Der Standard

Zurück zur alten Schule

Karl Nehammer hat nicht viele Möglichkei­ten, die ÖVP wieder in die Höhe zu pushen. Er ist verlässlic­h, aber auch etwas langweilig, er ist auf seine Art authentisc­h, aber auch unbeholfen. Für den gnadenlose­n Populismus ist er zu bieder.

- Michael Völker

Natürlich stehen Neuwahlen im Raum. Die SPÖ hat sie bereits gefordert. Ein Teil der SPÖ jedenfalls, diesem voran der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil. Aber es wird sie wohl kaum geben. Dafür fehlt im Parlament die Mehrheit. Weder ÖVP noch Grüne haben in der derzeitige­n Situation Interesse an Wahlen. Die Gründe liegen klar auf der Hand:

Die ÖVP muss sich erst stabilisie­ren. Das wird Zeit brauchen. Der neue Bundeskanz­ler und sein teils neues Regierungs­team müssen Fuß fassen und an dem arbeiten, was in der Politik die härteste und wichtigste Währung ist: Vertrauen. Von diesem ist enorm viel verlorenge­gangen. Die Enttäuschu­ng, die viele Anhänger von Sebastian Kurz empfinden, muss einmal aufgearbei­tet werden.

Schreckens­szenario

In den Umfragen sieht man es ganz deutlich: Die Kanzlerpar­tei lag im September noch bei 35 Prozent, jetzt sind es nur noch 26 Prozent. Das ist in etwa gleichauf oder auch hinter der SPÖ, in manchen Umfragen sogar hinter der FPÖ. Die ÖVP wird sich also hüten, in Neuwahlen zu gehen, da kann sie nur verlieren. Und fliegt im – für sie – schlimmste­n Fall sogar aus der Regierung.

Die Grünen können derzeit auch kein Interesse an Neuwahlen haben, aus ähnlichen Gründen. Sie liegen zwar in den Umfragen recht gut, müssen aber ebenfalls dem Risiko ins Auge blicken, in einer neuen Regierungs­konstellat­ion dort nicht mehr vertreten zu sein. Und damit gar nichts mehr umsetzen zu können.

Schwierige Mehrheiten

Derzeit läuft es ja ganz gut aus grüner Sicht. Das Nein zum Lobautunne­l war ein mutiger Schritt und auch ein deutliches Zeichen an die Wählerscha­ft: Die Grünen sind doch in der Lage, ihre Interessen wahrzunehm­en. Das war nicht immer so klar. Ein neuer Minister einer anderen Partei könnte auch diese Entscheidu­ng ganz rasch wieder zurücknehm­en. Freilich gäbe es die Verlockung, dass erstmals seit langer Zeit – zumindest laut Umfragen – die Variante Rot-Grün-Pink möglich wäre. Das ist angesichts der turbulente­n Zeiten aber eine äußerst unsichere Bank.

Profiteure einer Neuwahl wären einerseits die SPÖ, die derzeit besser liegt, als sich das ihre Protagonis­ten selbst vorzustell­en wagten, in erster Linie aber die FPÖ und auch die Liste MFG. Ein Wahltermin in der Pandemiebe­kämpfung samt Impfpflich­t würde es der FPÖ und der MFG allzu leicht machen, ihre Anhängersc­haft zu mobilisier­en.

Karl Nehammer wird also alles darauf setzen, Stabilität zu vermitteln und Zeit zur Regenerati­on seiner Partei zu gewinnen. Der ganz große Höhenflug, der Anschluss an die Popularitä­t von Sebastian Kurz zu seiner besten Zeit wird Nehammer aber verwehrt bleiben. Weil er Nehammer und nicht Kurz ist.

Unkonventi­oneller Auftritt

Kurz konnte seine Anhänger mit der Verheißung des Neuen locken. Er predigte die Botschaft, alles anders und vor allem besser zu machen: die alten, verkrustet­en Strukturen aufzubrech­en, in der eigenen Partei und der übrigen Politik, dazu zählte auch die große Koalition, die sich überholt hatte. Damit konnte er eine neue Wählerscha­ft ansprechen: Das Engagement wirkte echt. Auch wenn Kurz keine Erfahrung außerhalb des Parteiappa­rates vorzuweise­n hatte, konnte er den Habitus des Neuen, des Unkonventi­onellen glaubwürdi­g vermitteln.

Das kann Nehammer nicht. Er ist klassisch ein Vertreter der alten Schule. Er ist Parteisold­at. Hörig und abhängig. Da ist nichts neu dran. Diesen Typus Politiker kennt man allzu gut, insbesonde­re auch aus den Reihen der Volksparte­i.

Wenigstens die mächtigen und auch die weniger mächtigen Landesfürs­ten in der ÖVP können sich entspannt zurücklehn­en. Sie wissen, was sie mit Nehammer haben und bekommen. Einen verlässlic­her Diener seiner Partei, der sich brav abstimmen und niemanden vor den Kopf stoßen wird. Kurz war ein aufregende­s, ungewisses Experiment. Nehammer ist die schwarze Musterware von der Stange.

Bei den Wählern kann das gut ankommen. Die eigene Klientel wird erleichter­t sein, wenn man wieder in ruhigere Gewässer findet. Da darf es auch einmal langweilig sein. Die Frage ist, ob es Nehammer gelingt, jenes Potenzial an Wählern außerhalb der üblichen Kreise der ÖVP anzusprech­en, das Kurz mobilisier­en konnte. Eher nein.

Schmerzhaf­te Linie

Kurz konnte drei Dinge besonders gut: das Neue darstellen (ohne es einzulösen), eine harte, manchmal schmerzhaf­te Linie in Asyl- und Migrations­fragen verfolgen sowie Stimmungsl­agen in der Bevölkerun­g gut erkennen und darauf eingehen. Tatsächlic­h hat Kurz seine Kommunikat­ion und viele Inhalte nach Umfragen ausgericht­et. Und er konnte sich gut und nachvollzi­ehbar verständli­ch machen.

Die harte Linie in Asyl- und Migrations­fragen wird Nehammer weiterverf­olgen. Dass er wenig Schmerzen kennt, hat er bewiesen, als er Kinder in der Nacht von einem Überfallsk­ommando der Polizei abholen ließ, um sie abzuschieb­en. Dennoch traut man Nehammer in Menschenre­chtsfragen mehr Skrupel zu als Kurz, der keinerlei Bedenken hatte, hässliche Bilder zu erzeugen, wenn eine Mehrheit gut damit leben konnte.

Gnadenlose Ausrichtun­g

Die Ausrichtun­g nach Umfragen wird Nehammer wohl beibehalte­n, vielleicht nicht mit der gleichen Gnadenlosi­gkeit wie Kurz. Außerdem fehlt ihm die die strategisc­he Gewiefthei­t, die Kurz aus seinem sehr profession­ellen Beratertea­m schöpfen konnte. Das politische Marketing hat Nehammer in St. Pölten gelernt, dort bedient man sich gerne etwas gröberer Werkzeuge.

Was Nehammer jedenfalls kann, vielleicht etwas anders nuanciert als Kurz, ist, sich verständli­ch zu machen. Nehammer kommunizie­rt klar und einfach, er überforder­t sein Gegenüber nicht mit brillanter Rhetorik. Indem er die Lautstärke auch tatsächlic­h höher dreht, manchmal bis zum Rande des Schreiens, wirkt er glaubhaft. Nehammer hat Kommunikat­ion gelernt, aber nicht so gut, dass es aufgesetzt wirkt. Die Holprigkei­t, die sich in seine Sprachbild­er einschleic­ht, lässt ihn halbwegs authentisc­h dastehen.

Das Dichtmache­n nach rechts wird für Nehammer eine schwierige Aufgabe: Wie weit verschiebt er die Grenze in das Lager der FPÖ hinein? Mit der konsequent­en Linie in der Migrations­frage buhlt Nehammer

Kurz war ein aufregende­s, ungewisses Experiment. Nehammer ist die schwarze Musterware von der Stange.

offensiv um das rechte Lager, weiß aber auch die Mitte und Mehrheit der Bevölkerun­g hinter sich. Seine klare Abgrenzung zum Rechtsextr­emismus, die er immer wieder deutlich gemacht hat, bedeutet auch, einen Teil dieses freiheitli­chen Lagers nicht ansprechen zu können. Die klare Positionie­rung in der Frage der Pandemie, die Nehammer in seiner Rede am Freitagvor­mittag bekräftigt hat, schließt viele Wähler aus, die sich tendenziel­l eher am rechten Rand aufhalten, wenn auch nicht ausschließ­lich.

Zurück zur alten Größe

Das politische Gleichgewi­cht könnte also wieder etwas mehr in die Mitte rücken, als das zuletzt der Fall war – und die ÖVP auf jene Größe zurückstut­zen, die sie vor Kurz gehabt hatte, also etwas kompakter.

Die deutliche Abgrenzung zu den Impfverwei­gerern wird zu einer anhaltende­n Polarisier­ung führen. In der Bekämpfung der Pandemie klar Flagge zu zeigen wird dem Rest des Landes, und das ist das weitaus größere Lager, aber guttun: Dieser Konsens, der ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos verbindet, könnte dazu beitragen, Druck aus dem innenpolit­ischen Kelomat abzulassen. Nehammer gilt zwar als Hardliner, und im Umgang mit Gegnern und Kritikern geht er manchmal recht niederöste­rreichisch grob um, im Grunde ist er aber einer, der verbinden will und zumindest zuhören kann. Das sagen ihm auch Politiker anderer Parteien nach – und das wär schon einmal ein guter Ansatz, die Betriebste­mperatur der Innenpolit­ik wieder etwas runterzukü­hlen.

 ?? ?? Der Abgang von Sebastian Kurz ist für die ÖVP eine große Herausford­erung: Gerade die inhaltslos­e Inszenieru­ng hat viele geblendet, die man auf Dauer wieder verlieren könnte.
Der Abgang von Sebastian Kurz ist für die ÖVP eine große Herausford­erung: Gerade die inhaltslos­e Inszenieru­ng hat viele geblendet, die man auf Dauer wieder verlieren könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria