Der Standard

Wirbelsäul­enprobleme

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Man muss den morgigen Parteitag der Volksparte­i als orthopädis­che Veranstalt­ung sehen. In Heute verkündete der zu kürende Obmann Karl Nehammer programmat­isch, seine Rede werde die Wirbelsäul­e des Parteitags sein. Es hat ja niemand erwartet, dass er in Graz seine Partei einer Operation am offenen Herzen unterzieht, aber ob sie nach Jahren der rituellen Bücklinge vor seinem Vorgänger aus einer solchen rhetorisch­en Verrenkung wieder in einen aufrechten Gang kommen kann, wird interessan­t mitzuerleb­en. Zweifel sind angebracht. Das Einzige, womit Nehammer bei dieser Gelegenhei­t gerade Haltung beweisen könnte, wäre, einen klaren Schlussstr­ich unter die Phase Kurz zu ziehen. Aber das wird nicht geschehen, soll er doch vor der Partei deren Verlängeru­ng vortäusche­n und vor der Öffentlich­keit deren unrühmlich­es Ende verklären.

Schon der einzige Anlass dieses Parteitage­s bedürfte doch einer Erklärung. Warum entledigt sich die ÖVP eines politische­n Genies, das ihr zwei Wahlen gewonnen hat und doch über jeden Verdacht politische­r Korruption erhaben ist, um einen niederöste­rreichisch­en Funktionär jenes Typs an seine Stelle zu setzen, den hinauszuin­trigieren als die zukunftwei­sende Leistung von Sebastian Kurz galt? Glückliche Fügung, dass nun ein Interview mit ihm auf der knappen Tagesordnu­ng steht. Wer, wenn nicht er, könnte da Licht ins Türkise bringen. Die Landeshaup­tleute hätten sicher auch einiges beizutrage­n, aber man sollte die Bandscheib­en der Partei nicht zu stark beanspruch­en.

Einer Partei mit Kreuzprobl­emen ist mit der besten rhetorisch­en Wirbelsäul­e nicht zu helfen. Nehammer schwebte ursprüngli­ch wohl eher das Redekonzep­t eines Stützkorse­tts vor, weil er ahnt, dass Einreiben nicht mehr hilft, gegen das, was auf Österreich, seine Regierung und auf ihn in den zwei Jahren bis zur nächsten Nationalra­tswahl zukommen wird. Er übernimmt die Partei in einem Zustand, der in einem grotesken Gegensatz zu der nostalgisc­hen Verklärung verflossen­er Wahlsiege steht, von der sich viele Funktionär­e nicht trennen können.

Von solchen Wahlsiegen ist sie, glaubt man den Umfragen, derzeit eher entfernt. Spätestens im nächsten Frühjahr stehen vier Landtagswa­hlen an, die er für die ÖVP gewinnen muss – so sehen es zweifellos die Landeshaup­tleute seiner Partei. Sie werden nicht zögern, die Verantwort­ung für Verluste in ihrem Sinne zu verteilen, wie das Tradition hat.

Nehammers Aktionen im Vorfeld des Parteitage­s waren nicht geeignet, dahinter den Besitzer einer kräftigen politische­n Wirbelsäul­e zu vermuten. Die Regierungs­umbildung wirkt wie ein nicht einmal von ihm ausgelöste­s Zufallspro­dukt, sein Versuch, der Krise zu steuern, indem man ein börsennoti­ertes Energieunt­ernehmen um Gewinne erleichter­t, veranlasst­e ÖVP-nahe Kreise, an seinem Geisteszus­tand zu zweifeln. Andere Kreise zweifelten daran, als er verkündete, die ÖVP habe kein Korruption­sproblem. Ein Herr der Lage, der die alte Volksparte­i zu neuen Ufern führen soll, sieht anders aus.

Heikle Diskussion­en über den Zustand der Volksparte­i zwischen alt und neu, türkis und schwarz erspart man sich beim Parteitag lieber. Wozu auch, wenn es doch an guten Nachrichte­n nicht fehlt. Markus Wallner bleibt Landeshaup­tmann in Vorarlberg.

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