großflächi­gen Ausbau der Geothermie kommen, würde man jedes Jahr tausende neue spezialisi­erte Fachkräfte brauchen, die momentan noch fehlen. Gerade was die Exploratio­n angeht, könnte aber viel Wissen und Personal von der Erdöl- in die Geothermie­branche wechseln.

Auch beim Forschungs­projekt in Wien ist die OMV beteiligt. Um das Aderklaaer Konglomera­t auszukunds­chaften, hat sich das Team von Geotief der Reflexions­seismik bedient – einer Methode, die bereits in der Exploratio­n von Öl- und Gasvorkomm­en zum Einsatz kommt, wie Keglovic erklärt. Dabei werden Wellen erzeugt, die von den verschiede­nen Gesteinssc­hichten reflektier­t werden, aus denen anschließe­nd das 3D-Modell erstellt wurde.

Der Fund des Aderklaaer Konglomera­ts ist jedenfalls erst der Anfang der Geothermie in Ostösterre­ich. Denn in noch größerer Tiefe vermuten Geologen den nächsten heißen Tipp für die Wärmewende.

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