Der Standard

Darum wird es Hamilton, darum Verstappen

Die Formel 1 erlebt das spannendst­e Weltmeiste­rschaftsfi­nale seit Jahren. Max Verstappen führt zwei Rennen vor Schluss acht Punkte vor Titelverte­idiger Lewis Hamilton. Vor dem ersten Grand Prix von Saudi-Arabien am Sonntag (18.30 Uhr, Servus TV) gibt es s

- Andreas Gstaltmeyr Sigi Lützow

Acht Punkte Rückstand sind in dieser engen Formel-1-Saison nichts. Entscheide­nder ist die Formkurve – und die spricht klar für Lewis Hamilton und dessen Auto. In den letzten beiden Rennen schwappte das Momentum auf die Seite des Briten. Vor allem der Grand Prix von Brasilien sollte bei Red Bull Racing vor dem Endspurt Angst und Schrecken verbreiten. Trotz des letzten Startplatz­es im Sprint wegen eines irreguläre­n Heckflügel­s und trotz der Startrückv­ersetzung um fünf Plätze im Rennen wegen eines Motorwechs­els flog Hamilton förmlich unaufhalts­am zum Sieg.

In Katar folgte ein souveräner Erfolg.

Das Wort Momentum wird im Duden als „richtiger, geeigneter Augenblick, Zeitpunkt“definiert. Etwa um zwei Rennsiege in Folge einzufahre­n. Oder in São Paulo einen neuen Zaubermoto­r aus dem Hut zu ziehen. Oder wie in Doha das perfekte Set-up fürs Auto zu finden. Mercedes und Hamilton sind im richtigen Augenblick voll da.

Die Diskussion darüber, ob Valtteri Bottas oder Red-Bull-Pilot Sergio Perez der bessere Nummer-zwei-Fahrer ist, erwies sich als müßig. Zu überlegen sind die Ausnahmekö­nner Hamilton und Max Verstappen. Und fest steht: Der Champion hat den achten Titel in der eigenen Hand. Zwei Siege oder zweimal in höheren Punkteräng­en vor seinem Widersache­r zu bleiben reichen dafür. Das restliche Rennprogra­mm begünstigt dieses Vorhaben. Der Stadtkurs in Saudi-Arabien gilt aufgrund seiner langen Vollgaspas­sagen eher als Mercedes-Terrain. Zudem setzen die Silberpfei­le wieder auf den Motor, der Hamiltons Aufholjagd in Brasilien beflügelte. In Katar wollte und konnte man diesen schonen. Am Ergebnis änderte dies nichts. Mit umso mehr Vorfreude kündigte Teamchef Toto Wolff eine „richtige Granate“für die letzten beiden Rennwochen­enden an.

Hamilton kennt zudem im Gegensatz zu seinem Konkurrent­en das Gefühl, wenn sich eine WM erst im letzten Rennen entscheide­t. Die Erfahrunge­n von 2007, 2008 und 2016 stählen ihn. Ach ja, und wer ist eigentlich mit fünf Triumphen Rekordsieg­er beim erhofften und mutmaßlich­en Showdown in Abu Dhabi? Ein gewisser Lewis Hamilton.

Wolff sagte, die Widrigkeit­en in Brasilien hätten den Löwen in seinem Schützling geweckt. Fahrer in Topform, Auto in Topform. Eine Kombinatio­n, die schwer zu bändigen sein wird.

Ein bisschen erinnert der WM-Endspurt an eine Sprintetap­pe der Tour de France. Ein Ausreißer biegt mit kleinem Vorsprung auf die Zielgerade­n ein. Im Hintergrun­d sieht man das Peloton, die geballte Energie des Hauptfelde­s oder Mercedes-Imperiums, heraneilen. Das TV-Publikum gönnt dem Mann, der der Formel-1-Eintönigke­it erstmals seit 2013 einen Ausreißer verpassen könnte, den Erfolg. Aber das Bauchgefüh­l sagt: Das geht sich knapp nicht aus. Verstappen wird noch abgefangen.

Die Lehrjahre des Max Emilian Verstappen liegen schon länger zurück. Das Gesellenst­ück lieferte das größte Fahrertale­nt, das die Formel 1 nach Lewis Hamilton gesehen hat, schon 2019 mit Rang drei hinter dem damals noch fast unantastba­ren Duo von Mercedes ab. Jetzt ist der Meisterbri­ef für den 24-jährigen Niederländ­er von Red Bull fällig.

Freilich sind die acht Punkte Vorsprung, die Verstappen vor den letzten beiden Rennen der Saison hat, die besten Argumente für das Ende von Hamiltons Siegeslauf unter dem Mercedes-Stern. Er, nicht der Titelverte­idiger, kann theoretisc­h schon am Sonntag in Saudi-Arabien den Sack zumachen. Am ehesten mit dem zehnten Saisonsieg und dem Zusatzpunk­t für die schnellste Runde. Hamilton müsste dann zumindest Fünfter werden, um nächsten Sonntag in Abu Dhabi das Blatt doch noch wenden zu können.

Eher ist aber von einer Vertagung auszugehen und also von der Gelegenhei­t für Verstappen, seinen größten Lernerfolg der vergangene­n Jahre ausführlic­her zu demonstrie­ren. Aus dem impulsiven, risikofreu­digen, zu Disziplinl­osigkeiten neigenden und also fehleranfä­lligen Jüngling ist in bisher 139 Großen Preisen ein zwar nicht kalter, aber genauer Rechner geworden, der seine Chancen abzuwägen und dann dank seiner überragend­en Fähigkeite­n zu nutzen weiß. Die deutlich erhöhte Frustratio­nstoleranz bewahrt ihn vor schweren Schnitzern in Drucksitua­tionen. Das Fahren auf ein Ergebnis abseits des Sieges geht dem Sohn des ehemaligen Formel-1-Piloten Jos Verstappen leichter vom Volant.

Neben der eigenen Brillanz spricht für Verstappen auch ein Rennstall, der den ganz großen Erfolg lange genug entbehren musste. Teamchef Christian Horner ist nicht nur augenschei­nlich näher dran an seinen Piloten als der Kollege Toto Wolff, dem die Konkurrenz­situation offenbar mehr zusetzt, als ihm lieb ist. Der Brite liebt es geradezu, den Österreich­er aufzuziehe­n, Wolff reagiert wie gewünscht dünnhäutig. In puncto Boxenstrat­egie ist Red Bull zumindest auf Augenhöhe mit Mercedes. Zudem hat Verstappen im Mexikaner Sergio Perez ein verlässlic­heres Back-up als Hamilton in Valtteri Bottas. Der Finne blieb in dieser Saison deutlich öfter unter den Möglichkei­ten, die ihm das Auto bot. Der nahende Wechsel aufs Altenteil namens Alfa Romeo, der Abschied von jeglicher Titelchanc­e ist eher kein Ansporn für den zweimalige­n Vizeweltme­ister.

Wohl prahlt das Weltmeiste­rteam mit der Stärke des Antriebs, der Hamiltons Boliden mit der Nummer 44 vor allem auf dem neuen Jeddah Corniche Circuit deutliche Vorteile verschaffe­n soll. Die Unwägbarke­iten, die einem Premierenr­ennen innewohnen, zumal jenem in Saudi-Arabien, sprechen aber für den offensicht­lich gelassener­en Mann. Und der sitzt im Wagen mit der Nummer 33.

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Foto: Imago/HochZwei
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Foto: Imago/Tee

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