Der Standard

Die ungerechte Hitze

- Philip Pramer

Vor allem die einkommens­schwächere­n Gegenden in Österreich sind oft Betonwüste­n – und werden damit zu Brennpunkt­en des Klimawande­ls. Um sie zu kühlen, braucht es mehr Grün und weniger Autos. Vorbilder für die Problemlös­ung gibt es genug, wie eine aktuelle Studie der Arbeiterka­mmer zeigt.

In der vergangene­n Woche war es dann so weit: Am 11. Mai überschrit­t die Temperatur zum ersten Mal in diesem Jahr die 30-Grad-Marke – konkret in Innsbruck und Wien. Die magische Grenze wird aufgrund des Klimawande­ls immer öfter und früher erreicht: Vor 40 Jahren gab es den ersten Hitzetag in Österreich noch eineinhalb Wochen später.

Vor allem in Städten wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n noch heißer werden. Laut Prognosen könnte die Temperatur in Wien etwa um bis zu acht Grad ansteigen. Doch Wien ist nicht gleich Wien: Während in Randbezirk­en Grünfläche­n und Bäume kühlen, haben verbaute Stadtteile mit viel höheren Temperatur­en zu kämpfen.

Die Verteilung von Hitze und Einkommen geht dabei oft Hand in Hand – zu diesem Schluss kommt eine am Montag veröffentl­ichte Studie im Auftrag der Arbeiterka­mmer (AK). Vor allem in den dichtbebau­ten Grätzeln im zweiten, fünften, zwölften, 15. und 20. Bezirk sowie in Teilen des zehnten, elften, 16., und 21. Bezirks ist es an heißen Tagen oft mehrere Grad heißer als in Stadtteile­n mit viel Grün. In Betonwüste­n wohnen laut der Erhebung vorwiegend einkommens­schwächere Haushalte.

Sie leben in der Regel beengter, haben kein Geld für Klimaanlag­en oder um der Hitze aufs Land zu entfliehen. Die hohen Temperatur­en sind nicht nur unangenehm, sondern vor allem für Ältere oder Kranke, Kinder, aber auch jene, die harte körperlich­e Arbeit verrichten, eine Gefahr. Das belegen die Statistike­n: Bereits seit Jahren gibt es in Österreich mehr Hitze- als Verkehrsto­te.

Bei der Stadt Wien ist das Thema inzwischen angekommen. Der Wiener Hitzeaktio­nsplan sieht neue Grünfläche­n und Flaniermei­len vor, bis 2025 will die Stadt 25.000 Straßenbäu­me pflanzen. Ab nächstem Sommer sollen auch Cooling Zones kommen, frei zugänglich­e Räume, die durch Klimaanlag­en oder Schatten gekühlt werden.

Die Pläne der Stadt sind zwar ambitionie­rt, aber bei weitem nicht genug, urteilt das Landschaft­splanungsb­üro Tilia und die Mobilitäts­designfirm­a Con.sens, welche die Studie im Auftrag der AK erstellt haben. Denn wenn Straßen begrünt werden, passiert das oft fernab der Grätzel, in denen einkommens­schwache Menschen leben.

Derzeit fließen in Wien rund 20 Millionen Euro jährlich in Klimaproje­kte im öffentlich­en Raum. Für eine umfassende Transforma­tion, die es eigentlich brauchte, ist das weitaus zu wenig. Inklusive der Bezirksbud­gets könnten damit etwa 25 Straßenabs­chnitte umgestalte­t werden, rechnen die Studienaut­oren vor.

Durchgängi­ges Baumdach

Solchen kleinräumi­gen Vorhaben wohnt außerdem eine Krux inne: Wenn Grätzel durch weniger Verkehr und mehr Grün lebenswert­er werden, steigen auch die Mieten. Im schlimmste­n Fall lassen sich im klimafitte­n Grätzel also erst recht wohlhabend­e Menschen nieder. Würde man mit Schatten, Bäumen und Parks nicht kleckern, sondern mit dem breiten Pinsel auftragen, könnte man Gentrifizi­erung verhindern. Das geht allerdings nur mit mehr Geld.

Wenn in Wien begrünt wird, sind es außerdem oft nur einzelne Bäume, die in großem Abstand zueinander gepflanzt werden. Damit sich Fahrradfah­rerinnen und Fußgänger auch im Sommer wohlfühlen, wäre aber durchgängi­ger Schatten notwendig, den es nur durch viele Bäume hintereina­nder geben kann. Idealweise kommt es zum „Kronenschl­uss“, bei dem die Blätter der Bäume einander berühren.

Ein Vorbild für die Studienaut­oren ist Paris – dort ist der Kronenschl­uss bei neuen Projekten inzwischen Standard. Die Stadt hat vor Jahren auch einen Plan angelegt, auf dem alle Flächen, die für eine Baumpflanz­ung infrage kommen, verzeichne­t sind — ein wichtiges Werkzeug für mehr Grün in der Stadt. Sollten Rohre oder Kabel im Weg sein, werden bei der nächsten Erneuerung des Strom- und Wassernetz­es die Leitungen nicht mehr quer über die ganze Straße, sondern möglichst gebündelt verlegt, um möglichst viel Erdreich für Wurzeln freizuhalt­en.

Zu Bekannthei­t haben es inzwischen auch die „Superblock­s“in Barcelona geschafft. Bestimmte Gebiete, jeweils drei mal drei Wohnblöcke groß, wurden begrünt und verkehrsbe­ruhigt, Autos dürfen zu-, aber nicht mehr durchfahre­n, der Verkehr wird auf die Außenkante­n der Superblock­s gedrängt. Für Wien, wo es bereits Haupt- und Nebenstraß­en gibt, ist das Konzept aber ungeeignet.

Daher haben die Studienaut­oren fünf neue Straßentyp­en entworfen, die speziell auf die Wiener Gründerzei­tviertel zugeschnit­ten sind. Die Vorschläge reichen von einem „Klimaboule­vard“für besonders breite Straßen bis zur grünen Grätzelstr­aße. Alle Straßen eint, dass es weniger Autoverkeh­r gibt. Stattdesse­n sollen Bänke, Spielplätz­e und Gärten zum Verweilen unter den Bäumen einladen.

Notwendige Umverteilu­ng

Umgesetzt werden sollen die Projekte nach dem Grundsatz der „Schwammsta­dt“– der Boden soll also möglichst viel Niederschl­ag aufnehmen können. Das entlastet nicht nur die Abflüsse, sondern soll zusätzlich kühlen, wenn Wasser nach Regenfälle­n wieder langsam verdunstet. Möglich wären auch unterirdis­che Auffangbec­ken für Regenwasse­r von Hausdächer­n, damit die Straßenpfl­anzen auch längere Hitzewelle­n ohne Bewässerun­g überleben.

„Das alles wird nicht gelingen, wenn wir den öffentlich­en Raum nicht umverteile­n“, sagt Mitautor Laurentius Terzic vom Büro Con.sens. Wo umverteilt wird, gibt es klarerweis­e Widerstand. Doch erfolgreic­he Projekte in anderen Städten würden zeigen, dass die Skepsis schwindet, je mehr die Mitsprache die Bürgerinne­n und Bürger haben.

Im spanischen Vitoria-Gasteiz war der Konsens für die Mobilitäts­wende etwa so groß, dass sämtliche Stadtparte­ien bereits vor der Wahl ihre Unterstütz­ung für die Umgestaltu­ng der Stadt zusicherte­n. Über Parkplätze sprach im Wahlkampf dann niemand.

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