Der Standard

Besser zwei Ministerie­n als ein „Superminis­ter“

Pandemie, Krieg und Teuerung sind wirtschaft­spolitisch­e Mammutaufg­aben. Die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er haben sich einen echten Arbeitsmin­ister – vom ÖAAB oder vom grünen Koalitions­partner – verdient.

- Oliver Picek OLIVER PICEK ist Chefökonom des soziallibe­ralen Arbeiterka­mmer- und ÖGB-nahen Momentum-Instituts.

Arbeitsmin­ister Martin Kocher wird befördert zum „Superminis­ter“für Wirtschaft und Arbeit. Er verspricht, sich künftig um alle zu kümmern. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“als neues (altes) Leitmotiv? Man muss nicht Karl Marx gelesen haben, um zu verstehen, dass Arbeitgebe­rin und Arbeitnehm­er fundamenta­l gegensätzl­iche Interessen haben. Bei Löhnen, Arbeitszei­t, Arbeitsbed­ingungen und Arbeitnehm­erschutz gilt ab einem gewissen Niveau: Was der eine gewinnt, verliert der andere.

Im „Nullsummen­spiel“schwang das Pendel zuletzt selbst im Arbeitsmin­isterium stark in Richtung der Interessen von Unternehme­rverbänden. Die Ausweitung von Saisonnier­zahlen, Mangelberu­fsliste und Rot-Weiß-Rot-Karte macht es leichter, auch mit Dumpinglöh­nen Personal zu finden. Geringere Strafhöhen bei Verstößen gegen das Arbeitsrec­ht machen Rechtsverl­etzungen für schwarze Schafe unter den Betrieben auch noch rentabel. Der Vorschlag eines abfallende­n

Arbeitslos­engeldes soll Arbeitslos­e dazu zwingen, Jobs mit schlechten Arbeitsbed­ingungen anzunehmen.

Eine Regierungs­umbildung hätte die Chance geboten, Martin Kocher offiziell zu dem zu machen, was er inoffiziel­l schon davor war: Minister für die Wirtschaft. Und dafür als Gegengewic­ht eine echte Arbeitsmin­isterin zu installier­en, die sich primär um die Probleme und Interessen der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er kümmert. Beide Minister müssten ihre jeweilige Zielgruppe kennen, vertreten und Kompromiss­e suchen.

Schwierige­s Machtgefäl­le

In einem Superminis­terium wird die Arbeit zum kleinen Bruder der Wirtschaft degradiert. Übermächti­ge Interessen von Konzernen und Wirtschaft­sverbänden bestimmen. Dieses Machtgefäl­le ist problemati­sch. Einzelne Arbeitnehm­erinnen sind im Betrieb in den meisten Fällen in einer schwächere­n Position als der Arbeitgebe­r. Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er haben also ein legitimes Schutzbedü­rfnis, auf das ein wachsamer Arbeitsmin­ister achten muss. Diese Rolle hätte jemand von den Grünen oder dem konservati­ven Arbeitnehm­erbund ÖAAB übernehmen können.

Preisdynam­ik einbremsen

Angesichts der Herausford­erungen täten zwei unterschie­dliche, auf Ausgleich bedachte Personen gut. Österreich ist mit der schwersten Energiekri­se seit den späten 1940er-Jahren konfrontie­rt, in näherer Zukunft gibt es weniger zu verteilen. Weil ausländisc­hes Gas und Öl mehr kostet, ist Wirtschaft­swachstum abgesagt, rollt eine Teuerungsw­elle durch das Land. Doch ein Teil der hohen Preise ist hausgemach­t. Heimische Stromerzeu­ger verdienen viel Geld mit kriegsbedi­ngten Übergewinn­en,

„Es geht darum, den Interessen­ausgleich zu schaffen, und das ist möglich.“Minister Kocher in der „ZiB 2“vom Dienstag

während der Großteil der Bevölkerun­g und Unternehme­n unter hohen Gas- und Strompreis­en leidet. Grundstück­spreise und Mieten explodiere­n seit 20 Jahren. Betriebe geben ihre gestiegene­n Kosten an die Konsumenti­nnen und Konsumente­n weiter. Die Gewerkscha­ften hecheln hinterher, damit die größten Reallohnve­rluste seit Jahrzehnte­n nicht zur Gänze an den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern kleben bleiben.

Es braucht einen Wirtschaft­sminister, der mit einem Pakt zur Senkung der Lebenshalt­ungskosten die Teuerungsd­ynamik einbremst. Intelligen­te Preiskontr­ollen können die Einkommen der unteren Mittelschi­cht im Land schützen – Höchstprei­se für Grundnahru­ngsmittel, Preisdecke­l auf Mieten und den Haushaltsg­rundbedarf an Gas und Strom. Ein Inflations­ausgleich der Sozialleis­tungen gäbe den Ärmsten Luft zum Atmen.

Sinken die Energiepre­ise nicht, muss jemand die Kaufkraftv­erluste tragen. Gut umgehen damit können Vermögende, Maximalver­dienende, Vermieteri­nnen, Unternehme­r mit

Gewinnen. Befristete höhere Abgaben für diese Gruppen könnten einen Verteilung­skampf mit dauerhafte­r Inflation vermeiden. Das zu organisier­en, zu verhandeln – damit ist ein Wirtschaft­sminister ausgelaste­t.

Auf einen Arbeitsmin­ister wartet eine Verschärfu­ng der Situation am Arbeitsmar­kt. Bald könnte Stagflatio­n – die Kombinatio­n aus hoher Inflation und niedrigem Wachstum – die Arbeitslos­igkeit wieder steigen

lassen und Kurzarbeit nötig machen. Das große Reformproj­ekt des Ministeriu­ms – ein neues Arbeitslos­engeld – schleppt sich seit einem Jahr dahin. Die Zahl der Langzeitar­beitslosen ist mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahrzehnt. Mammutaufg­aben warten. Selbst Superman wäre da wohl lieber zu zweit.

 ?? ?? Minister Kocher ist nach dem Rücktritt von Margarete Schramböck nun für Arbeit und Wirtschaft zuständig.
Minister Kocher ist nach dem Rücktritt von Margarete Schramböck nun für Arbeit und Wirtschaft zuständig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria