Der Standard

Brüssel stutzt Prognose für Wirtschaft­swachstum

Tourismus in Österreich leicht im Aufwind, aber Personal fehlt

- Günther Strobl Kommentar Seite 28

Brüssel – Mit dem russischen Einfall in der Ukraine sind die Wachstumsp­rognosen aus Vorkriegsz­eiten Makulatur geworden. Die EU-Kommission nimmt ihre Schätzung für die Euroländer deutlich zurück.

2022 erwartet die Behörde nun nur noch ein BIP-Plus von 2,7 Prozent. Im Februar war sie wenige Wochen vor der russischen Invasion noch von einem Zuwachs um 4,0 Prozent ausgegange­n. Zugleich rechnet die Kommission für heuer mit einer Teuerungsr­ate von 6,1 Prozent – nahezu eine Verdoppelu­ng zur Februar-Prognose. Die Inflation würde somit weit über dem Zielwert der EZB von 2,0 Prozent landen – und dies auch 2023 mit prognostiz­ierten 2,7 Prozent.

Auch die Wachstumsp­rognose für Österreich korrigiert Brüssel nach unten, allerdings deutlich weniger als im Euroraum. Hierzuland­e rechnen die EU-Ökonomen für 2022 mit einem Anstieg des BIP um 3,9 Prozent, das sind 0,4 Prozentpun­kte weniger als bisher angenommen. Allerdings revidierte die EU-Kommission auch für 2021 ihre Zahlen: Sie geht nun von einem Wirtschaft­swachstum von 4,5 Prozent aus. Die Inflation soll heuer mit 6,0 Prozent ihren Höhepunkt erreichen und 2023 auf 3,0 Prozent sinken. Auch das BIP-Plus dürfte dann mit 1,9 Prozent eher schwach ausfallen.

Der für Österreich wichtige Tourismus spürt zwar leichten Aufwind, wird an Vor-Corona-Zeiten aber auch heuer nicht anschließe­n. Vor allem der Kongress- und Städtetour­ismus leidet unter fehlenden Fernreisen­den. Für einen klaglosen Betrieb fehlen der Branche im Sommer zudem an die 35.000 Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen. (red)

Das Phänomen ist nicht neu, wird aber immer drängender: Hotels, Kaffee- und Wirtshäuse­r, aber auch viele andere Tourismusb­etriebe suchen Personal. Einmal sind es Köche oder Köchinnen, die fehlen, ein anderes Mal Servierkrä­fte, Housekeepi­ng und dergleiche­n mehr. Branchenve­rtreter sprechen von 20.000 bis 35.000 Stellen, die Mitte Mai für einen klaglosen Betrieb im Sommer noch unbesetzt seien.

Das ist mehr als in der Vor-CoronaZeit und hat auch damit zu tun, dass einige Tausend während der Pandemie und der Lockdown-bedingten Schließung von Hotels und Gastronomi­e in andere Branchen abgewander­t sind. In der Pflege, aber auch im Banken- und Versicheru­ngssektor, die ebenfalls Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen suchen, haben viele nicht nur geregelte Arbeitszei­ten, sondern auch neue Ganzjahres­beschäftig­ungen gefunden.

Zwar möchte der eine oder die andere zurückkehr­en in die Touristik; hie und da sei das auch passiert, berichten Hoteliers dem STANDARD. Die Mehrzahl der Abgewander­ten dürfte aber unwiederbr­inglich verloren sein für die Branche, die nach strengen Berechnung­en des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo) vor Corona etwa 7,4 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt (BIP; Wert aller in Österreich während eines Jahres hergestell­ten Waren und Dienstleis­tungen, Anm.) beigetrage­n hat.

Zeichen auf Erholung

Dabei stehen die Zeichen im Tourismus trotz anhaltende­r Corona-Infektione­n, dem Ukraine-Krieg vor der Haustür und einer Inflation, die lange nicht mehr so hoch war, auf Erholung. Die Österreich-Werbung (ÖW), die mit Geld wie schon lange nicht mehr ausgestatt­et wurde, um Gäste nach Österreich zu locken, hat Mitte April in den Hauptquell­märkten den Puls gemessen und ein starkes Interesse an Urlauben festgestel­lt. Über 70 Prozent der Befragten gaben an, heuer einen Sommerurla­ub zu planen. 2021 waren es nur 50 Prozent. „Neben den gestiegene­n fixen Urlaubspla­nungen sehen wir eine weitere positive Entwicklun­g“, sagte ÖW-Chefin Lisa Weddig am Montag bei der Eröffnung der Österreich­ischen Tourismust­age im Wiener Austria Center. „Die Anzahl der Länder, wo wieder gebucht wird, hat sich deutlich verbreiter­t.“

Breitere Nachfrage

Kamen im Vorjahr 82 Prozent aller Sommergäst­e aus der sogenannte­n DACH-Region – Deutschlan­d, Österreich, Schweiz – erwarte man heuer wieder Gäste aus ganz Europa, verstärkt auch aus arabischen Ländern, insbesonde­re den Emiraten. Weddig: „Das führt dazu, dass wir österreich­weit eine verbessert­e Auslastung haben werden.“Befragt wurden rund 10.000 Personen in zehn Hauptherku­nftsmärkte­n.

Deutliche Buchungszu­wächse werden aus Italien, Spanien, Frankreich, den Niederland­en und Emiraten gemeldet; eine stabile Nachfrage orte man in der DACH-Region sowie bei Amerikaner­n. Hinter einer dritten Gruppe von Ländern stünden hingegen einige Fragezeich­en. Dazu gehörten Länder in Zentral- und Osteuropa, die besonders stark durch Flüchtling­sbewegunge­n aus der Ukraine betroffen sind und mit höherer Inflation zu kämpfen haben.

Dazu gehöre aber auch China, das noch immer vom Reiseverke­hr ausgeschlo­ssen ist und wo Änderungen wohl erst nach dem Parteitag im Herbst zu erwarten sind. Alles in allem rechne man heuer mit einer einprozent­igen Steigerung der Buchungen im Vergleich zum Vorjahress­ommer, als man österreich­weit auf 66,4 Millionen Nächtigung­en im Zeitraum Mai bis Oktober kam. Damit lag man 16 Prozent unter dem Vor-Corona-Wert.

Susanne Kraus-Winkler, frisch bestellte Staatssekr­etärin für Tourismus in der Nachfolge der zurückgetr­etenen Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (ÖVP), sieht neben dem Arbeitskrä­ftemangel auch im Preisschub eine Herausford­erung für die Branche. Nun sei „Flexibilit­ät auf allen Seiten“gefordert, sagte sie zur Eröffnung der Österreich­ischen Tourismust­age. Ins gleiche Horn blies auch Robert Seeber, oberster Touristike­r in der Wirtschaft­skammer.

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Foto: APA / Roland Schlager Wegen fehlenden Personals werden in der Beherbergu­ng und auch in der Gastronomi­e Leistungen teils eingeschrä­nkt.

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