Der Standard

Bar Skandal

Moritz Herzog träumte von einer Naturweinb­ar wie in Barcelona, Kopenhagen oder Paris. Schön für uns: Er hat jetzt eine.

- TEXT • SEVERIN CORTI

Uijegerl, schon wieder diese Litanei. Ist aber nötig: Gastronomi­sch schauen wir für ein Land mit derart explizitem Fokus auf Tourismus einfach alt aus, hoppeln den Trend setzenden Destinatio­nen konsequent hinterher, machen neue Entwicklun­gen aus Prinzip nur halbwarm nach, statt uns selbst etwas Heißes einfallen zu lassen. Ist aber auch schwer mit einer derart strukturko­nservative­n Eingeboren­enschaft, die der Besinnung auf Neues reflexarti­g mit „Sicher nicht“und „Freu mich schon auf den Bauchfleck“entgegentr­itt.

Natürlich durfte auch Moritz Herzog das mit seinem Naturweinh­andel Weinskanda­l erleben. Aber schön der Reihe nach: Anfang der Nullerjahr­e war der gebürtige Kärntner für die Pannobile-Winzer tätig, irgendwann aber wurde die Faszinatio­n für jene Weine zu groß, die ihm vornehmlic­h in Frankreich als „Vins naturels“eingeschen­kt wurden: mit Hingabe für althergebr­achte Techniken, minimalen Eingriffen in Weingarten wie -keller entstanden­e (und nicht so sehr „gemachte“) Weine, die ihn mit ihrem Fokus aufs Terroir und die Traube als Ganzem, mit ihrer Bekömmlich­keit und Würze (durchaus zuungunste­n des damals noch herrschend­en Diktats der Sortentypi­zität) in ihren Bann zogen. Herzog tat sich mit drei dieser Franzosen zusammen und gründete im Roussillon das Weingut Riberach – dem er mittlerwei­le nicht mehr angehört.

Parallel dazu holte er Naturweine nach Österreich und fächerte der erwachende­n lokalen Naturwinze­rszene ein bissl Wind unter die Flügel. In Westeuropa war der

Naturwein für eine Revolution der Gastronomi­e gut – von Barcelona bis Kopenhagen eröffneten Weinbars mit Talenten, die in großen Küchen gelernt, ihr Können und ihre Komplizens­chaft mit lokalen Gärtnern, Fischern und Fleischhau­ern aber auf neue, weniger elitistisc­he Art auf die Teller zu bringen gedachten. Naturwein passte da nur zu gut dazu.

In Österreich war das anders. Herzog ließ sich nicht beirren, holte hierorts als obskur verkannte Regionen wie Languedoc oder Savoyen vor den Vorhang und merkte, wie die besseren Restaurant­s des Landes, vom Steirereck bis zu Wirtshäuse­rn wie dem Glacisbeis­l, mitbekamen, was sich da für ein neuer Weg des Weins auftat. Die Lockdowns bestätigte­n das Umdenken – plötzlich wollten die guten Gäste auch zu Hause trinken, was ihnen zuvor nur von kundigen Sommeliers untergejub­elt wurde.

Jetzt ging es sich für Moritz Herzog plötzlich aus, den Traum von der eigenen Weinbar wahrzumach­en: ohne Prätention, aber mit gutem Essen aus Topzutaten, mit endlos vielen Flaschen, die nur darauf warten, ein bisserl Luft zu bekommen und eingeschen­kt zu werden. Wie sehr sich auch andere Auskenner genau so etwas gewünscht haben, lässt sich etwa an Stephan Martin, dem Sommelier, erkennen. Er war zuvor bei Filippou und Fabian Günzel (Aend) in multipel besternten Diensten – für eine richtig lässige Weinbar dieses Zuschnitts aber alleweil bereit, den hochdekori­erten Arbeitspla­tz aufzugeben.

Na &? • Kann man verstehen: In der neuen Hütte, die den Vorgängern­amen der Einfachhei­t halber ebenso unveränder­t ließ wie das Mobiliar und den pariserisc­h dicht bestuhlten Schanigart­en, muss man einfach Freude haben. Das Essen ist genau so, wie man es sich zu den Weinen erhofft: ohne Kokolores, aber mit kraftvolle­m Zug zum Endorphiez­entrum; mit expliziter Freude am Gemüse, aber ebensolche­r an geilen Sünden wie den Croquetas de Jamón oder erschütter­nd knusprigem Backteig des Fish zu den Chips (mit Malzessig!). Spargel ist gegrillt und mit rauchiger Paprikasal­sa „Salvitxada“kombiniert, gegrillte Kräutersei­tlinge werden bei Tisch in den Dottern der Eier von Chefwinzer­in Judith Becks Hendln geschwenkt, selbst eingesalze­ner Kabeljau wird mit rotem Zwiebel, Orangenfil­ets und Kapern zur Esqueixada. Das Brot von Joseph kann seine tragende Rolle zu alldem ideal ausspielen. Santé!

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 ?? ?? Ist das noch Neubau oder schon Paris? Aus der R&Bar wurde eine Naturweinb­ar mit handfest köstlichem Essen.
Ist das noch Neubau oder schon Paris? Aus der R&Bar wurde eine Naturweinb­ar mit handfest köstlichem Essen.

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