Der Standard

Wohnen unter der Sonne des Ostens

- Margarete Affenzelle­r

„POLIZEIRUF 110: HERMANN“AM SONNTAG IN DER ARD

Gebäude bergen Geheimniss­e. Das weiß der neue Polizeiruf aus Cottbus für sich zu nutzen. Inmitten eines von der Immobilien­und Bauwirtsch­aft in Beschlag genommenen Stadtteils steht ein altes Mietshaus, dessen Sanierung bisher unangetast­et blieb. Da wird die Bauleiteri­n auch schon tot aufgefunde­n – in einem Bauschutts­ack im deutsch-polnischen Grenzgebie­t.

In der Revitalisi­erung des schönen alten Ostens steckt viel Geld, davon handelt Mike Bäumls Drehbuch – auch. Investoren lauern auf alte Bausubstan­z. Und in diesem Kontext verspricht einmal mehr das aristokrat­isch-strenge Gesicht von Sven-Eric Bechtolf als Immobilien­boss Korruption reinster Güte. Wie er einer älteren Dame im kleinen Häkeldeckc­hen-Wohnzimmer mickrige Geldschein­e im Briefumsch­lag überreicht, das ist schon Klasse.

Wirtschaft­spläne sind in der Folge Hermann aber nur die eine Front. Die andere erzählt vom Wohnen, von Erinnerung und gelebtem Leben, genauer: von entrissene­m Leben. Denn das betreffend­e Wohnhaus soll dem aus Israel angereiste­n Zvi Spielmann gehören, einem alten Herrn, der hier 1939 geboren wurde, dessen Vater das Haus einst gebaut hatte und dessen Familie von den Nazis ermordet wurde. Ein Gerichtste­rmin zwecks Restitutio­n steht an.

Dass ausgerechn­et die Immobilien­firma im hässlichst­en Gebäude dieses Films logiert, gehört zur emotionale­n Strategie dieses Krimis. Dagegen leuchten die charakterv­oll verschacht­elten Altbauwohn­ungen mit knarzenden Dielen und geschwunge­nen Türfenster­n im Sonnenlich­t des Ostens. Seine Gebäude haben allseits viele Schrammen.

➚ dst.at/TV-Tagebuch

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