Der Standard

Ein selbstbest­immtes Scheitern

Kurz bleibt sich bis zum Schluss treu, sein türkises Projekt liegt jedoch in Trümmern

- Petra Stuiber

SHebastian Kurz ist sich ein letztes Mal selbst treu geblieben. Sein Auftritt zum Abgang wirkte kontrollie­rt, nicht übermäßig wehleidig – aber auch uneinsicht­ig bis zuletzt.

Kurz erging sich in Andeutunge­n über eine vermeintli­che „Jagd“, die auf ihn veranstalt­et worden sei. Er sprach nebulos von Fehlern, die er vielleicht gemacht habe. Er nannte sich selbst „keinen Heiligen, keinen Verbrecher, nur einen Menschen“und dankte mehrfach seinem „wunderbare­n Team“. Der demokratie­politische Schaden, den er und die seinen mit ihrer Ignoranz gegenüber dem Parlament und den Anwürfen gegen die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft angerichte­t haben, war ihm im Abgang keine Silbe wert.

Positiv anzurechne­n ist Kurz, dass die Geburt seines Sohnes offenbar ein Umdenken bewirkt hat. Er zeigt sich bereit, seine Elternvera­ntwortung verstärkt wahrzunehm­en. Noch vor wenigen Wochen konnte er sich, damals noch Bundeskanz­ler, nicht einmal einen Papamonat vorstellen.

Für sich selbst hat Kurz im Abgang alles richtig gemacht. Er hat Form, Stil und Tonalität bestimmt, auch den Zeitpunkt, da es in den schwarz regierten Bundesländ­ern noch weitgehend ruhig war – trotz alarmieren­der Umfragewer­te für die ÖVP. Er weiß freilich genau, dass dies eine trügerisch­e Ruhe war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm der Abschied aus der Politik parteiinte­rn nahegelegt worden wäre. Politisch ist Kurz durch die Ermittlung­en gegen ihn längst nachhaltig beschädigt. Trotzdem konnte er das Image seiner Kanzlersch­aft bis zum Schluss aufrechter­halten: Kurz, der Macher und große Kommunikat­or, der auch im Abgang noch alles steuert. inter dieser Erzählung tut sich freilich ein rauchender Trümmerhau­fen auf. Das türkise Experiment ist gescheiter­t. Der Umbau der Partei in eine moderne konservati­ve Bewegung ist misslungen. Bünde und Länder sind so stark da wie eh und je, Partikular­interessen der jeweiligen Landesfürs­ten stehen über dem gemeinsame­n, großen Ganzen. Bereits bei der oberösterr­eichischen Landtagswa­hl war das zu bemerken: Das späte Durchgreif­en der Bundesregi­erung in der Pandemiebe­kämpfung hing auch damit zusammen, dass Landeshaup­tmann und ÖVP-Chef Thomas Stelzer dort die Corona-Leugner und Impfskepti­ker nicht verärgern wollte.

Zur Farce verkam die Erzählung vom „neuen Regieren“durch die Chatnachri­chten seines Vertrauten Thomas Schmid und anderer Getreuer. Das hatte nichts mit „neuer ÖVP“zu tun, das war altbekannt­er Postenscha­cher, gewürzt mit falschen Umfragen und Trickserei­en, um an die Macht zu kommen.

Was auch von Kurz bleibt, ist sein Scheitern als Krisenmana­ger in der Pandemie. Er und sein Team konnten nicht davon lassen, auch in der größten gesundheit­lichen Krise vor allem ihn als Kanzler glänzen lassen zu wollen. Der augenschei­nliche Widerspruc­h zwischen politische­m Gesundbete­n und tatsächlic­her Infektions­lage wirkt sich bis heute fatal aus.

Im vormals so eng verschwore­nen „Inner Circle“um Kurz herrschen nun Ratlosigke­it, Hektik und Chaos, als habe man seinen Guru verloren. Neuwahlen, hört man aus politische­n Kreisen, strebe derzeit niemand an, auch wegen Corona. Fragt sich nur, ob diese Regierung noch fit genug ist, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Auch diese Unsicherhe­it ist letztlich Sebastian Kurz’ politische­s Vermächtni­s.

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