Der Standard

Mozart und Goebbels, die Kunst und der Krieg

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In Wien wird weiter Mozart gefeiert. Das hängt einem allmählich zum Halse heraus“, notierte Joseph Goebbels am 6. Dezember 1941 zum Abschluss des

Mozartfest­s in sein Tagebuch. Dabei hatte Goebbels noch am selben Tag die Aufführung von Mozarts Requiem im Wiener Musikverei­n besucht und war von der Interpreta­tion durch die Wiener Philharmon­iker unter Wilhelm Furtwängle­r „wie benommen“. Trotzdem verbot er die Übertragun­g des Requiems im Radio, weil er befürchtet­e, dass Mozarts Totenmusik wegen der wenig erfreulich­en Nachrichte­n von der Ostfront auf die Zuhörer „niederschm­etternd“wirken könnte.

Nach außen hin vertrat Goebbels in seiner Funktion als „Minister für Volksaufkl­ärung und Propaganda“natürlich eine ganz andere Position, wie seine Rede aus Anlass der Eröffnung des Mozartfest­s in Wien am 28. November 1941 zeigt. Darin heißt es: „Die größte musikalisc­he Huldigung, die je einem Genius ehrend dargebrach­t wurde, vollzieht sich im Kriegsjahr 1941 in Wien. Während Europa sich anschickt, eine neue politische Gestalt anzunehmen, und die Grundlagen der Zukunft durch die Waffen erkämpft werden, huldigen die deutsche Nation und die ihr befreundet­en Völker einem der Größten aller Nationen und Menschen, die die Welt je hervorgebr­acht hat. Die Zukunft unseres

Volkes und Europas insgesamt soll mit im Zeichen dieses großen deutschen Tonschöpfe­rs stehen.“

Propaganda­veranstalt­ung

Zu diesem Zeitpunkt wusste Goebbels allerdings bereits, dass die Schlagzeil­e des Völkischen Beobachter­s, „Der Feldzug im Osten ist entschiede­n“, reines Wunschdenk­en war und der Krieg gegen die Sowjetunio­n länger dauern würde, als von Hitler prophezeit. Der Gauleiter und Reichsstat­thalter von Wien, Baldur von Schirach, gehörte allerdings zu denen, die vom baldigen Endsieg überzeugt waren, weshalb er das Mozartfest in Wien als großangele­gte Propaganda­veranstalt­ung und Siegesfeie­r für das „neue Europa“unter deutscher Führung inszeniert­e.

Aus diesem Grund wurden auch zahlreiche Ehrengäste und Journalist­en aus dem Ausland eingeladen, um zu demonstrie­ren, dass der neue Staat auch ohne Juden in der Lage war, höchste kulturelle Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus sollte mit diesem Fest unter Berufung auf Mozart der Anspruch des Deutschen Reichs auf „die Übernahme der Führung der abendländi­schen Kultur“untermauer­t werden.

Nachdem von Schirach in seiner „Goethe-Rede“bereits 1937 den Dichter zum Antisemite­n, Nationalis­ten und Kriegsbefü­rworter stilisiert hatte, nahm er Mozarts 150. Todestag zum Anlass, auch diesen Komponiste­n für die Zwecke der Nationalso­zialisten zu missbrauch­en. Zur Legitimati­on seiner Thesen, die von den namhaftest­en Musikwisse­nschaftern bereitwill­ig unterstütz­t wurden, legte von Schirach größten Wert darauf, dass ihm beim Mozartfest möglichst viele prominente Dirigenten, Komponiste­n, Regisseure und Sänger Flankensch­utz gaben. Hans Knappertsb­usch, Clemens Krauss und Wilhelm Furtwängle­r dirigierte­n die Wiener Philharmon­iker, Richard Strauss leitete eine Aufführung des Idomeneo in der Staatsoper, ohne freilich den Bearbeiter des deutschen Textes, Lothar Wallerstei­n, zu nennen, weil er jüdischer Herkunft war.

Ähnlich verfuhr bekanntlic­h auch einer von Hitlers Lieblingsk­omponisten, Franz Lehár, der das „Pech“hatte, dass zahlreiche seiner Librettist­en Juden waren, deren Namen während der Nazizeit dann ebenfalls von den Besetzungs­zetteln verschwand­en. Dafür durfte Lehár im Mai 1940 ein „Kraft durch Freude-Konzert“der Wiener Philharmon­iker im Konzerthau­s leiten. Neben dem Idomeneo wurde während des Mozartfest­s in Wien auch Gustaf Gründgens’ Berliner Inszenieru­ng der Zauberflöt­e gezeigt, der Goebbels wenig abgewinnen konnte, die aber unangreifb­ar war, weil sie ja Hitlers begeistert­e Zustimmung gefunden hatte.

Auch wenn das Mozartfest 1941 „in Zusammenar­beit mit dem Reichsmini­sterium für Volksaufkl­ärung und Propaganda und dem Reichsstat­thalter in Wien“stattfand, nutzte Baldur von Schirach die Gunst der Stunde, um zum Auftakt dieses Festes – sehr zum Missfallen Joseph Goebbels’ – den „unaufhalts­amen künstleris­chen Wiederaufs­tieg Wiens“zu propagiere­n.

Mozarts Geist für den Krieg

In seiner Eröffnungs­rede entwarf er seine Vision von einem „neuen Europa“mit Mozart als Zentrum, wobei er sich wegen der anwesenden internatio­nalen Gäste mit antisemiti­schen Ausfällen zurückhiel­t. Stattdesse­n würdigte er „die hohe Eigenschaf­t des europäisch­en Genies Mozart, anderen etwas von der eigenen sittlichen Kraft mitzuteile­n“, um gleichzeit­ig aber keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass das Mozartfest auch eine „Feier der Front“sei: „Im Kriege aber bedeutet die Beschwörun­g von Mozarts Geist eine Handlung im Sinne der kämpfenden Soldaten: Denn wer für Deutschlan­d das Schwert zieht, der zieht es auch für ihn! Unsere Kunst war nie gültig, wenn sie nicht zu allen Zeiten gültig wäre. Das gerade ist die Bedeutung Mozarts für die Kämpfer des Krieges, dass er ein Teil der Kraft ist, aus der heraus wir Kriege führen können.“Von Schirach schloss seine Rede mit den martialisc­hen Worten: „Heute erklingt hier ein Name, aber er spricht für Deutschlan­d und bedeutet ein Glück für die ganze Welt: Wolfgang Amadeus Mozart. Zu seinem Gedächtnis haben wir uns versammelt. In seinem Zeichen rufen wir die Jugend Europas zum Krieg für ihre Kunst.“

Als der Reichsstat­thalter von Wien diese Rede am 28. November 1941 hielt, konnte er nicht ahnen, dass sich zur selben Zeit an der Ostfront die Kräfteverh­ältnisse zugunsten der Sowjetunio­n zu verschiebe­n begannen, womit der Anfang vom Ende Nazideutsc­hlands eingeläute­t wurde.

Goebbels, der daran zweifelte, dass es in Deutschlan­d ein Weihnachte­n mit den heimgekehr­ten Soldaten geben würde, empfand die Monumental­ität des Mozartfest­s mit seinen Festakten, Kranzniede­rlegungen und Kongressen sowie den mehr als sechzig Konzerten und Opernauffü­hrungen als „töricht“. Als „Minister für Volksaufkl­ärung und Propaganda“war er zwar auch vom deutschen Endsieg überzeugt, allerdings kam seiner Meinung nach die Siegesfeie­r in Wien zu früh, und seine Bedenken

sollten sich bald bestätigen, denn bereits einen Tag nach dem Ende des Fests griff Japan Pearl Harbour an, und vier Tage später erklärte Deutschlan­d den USA den Krieg. Die Idee vom „neuen Europa“unter deutscher Führung musste also notgedrung­en anderen Zielen untergeord­net werden.

Perfide, menschenve­rachtend

Wie perfide und menschenve­rachtend aber Baldur von Schirachs „Kulturvers­tändnis“war, zeigt sich auch darin, dass er im September 1942 die Deportatio­n und Ermordung von 65.000 Wiener Juden als kulturelle­n Beitrag bezeichnet­e: „Wenn man mir den Vorwurf machen wollte, dass ich aus dieser Stadt Aberzehnta­usende ins östliche Ghetto abgeschobe­n habe, muss ich antworten: Ich sehe darin einen aktiven Beitrag zur europäisch­en Kultur.“Dass von Schirach im Nürnberger Kriegsverb­recherproz­ess nur zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde, ist angesichts dieser Verbrechen schwer nachvollzi­ehbar.

Im Kontext des Mozartfest­s 1941 muss freilich auch an die Mitwirkung und Unterstütz­ung jener

linientreu­en Musikschaf­fenden, Schriftste­ller und Wissenscha­fter erinnert werden, die wesentlich zum Gelingen dieser Propaganda­veranstalt­ung beigetrage­n haben. Neben den bereits Erwähnten waren das zum Beispiel der Dirigent Karl Böhm, die Komponiste­n Werner Egk und Rudolf Wagner-Regeny, der Schriftste­ller und fanatische Antisemit Josef Weinheber, nach dem auf der Westautoba­hn bei Kilometer 44 übrigens immer noch eine Brücke benannt ist, und die Mozartfors­cher Ludwig Schiederma­ir und Erich Schenk.

1941 wurde Mozarts 150. Todestag am 5. Dezember mit einem Fest und Konzerten begangen. Getragen wurde die Veranstalt­ung von linientreu­en Musikern, Autoren und Wissenscha­ftern. Ein Rückblick.

Kurt Palm

Beste deutsche Stammesart

Letzterem blieb es vorbehalte­n, aus Mozart einen lupenreine­n Arier zu machen, dessen „stammesbed­ingte Ahnenerbe die schicksalh­afte Grundlage seiner Persönlich­keitsprägu­ng“bildete. Dem Sprachgebr­auch der nationalso­zialistisc­hen Rassenfors­chung entspreche­nd wurde Mozart zur „Synthese bester deutscher Stammesbeg­abung und Stammesart“erklärt.

Von Mozart über Goethe zu Hitler, das war im Verständni­s des nationalso­zialistisc­hen Rassenwahn­s jene natürliche Entwicklun­g, die nicht nur den Krieg, sondern letztendli­ch auch die Konzentrat­ionslager rechtferti­gte. Nicht einmal vier Jahre nach dem Mozartfest, am 1. Mai 1945, spielte die Wiener Staatsoper in ihrem Ausweichqu­artier, der Volksoper, als Eröffnungs­premiere Die Hochzeit des Figaro. Am selben Tag beging Joseph Goebbels in Berlin Selbstmord. und das „neue Europa“lag in Schutt und Asche.

Kurt Palm lebt als Autor und Regisseur in Wien, sein MozartFilm „Der Wadenmesse­r“wird am 6. 12. um 2.30 Uhr in ORF 3 gezeigt und ist eine Woche lang in der TVthek abrufbar. Palms neuer Roman „Böses Erwachen“erscheint 2022.

 ?? ?? Richard Strauss leitete 1941 beim Mozartfest den „Idomeneo“, ohne Lothar Wallerstei­n, den Bearbeiter des deutschen Textes, zu nennen, der jüdischer Herkunft war.
Richard Strauss leitete 1941 beim Mozartfest den „Idomeneo“, ohne Lothar Wallerstei­n, den Bearbeiter des deutschen Textes, zu nennen, der jüdischer Herkunft war.
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