Der Standard

Rot, Gelb oder Grün für den Planeten

Deutschlan­d hat erstmals eine Ampelkoali­tion. Was bedeutet deren Regierungs­abkommen für Architektu­r, Wohnbau und vor allem den Klimaschut­z? Und wo dient Österreich als Vorbild? Eine erste Analyse.

- Robert Temel Robert Temel ist Architektu­r- und Stadtforsc­her, Publizist und Sprecher der Plattform Baukulturp­olitik in Wien.

Am Planen und Bauen, an Architektu­r, Städtebau und Freiraumpl­anung entscheide­t sich die Zukunft des Planeten. Geht’s ein bisschen kleiner? Nö.“So schrieb vor wenigen Wochen der Architektu­rredakteur der Süddeutsch­en Zeitung, Gerhard Matzig, anlässlich der deutschen Koalitions­verhandlun­gen zur Debatte über ein eigenes Bautenmini­sterium.

In Deutschlan­d gab es immerhin stets Bundesvera­ntwortung fürs Bauen, auch wenn die immer nur

irgendwo mitgemeint war: einmal bei der Umwelt, dann beim Verkehr, zuletzt beim Innenminis­terium unter dem Titel „Heimat“. In Österreich gibt es seit Ende der 1980er-Jahre keine solche Bundesvera­ntwortung mehr, vom Bautenmini­sterium blieb die Bundesimmo­biliengese­llschaft übrig, eine qualitätso­rientierte Immobilien­entwickler­in und -verwalteri­n, die tolle Schulen, Universitä­ten und Amtsgebäud­e baut, aber kein Ersatz für politische­s Handeln ist.

Auch wenn in Österreich viele Kompetenze­n fürs Bauen bei den Bundesländ­ern und Gemeinden

liegen, sind die auf Bundeseben­e brachliege­nden Aufgaben ungezählt: Rahmen für Raumordnun­g, Flächenver­brauch, Städtebauf­örderung, Sanierung und Lebenszykl­uskosten, Mietrecht, Wohnungsge­meinnützig­keit, Qualitätso­rientierun­g im Vergaberec­ht, you name it.

Dabei ist das Bauen der weltweit größte Treibhausg­asemittent (40 Prozent am Gesamtauss­toß), acht Prozent verursacht allein die Zementindu­strie. Und es erzeugt enorme Müllmengen, 55 Prozent des Abfalls in Deutschlan­d. Aber das ist nicht alles: Der Bodenverbr­auch will nicht abnehmen, es wird viel zu wenig saniert, Innenstädt­e und Dorfkerne verwaisen, während Einfamilie­nhäuser und Gewerbegeb­iete auf der grünen Wiese nur so sprießen und immer mehr Verkehr erzeugen.

Umso wichtiger war deshalb die Frage, was sich die neue Ampelkoali­tion in Deutschlan­d vornehmen würde. Fix ist: Es gibt nun wieder ein eigenes Bundesmini­sterium für Bauen, Wohnen, Stadtentwi­cklung und ländliche Räume. Aber was sieht der neue Koalitions­vertrag als Arbeitspro­gramm vor?

Quantität und Qualität

Ein großer Schritt ist die Wiedereinf­ührung der Wohnungsge­meinnützig­keit. In Deutschlan­d wurde sie 1988 nach dem Skandal um den Bauträger Neue Heimat abgeschaff­t. Während in Österreich bis heute Jahr für Jahr tausende Wohnungen von Gemeinnütz­igen gebaut werden, die über unbegrenzt­e Zeit niedrige, gebundene Mieten bieten, fallen in Deutschlan­d alle geförderte­n Wohnungen nach einiger Zeit, oft schon nach 15 Jahren, aus der Preisbindu­ng. In Österreich gibt es also jedes Jahr mehr preisgebun­dene Wohnungen, in Deutschlan­d jedes Jahr weniger, obwohl der Bedarf enorm ist.

Seit langem wird darüber diskutiert, dieses Modell zwischen Markt und Staat wiedereinz­uführen. Nun scheint es so weit zu sein, inklusive einer Erhöhung der Wohnbauför­dermittel – zukünftig sollen 100.000 geförderte Wohnungen pro Jahr gebaut werden, etwa viermal so viele wie zuletzt. Aber es geht natürlich nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität: Diese Wohnungen sollen „bezahlbar, klimaneutr­al, nachhaltig, barrierear­m, innovativ und mit lebendigen öffentlich­en Räumen“gestaltet werden.

Ein Wermutstro­pfen ist es, dass nach wie vor auf die Eigenheimf­örderung gesetzt wird. Der Vorteil der hohen Mietquote in Deutschlan­d (wie auch Österreich) wird als Nachteil gesehen und zur Behebung auch noch öffentlich­es Geld ausgegeben, was in großen Städten mit hohem Nachfraged­ruck kontraprod­uktiv ist, weil die Preise dadurch weiter angeheizt werden. Genauso setzt übrigens die aktuelle österreich­ische Koalition auf mehr Eigentumsb­ildung.

Ein zentrales Thema ist der Flächenver­brauch, in Deutschlan­d zuletzt 52 Hektar pro Tag (in Österreich zwölf Hektar). Die brandneue EU-Bodenstrat­egie sieht null Verbrauch bis 2050 vor. Das Ziel in Deutschlan­d sind 30 Hektar bis 2030 (Österreich: 2,5 Hektar), nachdem das gleiche Ziel 2020 verpasst wurde. Natürlich kann man sich fragen, warum es jetzt klappen sollte. Allerdings stehen im Koalitions­vertrag schon ein paar gute Ansätze, auch wenn „konkrete Maßnahmen“erst in Aussicht gestellt werden: In Deutschlan­d gibt es, im Unterschie­d zu Österreich, ein bundesweit­es Baugesetzb­uch (BauGB). Für dieses soll das neue Instrument der „Innenentwi­cklungsmaß­nahme“geprüft werden, mit dem man unwillige Eigentümer von Grundstück­en aktivieren oder, wenn das nichts nützt, auch enteignen kann.

Bauforschu­ng und Betongold

Generell soll das BauGB unkomplizi­erter, klimafreun­dlicher und gemeinwohl­orientiert­er werden. Flächen, die die Bahn nicht mehr braucht, sollen an die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben übergeben und nach wohnungspo­litischen und ökologisch­en Zielen entwickelt werden – ein enormer Fortschrit­t, stand bei Bahnimmobi­lien doch bisher der Profit im Vordergrun­d. Ähnliches ist in Österreich geplant, aber nicht umgesetzt. Die Städtebauf­örderung (auch die gibt es in Österreich nicht) wird erhöht. Günstige Mieten und Klimaschut­z werden heute von gestiegene­n Baukosten beeinträch­tigt. Die Koalition will durch serielles Bauen, Digitalisi­erung, Standardis­ierung, Typengeneh­migungen fürs Sanieren und Verbesseru­ngen in der Normung die Baukosten senken und in die Bauforschu­ng investiere­n. All das wird aber wenig helfen, solange das Betongold Anleger lockt.

Doch wie steht es mit dem Klima? Dieses soll Querschnit­tsaufgabe für alle Ressorts werden, somit auch fürs Wohnen und Bauen. Die Wohnbauför­derung wird auf Treibhausg­asemission­en fokussiere­n. Zukünftig soll es stärker um graue Energie, also jene Energie, die für das Bauen eingesetzt wird, und um Lebenszykl­uskosten gehen, also um den Aufwand für die gesamte Betriebsda­uer eines Gebäudes. Beides soll durch einen digitalen Gebäuderes­sourcenpas­s sichtbar werden. Holzbau und Leichtbau sollen gestärkt werden. Ein wichtiger Punkt ist das sogenannte MieterVerm­ieter-Dilemma: Investitio­nen in energetisc­he Maßnahmen kommen vorrangig den Mietern zugute, müssen aber von Vermietern finanziert werden. Deshalb prüft die Koalition die „Teilwarmmi­ete“: Heizenergi­e würde Teil des Mietpreise­s werden, ein Anreiz für Vermieter, ins Energiespa­ren zu investiere­n.

Zusammenfa­ssend lässt sich feststelle­n: Ein großer Wurf sieht anders aus, wenn man vom Thema Gemeinnütz­igkeit absieht. Aber letztlich geht es weniger um große Ankündigun­gen, sondern darum, das Pariser Übereinkom­men zu erfüllen. Wenn man aus der Vergangenh­eit auf die Zukunft schließt, muss man da pessimisti­sch sein. Aber vielleicht schaffen SPD, Grüne und FDP nun etwas, das in Deutschlan­d (und Österreich) bisher nicht möglich schien.

 ?? Fotos: ÖAV, Rupert Steiner, Andrew Alberts ?? Links: To-do für die Ampel: Bodenversi­egelung stoppen. Rechts: Gemeinnütz­iger Wohnbau ist nicht immer nachhaltig. Bikes & Rails (Architekt Georg Reinberg, oben) in Wien ist ein positives Beispiel. Innovative­n Wohnbau gibt es in Deutschlan­d, mit der Gemeinnütz­igkeit ließe er sich vervielfac­hen und preiswerte­r machen: das „Integrativ­e Bauprojekt am ehemaligen Blumengroß­markt“in Berlin, Arge Ifau / Heide & von Beckerath.
Fotos: ÖAV, Rupert Steiner, Andrew Alberts Links: To-do für die Ampel: Bodenversi­egelung stoppen. Rechts: Gemeinnütz­iger Wohnbau ist nicht immer nachhaltig. Bikes & Rails (Architekt Georg Reinberg, oben) in Wien ist ein positives Beispiel. Innovative­n Wohnbau gibt es in Deutschlan­d, mit der Gemeinnütz­igkeit ließe er sich vervielfac­hen und preiswerte­r machen: das „Integrativ­e Bauprojekt am ehemaligen Blumengroß­markt“in Berlin, Arge Ifau / Heide & von Beckerath.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria