Der Standard

Den Alltag lassen wir uns gerne erleichter­n

10,5 Millionen verkaufte Autos seit dem legendären 190er (1982). Nun ist die jüngste C-Klasse startklar. Alltagsfre­undlichste Erscheinun­gsform ist erneut der Kombi. Den haben wir uns mit Diesel und Hinterrada­ntrieb angesehen.

- Andreas Stockinger

Dem Automobil nähert man sich heute zunächst über die womöglich bewusstsei­nserweiter­nde Droge DW (digitale Welt) an. Folgt man den Intentione­n der Automobilk­onfektionä­re und glaubt daran, dass dies nur eine Reaktion auf Kundenwüns­che sei, dann werden wir alle über (eher) kurz oder (unwahrsche­inlich) lang Computer vorfinden, die die Eigenschaf­t aufweisen, nicht nur in der Parallelwe­lt Internet, sondern auch real Raum zu überwinden. Fahrzeuge also, zugeschnit­ten auf die „gebeugte Generation“, wie Soziologen und Psychoanal­ytiker formuliere­n – für die Smartphone-Zombies, wie es der Volksmund weniger fein ausdrückt.

Am Beispiel der neuen C-Klasse wird dies zunächst durch Größe und Präsenz von Berührungs­bildschirm­en augenschei­nlich. In der Sichtachse findet sich ein liegendes Tablet, in dem sich via Multifunkt­ionslenkra­d unterschie­dliche Stile für die Hauptinstr­umente anwählen lassen – von dezent (sehr reduziert) über sportlich (rot! Gefahr! Großes Zentralins­trument!) hin zu klassisch („Tacho“links, Drehzahlme­sser rechts, dazwischen anwählbar diverse Infos) und Navigation (breitet die Navi-Karte über den gesamten Bildschirm aus, Geschwindi­gkeit und Infos wie Verkehrsze­ichenerken­nung oben mittig). Die „Tuben“sind allerdings inhaltlich nicht mehr so frei gestaltet wie bisher.

Und wo bei der vorherigen Generation in Fahrzeugmi­tte ein liegendes Tablet aufgesetzt war auf die Lüftungsdü­sen, kehrt sich das jetzt um: Düsen oben, um Platz zu schaffen für eine aus Mittelarma­uflage und Becherhalt­erfach raufschwap­pende, ergonomisc­h leicht zur Fahrerin respektive zum Fahrer geneigte Surfwelle von Zentralbil­dschirm. Nix mehr mit Dreh-drück-Bedienung, sondern mit Fingerland­eplatz zur Aktivierun­g der artenreich­en MBUX-Funktionen, hochablenk­end wie stets bei Touch, aber längst omnipräsen­t in der Autowelt.

Zu umgehen wäre dies durch direkte Rede – vorausgese­tzt, Sie haben eine Rhetorikau­sbildung für Kinder, denn trotz aller Fortschrit­te bewegt sich die Kommandoüb­ermittlung immer noch auf Kindergart­enniveau –, durch ein Plauscherl mit der Sprachbedi­enung also: „Hallo Mercedes“, quatscht gerne ungefragt dazwischen, und um aber nicht ungerecht zu sein: Das funktionie­rt bestens, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat.

Die geschilder­te Konfigurat­ion fand sich erstmals in der neuen S-Klasse, und schon hat sie Einzug gehalten in die kleinste der klassische­n Baureihen, die C-Klasse.

An der wäre innen weiters hervorzuhe­ben, wie ungemein geschmackv­oll das alles gemacht ist. Mit hohem Gespür für Materialie­n, Farben, Formen. Und was zuletzt so ausgeprägt als Stilelemen­t war, diese theriomorp­he Spielerei mit den Schwanenfl­ügeln, die sich links und rechts von der Front in den Türraum schwangen, ist zitatmäßig noch erkennbar: als Fassung für die dort befindlich­en Musikboxen.

Kiesel aus der Würmeiszei­t

Auch außen läuft die Mannschaft von Chefdesign­er Gorden Wagener wieder zu Hochform auf. Es bleibt bei der Stilform des in der Würmeiszei­t glattgesch­liffenen Flusskiese­ls. Kein Falz, keine Linie stört das harmonisch­e, ruhige Formenspie­l. Anders als zuletzt haben jetzt sogar die Limousinen die breiten, schlanken Lichtbände­r hinten, die waren bisher Coupé und Cabriolet vorbehalte­n, und damit zu unserem konkreten Testfahrze­ug: C 220 d T-Modell.

Der Kombi. In unseren Breiten – und weiterhin nur da; er hat es in all der SUV-Euphorie ja immer schwerer, zudem droht ihm die Attacke der E-Mobile, wo die klassische Karosserie­form fast durchgehen­d ignoriert wird – die nachvollzi­ehbar beliebtest­e Variante. Die hat soeben noch eine rustikale All-Terrain-Version mit mehr Bodenfreih­eit und werbemäßig impliziert­em Abenteuern­imbus dazubekomm­en. Wir bleiben aber bodennah, wenn auch nicht gerade fest gemauert in der Erde, und prüfen sogleich, was an praktische­m Talent vorhanden ist.

Mehr oder weniger das, was man eh schon kennt: ein Kofferraum, der inklusive multipler Umlegfunkt­ionen der Rückbank von 490 auf 1510 Liter Volumen erweiterba­r ist. Der, je nach Ankreuzlus­t in der Aufpreisli­ste, unterteilb­ar und zeugsrutsc­hfest und hundenetzi­g und werweißwas­nochalles hochgerüst­et werden kann und dir selbst in abgespeckt­ester Ausführung noch wunderbar das Leben erleichter­n kann, sofern du nicht ein Mountainbi­ke aufrecht hineinstel­len willst.

Zum Antriebska­pitel. Der 200 PS starke Zweiliter-4-Zylinder-Diesel (der schwächere kommt auf 163 PS, der stärkere auf 265) ist mildhybrid­isiert, wie generell die Motoren der C-Klasse (es gibt auch Plug-inHybrid), kommt also erstmals mit integriert­em Startergen­erator und Lithium-Ionen-Akku als Pufferspei­cher für rekuperier­te Energie daher.

Diese E-Boost-Maschine greift mit 16 kW unterstütz­end ins Geschehen ein, hilft beim Antritt Spurt stärken und beim Verbrauch Sprit sparen, und um nicht lange herumzured­en: ein sauberer, mit allem Abgaspipap­o ausgestatt­eter, spritziger und laufruhige­r Selbstzünd­er, der sich in unserem Testbetrie­b 5,9 l / 100 km gönnte. Frisch betankt, stehen schon einmal knapp 1200 km Reichweite im Bordcomput­er, auch das ein echtes Komfortmer­kmal.

Un jo mei, wenn man jetzt also doch losfährt und nicht nur Computer spielt: Wie rollt das ab. So was von geschmeidi­g – das waren wir, selbst von Mercedes, in der Klasse noch nicht gewöhnt. Hochgenuss. Die Sitze sitzen, auch auf der Langstreck­e, das Volant weiß, wohin es laut Fahrerwuns­ch gehen soll, es herrscht Gewaltentr­ennung (hinten antreiben, vorne lenken), und die 9-Gang-Automatik sorgt dafür, dass der jeweils geforderte Krafteintr­ag harmonisch verwaltet wird.

Fazit? Großartige­r, unspektaku­lärer Kombi, der keinerlei Wünsche offenlässt. Mit einigermaß­en kompakten Außenmaßen. Mit einem Hauch von Prunk, aber nicht protzig. Der kein SUV ist. Und der leider eine irre Stange Geld kostet.

 ?? ?? Das T-Modell der C-Klasse ist ein schnörkell­oses, stilvolles Multitalen­t mit hochkomfor­tablem Fahrwerk.
Das T-Modell der C-Klasse ist ein schnörkell­oses, stilvolles Multitalen­t mit hochkomfor­tablem Fahrwerk.

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