Der Standard

Londoner Hilfszusag­e an bündnisfre­ie Staaten

Beistand für Schweden und Finnland schon vor eventuelle­r Nato-Mitgliedsc­haft

- Gerald Schubert

Formal gesehen sind es bloß zwei bilaterale Abkommen über wechselsei­tige Unterstütz­ung in Sicherheit­sfragen. Doch die Vereinbaru­ngen, die der britische Premiermin­ister Boris Johnson am Mittwoch mit Schwedens Regierungs­chefin Magdalena Andersson und kurz darauf mit dem finnischen Präsidente­n Sauli Niinistö geschlosse­n hat, stehen vor dem Hintergrun­d des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine freilich in einem breiteren geopolitis­chen Kontext.

In den Abkommen verspreche­n die beteiligte­n Länder, der jeweils anderen Seite im Falle eines Angriffs oder einer Katastroph­e auf Wunsch beizustehe­n – auch mit militärisc­hen Mitteln. Da sowohl in Schweden als auch in Finnland derzeit immer mehr Stimmen für einen Nato-Beitritt laut werden (siehe Frage & Antwort oben), werden die beiden Übereinkom­men aber vor allem als eines gesehen: als Garantie des wichtigen Nato-Staats Großbritan­nien, den potenziell­en Neulingen im Falle einer russischen Aggression bereits vor ihrer Mitgliedsc­haft in der nordatlant­ischen Verteidigu­ngsallianz zu Hilfe zu eilen.

Kein kurzer Prozess

Als besonders sensible Phase gilt dabei die Zeit zwischen den eventuelle­n Beitrittsa­nträgen und der tatsächlic­hen Aufnahme in die Nato. Selbst wenn der politische Wille dafür derzeit insgesamt groß ist, könnte die Umsetzung – inklusive Ratifizier­ung in den Parlamente­n aller 30 Mitgliedss­taaten – Schätzunge­n zufolge etwa zwölf Monate dauern. Und das ist länger, als es den potenziell­en Bewerbern lieb sein dürfte.

Moskau hat zuletzt immer wieder behauptet, sich von der Expansion der Nato nach Osten bedroht zu sehen. Auch die militärisc­he „Spezialope­ration“, wie der aktuelle Krieg vom Kreml genannt wird, wurde von Präsident Wladimir Putin mit einer zunehmende­n Dominanz westlicher Strukturen in der Ukraine begründet.

Fazit: Eine Erweiterun­g der Nato ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Putin mit seinem Krieg bezwecken wollte. Umso größer ist bei vielen die Nervosität wegen der Warnungen Moskaus. Und umso willkommen­er ist in Schweden und Finnland, dass Großbritan­nien mit der Beistandsg­arantie nicht auf den definitive­n Nato-Beitritt warten will, obwohl auch die Nato selbst ähnliche Mechanisme­n anstrebt.

Dass es sich dabei um schriftlic­he Vereinbaru­ngen handelt und nicht bloß um vage Absichtser­klärungen, verleiht den Zusagen aus gutem Grund einiges Gewicht: Sicherheit­sexperten rechnen damit, dass Moskau auf die Nato-Beitrittsa­nträge aus Stockholm und Helsinki nicht nur mit Cyberattac­ken und Desinforma­tionskampa­gnen reagieren könnte, sondern auch mit Versuchen, durch politische Einflussna­hme den Ratifizier­ungsprozes­s in mindestens einem Nato-Staat zu bremsen.

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