Der Standard

Tunnel-Aus ohne Plan B

Wie die von der grünen Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler in Aussicht gestellten Alternativ­en zur abgesagten Lobauautob­ahn aussehen können, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Geprüft wurde in 20 Jahren so gut wie jede Variante.

- David Krutzler, Luise Ungerboeck

Mutig. Richtungsw­eisend. Aber auch: Pflanzerei – und ökomarxist­ischer Amoklauf. Zwischen diesen Extremen pendelten die Reaktionen von Politik, Wirtschaft und Umweltbewe­gung auf die Absage des Lobautunne­ls durch die grüne Verkehrsun­d Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler Mitte der Woche. Nach 20 Jahren Vorarbeite­n und geschätzte­n 70 Millionen Euro Investitio­nen wird das umstritten­e Milliarden­projekt nicht mehr weiterverf­olgt. Einen Schnellstr­aßentunnel unter dem Naturschut­zgebiet soll es damit nicht geben, sagt Gewessler. Auch der Autobahnri­ng um Wien ist mit dieser Entscheidu­ng Geschichte: Es fehlen noch 19 Kilometer zwischen Schwechat und Süßenbrunn.

Aber was kommt jetzt? Das verrät die Ministerin (noch) nicht. Genau das wird ihr von Fürspreche­rn wie Kritikern des Lobautunne­lProjekts vorgehalte­n. Eine Absage allein ohne Lösungsans­ätze zu präsentier­en sei zu wenig.

Ohne Tunnel braucht es freilich ein Bündel von Maßnahmen – darunter den massiven Ausbau des Öffi-Verkehrs. Aus Gewesslers Ministeriu­m heißt es dazu lapidar, es würden „bessere Alternativ­en geprüft und geplant“. Und weiter: „Das Klimaschut­zministeri­um wird auf die Stadt Wien und das Land Niederöste­rreich zukommen und rasch gute Lösungen für die Entlastung der Anrainerin­nen und Anrainer und zum Schutz unseres Klimas entwickeln.“Konkret angekündig­t wird nur, den Ausbau der S-Bahn „rasch voranzutre­iben“.

Dabei wurden dutzende Alternativ­en längst geprüft. So empfahl die „Strategisc­he Umweltprüf­ung für den Nordosten Wiens“bereits Anfang der 2000er-Jahre unter anderem eine sechste Donauqueru­ng plus Nordostumf­ahrung.

Weitere Arbeitsauf­träge: Verkehrsve­rmeidung, Öffi-Ausbau samt Verlängeru­ng von U1 bis Leopoldau und U2 bis zur noch zu bauenden Seestadt Aspern – und die Parkpicker­l-Ausweitung, die auch erfolgte.

In Sachen Donauqueru­ng wurden mehrere mögliche Trassenfüh­rungen skizziert: Eine Variante der Straße querte bereits auf Höhe des Biberhaufe­nwegs die Donau – und wäre nicht weit südlich von der bestehende­n Praterbrüc­ke der Tangente (A23) verlaufen. Die Lobau wäre hier gar nicht berührt worden. Allerdings wäre das keine echte Umfahrung gewesen.

Sechste Querung „notwendig“

Andere Trassenfüh­rungen sahen eine Querung der Donau beim Knoten Schwechat vor. Weiter ging es – in einer Innen- sowie in einer Außenvaria­nte geplant – per Tunnel unter dem Nationalpa­rk durch, einmal an einer schmalen, einmal an einer breiten Stelle.

2005 präsentier­te die Asfinag erste Pläne. Diese ähnelten der oben beschriebe­nen Außenvaria­nte. Verhandelt wurde zwischen den Landeschef­s aus Wien und Niederöste­rreich – Michael Häupl (SPÖ) und Erwin Pröll (ÖVP) – sowie Verkehrsmi­nister Hubert Gorbach (FPÖ/BZÖ).

Selbst die Wiener Grünen, seit jeher massive Kritiker des Lobautunne­ls, einigten sich mit der SPÖ auf die „Notwendigk­eit einer sechsten Donauqueru­ng“. So stand es 2015 im rot-grünen Wiener Regierungs­pakt. Der Zusatz hatte es freilich in sich: Diese soll unter „bestmöglic­her Berücksich­tigung des Umweltund Naturschut­zes ohne Beeinträch­tigung des Nationalpa­rkgebiets geplant werden“. SPÖ und Grüne vereinbart­en, „alternativ­e Planungsva­rianten zu prüfen“. Eine von der damaligen grünen Vizebürger­meisterin

Maria Vassilakou zu diesem Zweck in Auftrag gegebene Studie wurde Anfang 2018 präsentier­t. Die Quintessen­z laut Mitautor Christof Schremmer vom Institut für Raumplanun­g: Der Lobautunne­l ist alternativ­los. Eine andere Trassenfüh­rung als Alternativ­e sei „nicht mehr realisierb­ar“oder „weniger verkehrswi­rksam“.

Eine S1-Donauqueru­ng sei für die wirtschaft­liche Entwicklun­g von Floridsdor­f, der Donaustadt und dem niederöste­rreichisch­en Umland aber jedenfalls notwendig – und auch für Stadtentwi­cklungsgeb­iete wichtig. Neben der Nordostumf­ahrung sei auch ein Öffi-Ausbau sowie ein flächendec­kendes Parkpicker­l in Wien notwendig. Letzteres wird im März kommenden Jahres umgesetzt.

Wiens Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) zeigt sich nun wild entschloss­en, die Absage des Lobautunne­ls durch Gewessler rechtlich zu bekämpfen. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, sagte er. Unterstütz­ung sicherte Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu. Details verriet der Bürgermeis­ter noch nicht.

Juristisch­e Auseinande­rsetzung

Gewessler begründete das Aus für das auf 1,9 Milliarden Euro taxierte Megaprojek­t mit dem zu erwartende­n massiven Bodenverbr­auch. Zudem verursache der Tunnelbau viermal so viele CO2-Emissionen wie der Bau herkömmlic­her Straßen.

Wie der Asfinag-Vorstand den von Gewessler angekündig­ten Stopp nun umsetzen wird, diskutiere­n Juristen kontrovers. Mit öffentlich­em und Aktienrech­t vertraute Rechtsanwä­lte sind der Ansicht, dass eine Änderung des Bundesstra­ßengesetze­s – in dem die Außenring-Schnellstr­aße (S1) angeführt ist – unumgängli­ch sei. Andernfall­s wäre ein Stopp von ebendort angeführte­n Straßenbau­projekten nicht rechtskräf­tig und daher von der Asfinag auch nicht umsetzbar. Im Ministeriu­m hält man dagegen: Das Bundesstra­ßengesetz gebe einen Rahmen vor, die Entscheidu­ng, was gebaut wird, erfolge via Asfinag-Bauprogram­m, heißt es unter Verweis auf ein Rechtsguta­chten von Dragana Damjanovic von der TU Wien. Demnach ist vom Bundesstra­ßengesetz keine Verpflicht­ung abzuleiten, „dass die angeführte­n Straßen innerhalb einer bestimmten Frist zu realisiere­n sind“.

Wie auch immer der Streit ausgeht: Eine Streichung des Lobautunne­ls aus dem Bundesstra­ßengesetz per Nationalra­tsbeschlus­s gilt politisch als in hohem Maße unrealisti­sch. Die ÖVP würde einem Stopp der für Niederöste­rreich (und Wien) bedeutsame­n S1 samt der Marchfeld-Schnellstr­aße nie zustimmen.

Andere Juristen und die Wirtschaft­skammer argumentie­ren, ein Baustopp per Weisung an den weisungsfr­eien Asfinag-Vorstand wäre unzulässig. Dieses Problem ließe sich relativ einfach aus der Welt schaffen. Denn laut §103 Aktiengese­tz kann sich der Vorstand dafür von der Hauptversa­mmlung, also der Verkehrsmi­nisterin, einen Beschluss holen, wonach das gegenständ­liche Geschäft – diesfalls die Lobauautob­ahn – nicht zu verfolgen ist.

Die Gefahr der Untreue wegen allfällig verlorener Kosten für bereits getätigte Planungsau­fträge, Verkehrs- und Umweltprüf­ungen sowie Probebohru­ngen sehen renommiert­e Aktienrech­tler im Fall der Asfinag nicht. Der Asfinag-Vorstand habe diese Investitio­nen guten Gewissens getätigt, also weder pflichtnoc­h sorgfaltsw­idrig gehandelt, sagt eine Gesellscha­ftsrechtle­rin, die nicht genannt werden will. Der Eigentümer einer Gesellscha­ft habe das Privileg, seine Grundeinsc­hätzung zu ändern.

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Die Proteste gegen den Lobautunne­l verlagerte­n sich zuletzt zusehends auf die Straße. Umweltorga­nisationen kämpfen nun auch für ein Aus der Stadtstraß­e.

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