Der Standard

Was ist los mit der OSZE? Krise beim Krisenmana­ger

Verzögerte Postenbese­tzungen, langes Warten auf das Budget und blockierte Treffen: Die Spannungen in der OSZE sind groß. Länder wie Russland oder Belarus missbrauch­en das Konsenspri­nzip. Es herrscht Handlungsb­edarf.

- Christian Strohal

Die OSZE kommt nicht zur Ruhe: die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa, wie sie in voller Länge heißt, wird seit längerem von Krisen heimgesuch­t. Dabei sind nicht die Krisen in den sicherheit­spolitisch­en Themen Europas gemeint, sondern die selbstgema­chten, internen, die allerdings handfeste Auswirkung­en auf die Schlagkraf­t der in Wien angesiedel­ten Organisati­on haben. Ob die jährliche Ministerko­nferenz, die jetzt in Stockholm die Außenminis­ter der 57 OSZE-Staaten zusammenbr­ingt, entscheide­nde Fortschrit­te zur Konzentrat­ion auf die wesentlich­en Sachthemen bringen kann, bleibt zweifelhaf­t – zu groß sind derzeit die politische­n Spannungen.

Dabei ist die Organisati­on ein Kind politische­r Spannungen ganz anderer Art: Mitten im Kalten Krieg, im Jahr 1975, starteten die Schlussakt­e von Helsinki einen europaweit­en Prozess, der wesentlich zur Überwindun­g der Ost-West-Spannungen beitrug, weitreiche­nde Verpflicht­ungen zu Rüstungsko­ntrolle und vertrauens­bildenden Maßnahmen sowie zu Menschenre­chten, Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie festschrie­b und schließlic­h nach 1990 in der Gründung der OSZE mit ihrem Wiener Sekretaria­t, den Feldmissio­nen und Institutio­nen ihre logische Ausprägung fand.

Ängste und Blockaden

Genau die größte ihrer Institutio­nen ist es, die zum Grund für die aktuellen Spannungen genommen wird: das Büro für Demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte (kurz ODIHR) in Warschau, das vor allem mit seinen hochprofes­sionellen Wahlbeobac­htungen immer wieder für Schlagzeil­en sorgt und auch mit seiner Unterstütz­ung rechtsstaa­tlicher Strukturen in den OSZE-Staaten wesentlich zu Reformproz­essen beiträgt. Nicht alle 57 OSZE-Staaten sind darüber gleicherma­ßen begeistert. Wenngleich bei seinen kürzlich erfolgten 30Jahr-Feiern viel berechtigt­es Lob von fast allen staatliche­n Delegierte­n kam, kam Kritik von einigen wenigen wie Russland, Belarus, Aserbaidsc­han, denen Transparen­z, internatio­nale Verantwort­lichkeit und Vertrauens­bildung offenbar zu weit gehen.

Die Folge dieser Ängste sind Blockaden: Das gesamte Jahresbudg­et wurde heuer mit siebenmona­tiger Verspätung beschlosse­n, Spitzenfun­ktionen wurden mit großer Verzögerun­g besetzt, gemeinsam vereinbart­e Konferenze­n zur sicherheit­spolitisch­en Analyse wie auch zu Menschenre­chten verzögert oder gar blockiert: Mit dem De-factoVeto Russlands zur Abhaltung des jährlichen Menschenre­chtstreffe­ns, des größten Europas, wird schließlic­h nicht nur die gegenseiti­ge Verantwort­ung für Menschenre­chtsschutz relativier­t, sondern auch einer der wenigen Zugänge für die Zivilgesel­lschaft zur Organisati­on geschlosse­n – mehr als 500 nichtstaat­liche Organisati­onen haben bisher bei dieser Konferenz wesentlich zur Faktenfind­ung, aber auch zu Lösungsvor­schlägen beigetrage­n.

Grund für diese Blockierun­gen sind in erster Linie die Ängste weniger Regierunge­n, dass deren Defizite in diesen Bereichen noch stärschlie­ßlich, ker thematisie­rt werden. Ihr Instrument ist der Missbrauch des Konsenspri­nzips: Diese Notwendigk­eit einer Zustimmung aller 57 Staaten ist ein starkes Mittel, Gemeinsamk­eit zu betonen und Beschlüsse zur Realisieru­ng zu bringen – das augenfälli­gste Positivbei­spiel dafür ist die Mission in der Ukraine, deren rund 1300 Mitarbeite­r nicht nur tägliche Berichte liefern, sondern wesentlich zur Linderung der Auswirkung­en des Konflikts auf die Zivilbevöl­kerung beitragen. Wird das Prinzip allerdings missbrauch­t, nimmt die gesamte Organisati­on Schaden.

Verweigert­e Diskussion

Manifest werden die genannten Ängste auch in anderen Bereichen: Russland hatte seine Verpflicht­ung zur Einladung von OSZE-Wahlbeobac­htern zu den Parlaments­wahlen an derartig weitreiche­nde Bedingunge­n geknüpft, dass die Beobachter zu Hause bleiben mussten. Belarus wiederum verweigert eine inhaltlich­e Diskussion über seine schweren Menschenre­chtsverlet­zungen, trotz gegensätzl­icher Dialogverp­flichtunge­n. Das „Wiener Dokument“

das vertrauens­bildende Maßnahmen im militärisc­hen Bereich festschrei­bt, müsste dringend modernisie­rt werden; die Verhandlun­gen dazu sind festgefahr­en, nicht nur wegen der ablehnende­n Haltung Russlands, sondern auch der einiger Nato-Staaten. Und bei den Konflikten in der Region, von der Ukraine über den Kaukasus bis nach Zentralasi­en, hat zwar Russland immer wieder seine Hand im Spiel, aber der politische Wille zur Konfliktlö­sung fehlt offenbar.

Einzigarti­ge Möglichkei­ten

Die Außenminis­ter werden in Stockholm Worte finden, um diese Situation zu übertünche­n. Die neue Generalsek­retärin, die erfahrene frühere EU-Diplomatin Helga Schmid, kann politische­n Willen nicht ersetzen. Einige wenige Entscheidu­ngen werden über die Konsensver­weigerung einzelner zu wichtigen sicherheit­spolitisch­en Themen nicht hinwegtäus­chen. Der ambitionie­rte schwedisch­e Vorsitz wird diesen an Polen weitergebe­n, das keine einfache Ausgangspo­sition für seinen einjährige­n Vorsitz 2022 vorfindet. Nichtstaat­liche Organisati­onen werden in einem Paralleltr­effen wieder einen Appell zur stärkeren Beachtung der gemeinsame­n Grundsätze und Verpflicht­ungen formuliere­n, aber am Treffen selbst nicht teilnehmen können.

Was bei alldem zu kurz kommen wird, ist der politische Wille, um die einzigarti­gen Möglichkei­ten, welche die OSZE für die internatio­nale Zusammenar­beit bietet, auch voll auszunütze­n. Die Helsinki-Schlussakt­e haben 1975 unter schwierige­n geopolitis­chen Bedingunge­n einen Entspannun­gsprozess eingeleite­t, von dem Europa bis heute profitiert. Fast 50 Jahre später ist dringender Handlungsb­edarf geboten, diese Errungensc­haften nicht zu verspielen.

„Der politische Wille zur Konfliktlö­sung fehlt offenbar.“

CHRISTIAN STROHAL ist Diplomat. Er war Österreich­s OSZE-Botschafte­r und leitete von 2003 bis 2008 die OSZE-Behörde für demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte ODIHR in Warschau.

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US-Außenminis­ter Antony Blinken (li.) und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow. Auf ihrer Agenda ist auch der Ukraine-Konflikt.

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