Die ungerechte Hitze
Vor allem die einkommensschwächeren Gegenden in Österreich sind oft Betonwüsten – und werden damit zu Brennpunkten des Klimawandels. Um sie zu kühlen, braucht es mehr Grün und weniger Autos. Vorbilder für die Problemlösung gibt es genug, wie eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer zeigt.
In der vergangenen Woche war es dann so weit: Am 11. Mai überschritt die Temperatur zum ersten Mal in diesem Jahr die 30-Grad-Marke – konkret in Innsbruck und Wien. Die magische Grenze wird aufgrund des Klimawandels immer öfter und früher erreicht: Vor 40 Jahren gab es den ersten Hitzetag in Österreich noch eineinhalb Wochen später.
Vor allem in Städten wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch heißer werden. Laut Prognosen könnte die Temperatur in Wien etwa um bis zu acht Grad ansteigen. Doch Wien ist nicht gleich Wien: Während in Randbezirken Grünflächen und Bäume kühlen, haben verbaute Stadtteile mit viel höheren Temperaturen zu kämpfen.
Die Verteilung von Hitze und Einkommen geht dabei oft Hand in Hand – zu diesem Schluss kommt eine am Montag veröffentlichte Studie im Auftrag der Arbeiterkammer (AK). Vor allem in den dichtbebauten Grätzeln im zweiten, fünften, zwölften, 15. und 20. Bezirk sowie in Teilen des zehnten, elften, 16., und 21. Bezirks ist es an heißen Tagen oft mehrere Grad heißer als in Stadtteilen mit viel Grün. In Betonwüsten wohnen laut der Erhebung vorwiegend einkommensschwächere Haushalte.
Sie leben in der Regel beengter, haben kein Geld für Klimaanlagen oder um der Hitze aufs Land zu entfliehen. Die hohen Temperaturen sind nicht nur unangenehm, sondern vor allem für Ältere oder Kranke, Kinder, aber auch jene, die harte körperliche Arbeit verrichten, eine Gefahr. Das belegen die Statistiken: Bereits seit Jahren gibt es in Österreich mehr Hitze- als Verkehrstote.
Bei der Stadt Wien ist das Thema inzwischen angekommen. Der Wiener Hitzeaktionsplan sieht neue Grünflächen und Flaniermeilen vor, bis 2025 will die Stadt 25.000 Straßenbäume pflanzen. Ab nächstem Sommer sollen auch Cooling Zones kommen, frei zugängliche Räume, die durch Klimaanlagen oder Schatten gekühlt werden.
Die Pläne der Stadt sind zwar ambitioniert, aber bei weitem nicht genug, urteilt das Landschaftsplanungsbüro Tilia und die Mobilitätsdesignfirma Con.sens, welche die Studie im Auftrag der AK erstellt haben. Denn wenn Straßen begrünt werden, passiert das oft fernab der Grätzel, in denen einkommensschwache Menschen leben.
Derzeit fließen in Wien rund 20 Millionen Euro jährlich in Klimaprojekte im öffentlichen Raum. Für eine umfassende Transformation, die es eigentlich brauchte, ist das weitaus zu wenig. Inklusive der Bezirksbudgets könnten damit etwa 25 Straßenabschnitte umgestaltet werden, rechnen die Studienautoren vor.
Durchgängiges Baumdach
Solchen kleinräumigen Vorhaben wohnt außerdem eine Krux inne: Wenn Grätzel durch weniger Verkehr und mehr Grün lebenswerter werden, steigen auch die Mieten. Im schlimmsten Fall lassen sich im klimafitten Grätzel also erst recht wohlhabende Menschen nieder. Würde man mit Schatten, Bäumen und Parks nicht kleckern, sondern mit dem breiten Pinsel auftragen, könnte man Gentrifizierung verhindern. Das geht allerdings nur mit mehr Geld.
Wenn in Wien begrünt wird, sind es außerdem oft nur einzelne Bäume, die in großem Abstand zueinander gepflanzt werden. Damit sich Fahrradfahrerinnen und Fußgänger auch im Sommer wohlfühlen, wäre aber durchgängiger Schatten notwendig, den es nur durch viele Bäume hintereinander geben kann. Idealweise kommt es zum „Kronenschluss“, bei dem die Blätter der Bäume einander berühren.
Ein Vorbild für die Studienautoren ist Paris – dort ist der Kronenschluss bei neuen Projekten inzwischen Standard. Die Stadt hat vor Jahren auch einen Plan angelegt, auf dem alle Flächen, die für eine Baumpflanzung infrage kommen, verzeichnet sind — ein wichtiges Werkzeug für mehr Grün in der Stadt. Sollten Rohre oder Kabel im Weg sein, werden bei der nächsten Erneuerung des Strom- und Wassernetzes die Leitungen nicht mehr quer über die ganze Straße, sondern möglichst gebündelt verlegt, um möglichst viel Erdreich für Wurzeln freizuhalten.
Zu Bekanntheit haben es inzwischen auch die „Superblocks“in Barcelona geschafft. Bestimmte Gebiete, jeweils drei mal drei Wohnblöcke groß, wurden begrünt und verkehrsberuhigt, Autos dürfen zu-, aber nicht mehr durchfahren, der Verkehr wird auf die Außenkanten der Superblocks gedrängt. Für Wien, wo es bereits Haupt- und Nebenstraßen gibt, ist das Konzept aber ungeeignet.
Daher haben die Studienautoren fünf neue Straßentypen entworfen, die speziell auf die Wiener Gründerzeitviertel zugeschnitten sind. Die Vorschläge reichen von einem „Klimaboulevard“für besonders breite Straßen bis zur grünen Grätzelstraße. Alle Straßen eint, dass es weniger Autoverkehr gibt. Stattdessen sollen Bänke, Spielplätze und Gärten zum Verweilen unter den Bäumen einladen.
Notwendige Umverteilung
Umgesetzt werden sollen die Projekte nach dem Grundsatz der „Schwammstadt“– der Boden soll also möglichst viel Niederschlag aufnehmen können. Das entlastet nicht nur die Abflüsse, sondern soll zusätzlich kühlen, wenn Wasser nach Regenfällen wieder langsam verdunstet. Möglich wären auch unterirdische Auffangbecken für Regenwasser von Hausdächern, damit die Straßenpflanzen auch längere Hitzewellen ohne Bewässerung überleben.
„Das alles wird nicht gelingen, wenn wir den öffentlichen Raum nicht umverteilen“, sagt Mitautor Laurentius Terzic vom Büro Con.sens. Wo umverteilt wird, gibt es klarerweise Widerstand. Doch erfolgreiche Projekte in anderen Städten würden zeigen, dass die Skepsis schwindet, je mehr die Mitsprache die Bürgerinnen und Bürger haben.
Im spanischen Vitoria-Gasteiz war der Konsens für die Mobilitätswende etwa so groß, dass sämtliche Stadtparteien bereits vor der Wahl ihre Unterstützung für die Umgestaltung der Stadt zusicherten. Über Parkplätze sprach im Wahlkampf dann niemand.