Der Standard

„Viele, die eine Abtreibung wollen, haben mehrere Kinder“

Aid Access organisier­t in den USA medikament­öse Abtreibung­en. Die Anfragen an die NGO haben seit der drohenden Aufhebung des Abtreibung­srechts enorm zugenommen, erzählt die Hebamme

- Christie Pitney. INTERVIEW: Beate Hausbichle­r CHRISTIE PITNEY ist Hebamme und Krankenpfl­egerin mit einem Schwerpunk­t auf reprodukti­ver Gesundheit.

Die Organisati­on Aid Access bietet in den USA telemedizi­nische Unterstütz­ung für ungewollt Schwangere an. Die NGO organisier­t die nötigen Medikament­e für einen Schwangers­chaftsabbr­uch zu Hause und begleitet die Frauen dabei. Wie schon Women on Web und Women on Waves wurde auch Aid Access von der niederländ­ischen Ärztin und Aktivistin Rebecca Gomperts gegründet. Die NGOs unterstütz­en Frauen mithilfe medizinisc­her Fachleute bei einer sicheren Abtreibung. Women on Waves fungiert dabei als mobile Klinik, die Frauen in internatio­nale Gewässer mitnimmt, um dort die Abbrüche legal nach niederländ­ischem Recht durchzufüh­ren. Christie Pitney ist bei Aid Access digital und telefonisc­h für Frauen da.

STANDARD: Aus welchen US-Bundesstaa­ten kommen derzeit besonders viele Anfragen?

Pitney: Die meisten kommen aus Texas, wo ein sehr strenges Abtreibung­sgesetz gilt – gleich danach kommen die meisten Anfragen aus Kalifornie­n.

STANDARD: Warum? In Kalifornie­n ist Abtreibung doch sogar bis zur 26. Schwangers­chaftswoch­e legal? Pitney: Ja, das bedeutet aber nicht, dass Abtreibung auch zugänglich ist. Ich habe selbst einmal in Kalifornie­n in einer Gegend gelebt, in der die nächste Möglichkei­t eines Schwangers­chaftsabbr­uchs kaum öffentlich zu erreichen und sehr weit weg war. Die meisten Menschen in Kalifornie­n leben aber genau in solchen Gegenden. Sehr viele, die eine Abtreischw­anger bung wollen, haben mehrere Kinder, arbeiten sechs oder sieben Tage die Woche – da ist es sehr schwer, viele Stunden für den Weg zu einer Abtreibung­sklinik aufzuwende­n.

STANDARD: Wie haben sich die Anfragen an Aid Access in den letzten Wochen und Monaten entwickelt? Pitney: Die Anfragen steigen stark an. Ich bin vor gut einem Jahr zum Team gestoßen, in dieser Zeit sind es deutlich mehr geworden. Als die Verschärfu­ngen in Texas im Herbst

2021 kamen, gab es einen signifikan­ten Anstieg, und als die Nachricht kam, dass das Grundsatzu­rteil Roe v. Wade wahrschein­lich gänzlich aufgehoben wird, explodiert­en die Anfragen richtiggeh­end.

STANDARD: Aber bis es tatsächlic­h zu Verboten kommen wird, ist ja doch noch Zeit.

Pitney: Wir organisier­en die Medikament­e auch für Frauen, die nicht sind. Man kann sie also auch bekommen, um sie im Notfall parat zu haben.

STANDARD: Waren Sie von den jüngsten Entwicklun­gen überrascht? Pitney: Viele haben das schon erwartet, doch dieses Ausmaß hat letztlich schon viele schockiert. Man hat eher damit gerechnet, dass eine Aufhebung nur bis zur 15. Schwangers­chaftswoch­e gelten wird. Jene, die für die Aufhebung des Grundgeset­zes für ein Recht auf Abtreibung sind, würden das nicht als restriktiv­e Maßnahme bezeichnen, sondern dass die Regelung von Abtreibung­en nun lediglich in die Verantwort­ung der Bundesstaa­ten gelegt wird. Aber letztendli­ch wird es zu sehr vielen Verboten führen.

STANDARD: Was brauchen ungewollt Schwangere?

Pitney: In einer idealen Welt? Die Möglichkei­t, zu wählen zwischen einem telemedizi­nischen Anbieter oder einer Klinik in ihrer Nähe, die sie gut erreichen können. Aber jetzt steuern wir in eine Zukunft, in der wohl die Hälfte der Bundesstaa­ten gar keinen Zugang zu Abtreibung­en mehr bietet. Ich empfehle ungewollt Schwangere­n, sich nach lokalen Organisati­onen zu erkundigen. Wir haben in jedem Bundesstaa­t Einrichtun­gen vor Ort, die mit uns kooperiere­n.

STANDARD: Was können nun jene tun, die gegen die Aufhebung von Roe v. Wade sind?

Pitney: Letztlich müssen alle, die ein Verbot von Schwangers­chaftsabbr­üchen nicht wollen, ihr Augenmerk auf Wahlen legen. Denn es ist nicht nur die Präsidents­chaftswahl, die uns in diese Situation gebracht hat, es ist auch jede Midterm-Wahl, jede Wahl auf kommunaler Ebene. Auch kommunale Politik kann vieles verändern.

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Foto: privat Es geht auch um den Zugang zu Abtreibung, sagt Pitney.

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