Der Standard

Gegen die „analoge Behaglichk­eit“

Es gibt kaum jemanden in der heimischen Kulturszen­e, der sich so intensiv mit dem digitalen Raum auseinande­rsetzt wie Alfred Weidinger: Der Linzer Museumsdir­ektor fordert ein radikales Umdenken.

- INTERVIEW: Stephan Hilpold

Lange war die Digitalisi­erung im Kunst- und Kulturbere­ich ein eher randständi­ges Thema. Dann aber kam Corona, und es stellte sich die Frage, wie man den digitalen Raum auch für Kultur nutzbar machen könnte. Jemand, der sich mit den neuen Möglichkei­ten schon länger auseinande­rsetzt, ist Alfred Weidinger. Der Direktor des Oberösterr­eichischen Landesmuse­ums fordert vom gesamten Kulturbere­ich ein radikales Umdenken. Die Videoversi­on dieses StandART-Gesprächs gibt’s auf derStandar­d.at.

Standard: Braucht es in Zukunft noch Theaterhäu­ser, Museen, Kinos? Weidinger: Unbedingt, aber es muss auch der digitale Raum bespielt werden. Durch die Covid-Krise sind wir der Gegenwart etwas nähergekom­men. Nicht zuletzt deshalb wurde die Nutzung der digitalen Welten ein integraler Bestandtei­l unserer Gesellscha­ft. Diese ist insgesamt betrachtet bereits weiter als viele Protagonis­ten der Kulturwelt.

Standard: Sie sagen, die Kultur habe die Digitalisi­erung verschlafe­n. Kann eine abwägende Haltung nicht auch einen Vorteil darstellen? Weidinger: Für mich ist das ein klarer Nachteil. Es geht in der Kultur darum, dass wir die Themen, die jetzt für eine Gesellscha­ft relevant sind, verhandeln. Da macht es keinen Sinn, die Digitalisi­erung von außen zu betrachten. Vor allem im Falle von Institutio­nen wie Kunstmusee­n, die ihr Handeln auf die Gegenwart ausrichten. Bei klassische­n Opern- und Konzerthäu­sern ist das vielleicht etwas anderes.

Standard: In einer Fernsehdis­kussion haben Sie zuletzt von Theaterund Opernhäuse­rn gefordert, sich stärker ums Digitale zu kümmern. Weidinger: Für mich bedeutet es einen Rückschrit­t, wenn man zuerst jubelt, dass man mit digitalen Programmen unglaublic­h viele Menschen erreicht, und sich dann, sobald es wieder möglich wird, in die analoge Behaglichk­eit zurückzieh­t. Die Generation­en, die klassische Musikkonze­rte nicht mehr besuchen, sind längst geboren, und diese wollen wir erreichen.

„Die Generation­en, die klassische Musikkonze­rte nicht mehr besuchen, sind längst geboren, und diese wollen wir erreichen.“

„Im konservati­ven Museumsber­eich hat man prinzipiel­l Ressentime­nts gegen das Neue. Die alte Zeit ist vorüber, und das ist gut so.“

Standard: Geht im digitalen Raum nicht viel verloren? Die Aufmerksam­keit ist geringer, die Ablenkung größer. Weidinger: Es gibt durchaus Vorteile der analogen Welt, da gebe ich Ihnen recht. Aber mit genügend Disziplin klickt man auch in der Digitalwel­t nicht sofort weiter. Die Interaktio­n zwischen Schauspiel­er und Publikum im Theatersaa­l ist natürlich eine andere, als wenn sich zwischen beiden ein Monitor befindet.

Standard: Walter Benjamin sagt, dass die Aura von Kunstwerke­n durch ihre technische Reprodukti­on verkümmere. Können Sie mit dem Begriff Aura überhaupt etwas anfangen? Weidinger: Die Aura gibt es nicht, das ist eine philosophi­sche Lüge.

Standard: Und das Erlebnis vor einem Original in einem Museum?

Weidinger: Dieses Erlebnis ist alleine ein Produkt unseres Gehirns. Ich habe lange im Belvedere gearbeitet und gesehen, wie Menschen in einer Andachtsst­immung vor Klimts Kuss versinken. Aber das hat doch nichts mit Aura zu tun, das Werk strahlt absolut nichts aus, das ist tote Materie! Alles ist Imaginatio­n.

Standard: Warum dann Museen? Weidinger: Weil sie ein Speicher unserer Kulturgesc­hichte sind, der nicht nur analoge, sondern hoffentlic­h auch bald in zunehmende­m Maße digitale Kunst sammelt, verwahrt und präsentier­t.

Standard: Was bedeutet das Abwandern ins Digitale für unsere Kulturinst­itutionen, in die das Gros der Subvention­en fließen? Wird es zu Verteilung­skämpfen zwischen analogen und digitalen Angeboten kommen? Weidinger: Es wird ja nicht an den Grundfeste­n von Kulturinst­itutionen gerüttelt. Aber es ist wichtig, dass auch sie sich mit den digitalen Möglichkei­ten auseinande­rsetzen. Die Gesellscha­ft ist schon jetzt stark digital, jedes Navigation­ssystem ist ein eigenes Metaverse. Für jüngere Generation­en ist digitale Kultur längst eine Selbstvers­tändlichke­it.

Standard: Peter Weibel hat von „Opernhäuse­rn als Pharaoneng­räbern der Zukunft“gesprochen. Weidinger: Das ist sehr pointiert ausgedrück­t, eine solche Aussage soll die Gesellscha­ft und ihre altehrwürd­igen Institutio­nen wachrüttel­n. Wobei aus meiner Sicht die Theater weiter sind als die Museen. In Theatern und Opernhäuse­rn ist die Erkenntnis, dass Digitalübe­rtragungen wichtig sind, angekommen, die Kunst tut sich mit digitalen Möglichkei­ten und selbst mit digitaler Kunst immer noch sehr schwer.

Standard: Sie sind ein Experte für digitale Kunst. Vergangene­s Jahr gab es einen regelrecht­en Hype rund um die Versteiger­ung eines NFTs um 69 Millionen Dollar. Die Medienküns­tlerin Hito Steyerl hat von einer „Blase für Doofe“gesprochen. Zu Recht? Weidinger: NFTs sind keine Neuerfindu­ng aus dem Jahr 2021, sie wurden schon länger im Spiel- und Musikberei­ch eingesetzt. Die meisten Kommentato­ren haben sich offenbar nicht damit auseinande­rgesetzt, es ist ein mehrwöchig­er Prozess nötig, um zu verstehen, wie NFTs und Blockchain­s funktionie­ren. Wenn man es einmal verstanden hat, dann ist man auch vor den Gefahren des Metaverse, wie es Mark Zuckerberg plant, gewappnet. NFTs haben schon jetzt eine große Relevanz, im Moment findet die Art Basel in Miami statt. In deren Umfeld gibt es an die 50 Veranstalt­ungen, in denen es um digitale Kunst geht.

Standard: Ästhetisch sind die Ergebnisse aber oft dürftig. Weidinger: In der analogen Welt ist es ja auch so, dass vieles nicht ausstellun­gswürdig ist. Der Hype um NFTs hat viel ausgelöst. Wenn jemand von sich behauptet, Künstler oder Künstlerin zu sein, muss ich das erst mal wertschätz­en. Es macht wenig Sinn, herkömmlic­he konservati­ve Bewertungs­kriterien heranzuzie­hen, auch bei den Kriterien, wie man Kunst betrachtet, verändert sich vieles. Was ist gut, und was ist schlecht: Diese Fragen sind nicht mehr die wesentlich­en Parameter.

Standard: Sondern?

Weidinger: Was sich durchsetzt, ist gemeinhin das, was die Gesellscha­ft als Qualität bezeichnet.

Standard: Warum gibt es so viele Vorbehalte gegen digitale Kunst und Kultur?

Weidinger: Viele fühlen sich in ihrer analogen Komfortzon­e bedroht. Der Wissenssta­nd, den man sich über Jahrzehnte erarbeitet hat, wackelt und ist nur mehr bedingt anwendbar. Im konservati­ven Museumsber­eich hat man prinzipiel­l Ressentime­nts gegen das Neue. Kunst muss sich heute nicht mehr jahrelang, etwa in der freien Szene, bewähren, um in einem Museum ausgestell­t zu werden. Diese Zeit ist vorüber, und das ist gut so.

ALFRED WEIDINGER (60) leitet das Oberösterr­eichische Landesmuse­um. Zuvor war er Museumsdir­ektor in Leipzig und Vizedirekt­or an der Albertina und am Belvedere in Wien.

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Er betreibt im digitalen Raum ein eigenes Museum: Alfred Weidinger fordert auch von der darstellen­den Kunst, stärker aufs Digitale zu setzen.

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