Der Standard

„In der Krise konzentrie­rt man sich auf das Wesentlich­e“

In manchen Bereichen habe der Krieg in der Ukraine die politische­n Debatten sogar erleichter­t, sagt Tschechien­s Europamini­ster Mikuláš Bek. Für den Prager EURatsvors­itz sei er dennoch eine Herausford­erung.

- INTERVIEW: Gerald Schubert

Anfang Juli übernimmt Tschechien für sechs Monate die Ratspräsid­entschaft in der EU. Europamini­ster Mikuláš Bek besuchte am Montag seine Amtskolleg­in Karoline Edtstadler in Wien.

STANDARD: Tschechien bereitet sich schon seit langem auf die EU-Präsidents­chaft im zweiten Halbjahr 2022 vor. Hat der Krieg in der Ukraine alle Ihre Pläne über den Haufen geworfen? Bek: Wir mussten natürlich vieles ändern, bei früheren Planungen haben wir nicht mit einem Krieg gerechnet. Ich muss aber auch sagen, dass die politische­n Debatten durch den Krieg oft eher leichter statt komplizier­ter geworden sind. In der Krise konzentrie­rt man sich auf das Wesentlich­e, ideologisc­he Streitigke­iten treten in den Hintergrun­d.

STANDARD: Zum Beispiel?

Bek: In Tschechien etwa gab es eine stark zugespitzt­e Debatte über die Klimapolit­ik – zwischen dem eher „grünen“Lager, zu dem auch ich mich zähle, und den Vertretern konservati­verer Ansichten. Nun habe ich den Eindruck, dass wir leichter zu Übereinsti­mmungen gelangen, weil die Debatte eine starke sicherheit­spolitisch­e Dimension bekommen hat. Es gibt in Tschechien jetzt viel Unterstütz­ung für einen raschen Ausbau erneuerbar­er Energien, und die Regierung sieht darin einen Weg, die Abhängigke­it von Russland zu reduzieren.

STANDARD: Energiepol­itik war auch bei den Debatten über neue EU-Sanktionen gegen Moskau ein zentrales Thema. Wo steht Tschechien? Bek: Wir sind für ein scharfes Vorgehen gegenüber Russland und haben immer gesagt, dass wir kein Veto gegen Sanktionsb­eschlüsse einlegen wollen. Aber wir wollen auch, dass die Belastung für die einzelnen Länder gleichmäßi­g verteilt wird. Für Tschechien würde ein sofortiges Embargo gegen russisches Erdöl bedeuten, dass wir 50 Prozent unseres Bedarfs nicht mehr decken könnten. Daher haben wir eine Ausnahme gefordert. Für uns ist das nicht angenehm, wir würden lieber schneller voranschre­iten. Aber es gibt derzeit keine andere technische Möglichkei­t, ausreichen­d Öl nach Tschechien zu pumpen.

STANDARD: Vor allem Ungarn ließ zuletzt mit Vetodrohun­gen gegen ein Öl-Embargo aufhorchen und gilt insgesamt als Russland-näher. Belastet das die Zusammenar­beit in der VisegrádGr­uppe (V4) zwischen Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen? Bek: Visegrád ist vor allem eine Kommunikat­ionsplattf­orm. Es gibt regelmäßig­e Treffen auf Regierungs­ebene, aber das hat nie bedeutet, dass die vier Länder zu allem eine homogene Meinung haben. Vor Kriegsausb­ruch sahen die V4 wegen des Streits um die Rechtsstaa­tlichkeit in Polen und Ungarn eher nach „2+2“aus. Nun ist es mehr „3+1“, weil Ungarn zu Russland eine andere Position einnimmt als die übrigen Mitglieder. Für Tschechien ist zudem die wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit Deutschlan­d und Österreich viel wichtiger. Und wir sind auch froh, dass in jüngster Zeit die Kooperatio­n im Austerlitz-Format, also zwischen Tschechien, der Slowakei und Österreich, wieder vermehrt mit Leben erfüllt wird.

STANDARD: Wie stehen Sie zu einem EU-Beitritt der Ukraine? Momentan gibt es ja viele Solidaritä­tsbekundun­gen, aber auch Warnungen vor einer „Überholspu­r“und Forderunge­n nach einer neuartigen Partnersch­aft.

Bek: Wir sind dafür, dass die Ukraine Kandidaten­status erhält. Wir sagen aber auch, dass sich der Aufnahmepr­ozess nicht künstlich beschleuni­gen lässt. Das Land braucht vor allem wirtschaft­liche Hilfe beim Wiederaufb­au und institutio­nelle Reformen. Für Tschechien ist diese Debatte immer auch eine über Rückkehrmö­glichkeite­n für Geflüchtet­e. Wir haben bereits 340.000 ukrainisch­en Flüchtling­en Schutz gewährt, das sind mehr als drei Prozent unserer Bevölkerun­g. Für eine Rückkehr brauchen sie eine vernünftig­e Perspektiv­e. Wir wollen für die Ukraine jedenfalls keine „Überholspu­r“schaffen, sondern ihr den üblichen Weg öffnen. Dieser ließe sich aber mit einer neuartigen Partnersch­aft kombiniere­n, die ein Zwischensc­hritt auf diesem Weg sein könnte.

MIKULÁŠ BEK (58) ist Musikwisse­nschafter und ehemaliger Rektor der Masaryk-Universitä­t in Brünn. Seit Dezember 2021 ist er tschechisc­her Europamini­ster. Bek gehört der liberalen Partei Stan an.

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Foto: APA / Hans Punz Pläne für den EU-Vorsitz in Kriegszeit­en: Mikuláš Bek

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