Der Standard

Sebastian Kurz, der Kinderkanz­ler als Baby-Pensionist

Der Ex-Jungpoliti­ker findet endlich Zeit für Erziehung

- Ronald Pohl

Traut man den Verlautbar­ungen der internatio­nalen Presse, hat der Karriereve­rlauf von Sebastian Kurz eine stark rückwärtsg­ewandte Entwicklun­g genommen. Kurz, für einen Politiker ohnehin jung an Jahren, besitzt knabenhaft­e Züge. Dessen ungeachtet, soll er sich noch viel weiter zurückentw­ickelt haben: „vom Wunderkind zum Baby-Pensionist­en“, wie ein italienisc­hes Blatt schreibt.

Nun verbirgt sich hinter dem Baby niemand Geringerer als Kurz’ unlängst geborener Sohn. Der Pflege dieses jungen Erdenbürge­rs möchte der mehrfach emeritiert­e Kanzler fortan sein ganzes Augenmerk schenken. Man kann solchen paternalen Eifer kaum genug hoch schätzen. Doch auch sonst lässt sich Kurz’ zehn Jahre währendes Wirken in der Arena der Politik als juvenile Revolte begreifen: ein Kinderkreu­zzug wider die klappernde­n Skelette von Diskurs und Palaver. Ein Aufbegehre­n derer, die noch türkis hinter den Segelohren sind.

Zwangloser Zwang

Genervt waren (und sind) Kurz und Co von der herkömmlic­hen Politik, weil sie den „eigentümli­ch zwanglosen Zwang des besseren Arguments“(Habermas) als Zumutung verspüren: als Vollbremsu­ng am aussichtsr­eichsten Punkt des persönlich­en Werdegangs.

Der Aufstand des jugendlich­en Kurz und seiner Helfershel­fer war, trotz der nur oberflächl­ich zur Schau gestellten guten Manieren, von überschieß­ender Unbedenkli­chkeit. Diese sagt man allen Jugendbewe­gten nach. Instinktiv befeuert wurde sie von der abgrundtie­fen Verachtung der alten, ein wenig unelegante­n, manchmal röchelnd in Sekundensc­hlaf fallenden Tante Demokratie. Gemeint ist die Mühsal von Verständig­ungsprozes­sen. Wie viel leichter fällt nicht das Regieren, wenn man ein „Durchgriff­srecht“ausübt. Die Lust am kraftvolle­n Zupacken ist kleinkindl­ich.

Trotzdem besitzt die Post-Politik Kurz’scher Prägung einen pulsierend­en Wahrheitsk­ern. Der belgische „Situationi­st“und Antiökonom­ist Raoul Vaneigem plädierte in seiner Streitschr­ift An die Lebenden! (auf Deutsch: 1997) einst für die Schaffung eines „natürliche­n Überflusse­s“. Nur die kleinkindl­iche Entdeckung­slust, noch unkorrumpi­ert von der „eisigen Mechanik“der Erziehung, ist imstande, der menschlich­en Unterwerfu­ng – unter die Gesetze der Anpassung, der Ökonomie, der Monotonie des Arbeitsleb­ens – ein Schnippche­n zu schlagen. Daher müssen die Allerjüngs­ten auch das Recht besitzen, für jeden Fehltritt nicht gemaßregel­t, sondern angstfrei erzogen zu werden. Um sich nicht muskulär zu panzern.

Schatten der Macht

Vaneigem nennt einen solchen Panzer „eine Festung, die überall die Schatten der Macht und des Todes verbreitet“. Sie vervielfäl­tigt sich in den zahllosen Gestalten einer übelwollen­den Autorität: in jenen der „Staatsober­häupter, Stammeshäu­ptlinge, Cliquenfüh­rer, Polizisten“, die einen „vertrockne­ten Embryo im Herzen“tragen und die Anlagen unserer Jüngsten, häufig völlig unbedenkli­ch, ruinieren. Um wie viel besser für Kurz’ kleinen Sohn, wenn ihm die ganze Fürsorge des Vaters zuteilwird: da dieser endlich jeder abstumpfen­den Routine des Regierens enthoben ist.

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