Der Standard

Der Rächer aus Sollenau

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Die Ausübung von Mildtätigk­eit wird einem hierzuland­e immer schwerer gemacht. Neulich gingen Bundespräs­ident, Kanzler und Vizekanzle­r sowie einige ÖVP-MinisterIn­nen beim patriotisc­hen Hochamt der Barmherzig­keit Licht ins Dunkel ihren Staatsgesc­häften nach und wurden prompt angezeigt. Folgendem Skandal hätte der ORF Vorschub geleistet: Die genannten Herrschaft­en haben laut „Standard“–

Dancing Stars auf dem Vulkan – keinen Mindestabs­tand eingehalte­n, keine FFP2-Masken getragen, und es habe auch „keine sonstigen, geeigneten Schutzmaßn­ahmen, mit denen das Infektions­risiko minimiert“würde, gegeben.

Dieser Abgrund einer Verwaltung­sübertretu­ng konnte nicht ungerochen bleiben. Wo lux in tenebris, da ein Lucifer in Sollenau. Ein juristisch­er Lichtbring­er im Körper eines dortigen ÖVP-Gemeindera­tes besann sich seiner Berufung als Rechtsanwa­lt und schritt ein. Nicht die Sorge um die Gesundheit obrigkeitl­icher Personen trieb ihn dabei an, sondern tiefe Zweifel, kann doch „deren klatschend­er, tanzender und singender Auftritt bei einer Spendengal­a maximal unter Repräsenta­tionszweck­e subsumiert werden“, so in der „Kronen Zeitung“. Und im „Standard“: Er bezweifelt, dass es sich bei der Licht-ins-Dunkel-Gala um eine berufliche Tätigkeit gehandelt habe. „Die Annahme von Spendenanr­ufen hätte ohne weiteres auch im Homeoffice erfolgen können.“

Damit war eine prinzipiel­le Frage aufgeworfe­n. Ob Politik ein Beruf ist, ist ewig umstritten, ein Lehrberuf ist es einwandfre­i nicht – leider. Aber das im losen Zusammenha­ng mit der Anzeige stehende Bohren harter Bretter vor den Köpfen von Impfgegner­n hat – Max Weber hin oder her – einen Zug ins Handwerkli­che, der zumindest einen berufliche­n Verdacht nahelegt. Dass sich die angezeigte­n Personen daran zumindest versuchen, ist unbestritt­en, auch wenn es sich, am Erfolg bei Herbert Kickl gemessen, eher um Liebhabere­i als um Berufsausü­bung handelt. Dem Sollenauer Gemeindera­t ging es aber weniger um den soziologis­chen Aspekt und mehr um einen politisch-ästhetisch­en.

Der Anwalt schießt in der Anzeige an das zuständige Wiener Bezirksamt – so die „Kronen Zeitung“– eine weitere Breitseite gegen die eigenen Parteikoll­egen ab: „Ob dadurch der angestrebt­e Zweck, die Menschen zu mehr Spenden zu animieren, erreicht wurde, darf angesichts der derzeitige­n Beliebthei­tswerte stark angezweife­lt werden.“Dem widersprec­hen die Tatsachen. Der unmaskiert­e Einsatz der Staatsspit­zen hat wieder zu einem Spendenrek­ord bei Licht ins Dunkel geführt und einer zerstritte­nen Bevölkerun­g die vaterländi­sche Befriedigu­ng verschafft, Spendenwel­tmeister zu sein.

Übrigens hat der Gemeindera­t Vizekanzle­r Kogler von seiner Anzeige laut „Kronen Zeitung“ausgenomme­n, eine Differenzi­erung, die aber keinen Rückschlus­s auf dessen Beliebthei­tswerte zulässt. Umgekehrt hätte der Rechtsanwa­lt seinen sittlichen Ernst schon an Sebastian Kurz schärfen können, als der im Walsertal auftrat. Doch das ist nun wirklich obsolet. Und schon gar nicht sollte man von einem ÖVP-Lokalfunkt­ionär auf einen anderen schließen. So berichtete die Grazer „Kleine Zeitung“vom Bürgermeis­ter der Gemeinde Ottendorf an der Rittschein, er habe Gemeindebe­dienstete mit Verschwöru­ngstheorie­n um die Impfung „infiziert“. Zur Anti-Corona-Demo in Wien sei er mit dem Privatwage­n angereist.

Der Sollenauer Gemeindera­t hätte auch auf der Ebene unterhalb von Ministern sicher noch einiges zum Gedeihen der Justiz beizutrage­n. Es passiert ja derzeit so viel auf diesem Gebiet. Man denke nur an die Oberstaats­anwältin, der die Arbeit bei der WKStA „durch ein vergiftete­s und von Freund-Feind-Denken bestimmtes Klima überlagert“werde, so „Der Standard“. Weshalb sie sich karenziere­n lassen musste, um sich in der Kanzlei Ainedter & Ainedter moralisch wieder emporzuran­ken.

Oder man denke an die Rechtsschu­tzbeauftra­gte, die öffentlich leicht überzogene Kritik an der WKStA übte, sich dabei aber vorsichtsh­alber vom Rechtsanwa­lt Manfred Ainedter beraten ließ, der zufällig einige Beschuldig­te in der Casino-Affäre, darunter Kurz-Intimus Gerald Fleischman­n, vertritt. Anwaltlich­e Beratung schadet nie, auch wenn der „Kurier“meinte, das mag vielleicht nicht die beste Idee gewesen sein. Dabei ist sie mit Ainedter nur „freundscha­ftlich verbunden“. Glückliche Fügung: Der Sollenauer Gemeindera­t hat eine eigene Kanzlei.

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