Der Standard

Zeitenwend­e im Norden

- Florian Niederndor­fer

Gut möglich, dass die Propaganda­maschineri­e des Kreml bald auch im beschaulic­hen Finnland fiese Nazis ortet, die zwischen Saunaaufgu­ss und Sprung in die kühlen Seen danach trachten, am Gängelband Washington­s in Wladimir Putins friedliebe­ndes Reich einzufalle­n. Wie das geht und wie gut eine solche Verschwöru­ngserzählu­ng verfängt, zeigt das Beispiel Ukraine.

Russland reagierte auf die historisch­e Entscheidu­ng der finnischen Staatsspit­ze, so schnell wie möglich der Nato beizutrete­n, wie üblich: mit Drohungen. Schmecken, so viel steht fest, wird Putin die Aussicht auf weitere Nato-Soldaten vor der Haustür nämlich nicht. Das muss es auch nicht. Wie jedes Land hat auch das bisher bündnisfre­ie Suomi, das eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, das Recht, sich um den Beitritt zu einer Militärall­ianz seiner Wahl zu bemühen.

Und spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat es auch jeden Grund dazu. Wenn es eine Lektion aus dem sinnlosen Ukraine-Krieg gibt, dann jene, dass einzig die Mitgliedsc­haft in einem potenten Militärbün­dnis vor Putins Aggression zu schützen vermag. In Helsinki hat man die Signale gehört: Nur die Nato könne Moskau verlässlic­h von einem Angriff auf Finnland abhalten, konstatier­te zu Beginn der Woche der Verteidigu­ngsausschu­ss des dortigen Parlaments.

Dass Präsident Sauli Niinistö und Regierungs­chefin Sanna Marin nun dieser Empfehlung Folge leisten und dem Bündnis „ohne Verzug“beitreten wollen, verdeutlic­ht, wie verletzlic­h sich die Demokratie­n im hohen Norden Europas dem unberechen­baren Nachbarn Russland gegenüber fühlen.

Und das nicht erst seit der russischen Ukraine-Invasion. Nicht umsonst stecken die finnischen Regierunge­n, gleich welcher Couleur, seit Jahrzehnte­n eine Menge Geld in die Verteidigu­ng. So profitiert nicht nur Finnland von der Nato, sondern auch die Nato von Finnland, das seine hochmodern­e und überpropor­tional große Armee in strategisc­h günstiger Lage in das Bündnis einbringt. Zudem dürfte auch Schweden dem finnischen Beispiel in Kürze folgen und seine traditione­lle Neutralitä­t angesichts der russischen Drohkuliss­e, etwa gegen die Ostseeinse­l Gotland, an den Nagel hängen.

Und auch weiter südlich könnte man sich darüber Gedanken machen, ob einem außer Rand und Band geratenen Diktator mit Sonntagsre­den und Anbiederun­g allein auf Dauer beizukomme­n ist. Zum Beispiel in Österreich.

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