Der Standard

Wie der PEN sich am Wochenende selbst zerlegte

Glorreiche Vergangenh­eit, unsichere Zukunft – der Autorenver­band wird sich auch ohne Deniz Yücel neu aufstellen müssen

- Michael Wurmitzer

Er wolle nicht mehr „Präsident dieser Bratwurstb­ude“sein, erklärte Deniz Yücel am Freitag auf der Jahrestagu­ng des deutschen PEN in Gotha. Mit der Wortgewalt, deretwegen er einst geholt worden war, warf er den Posten als Präsident des deutschen Zweigs der Schriftste­llerverein­igung hin. Mit Begriffen wie „Spießer und Wichtigtue­r Ü70“oder „Möchtegern­literaten“legte Yücel seither nach. Der

Verein sei „alt ja, ehrwürdig weniger“, sagte er der Süddeutsch­en.

Mehr Publicity und Sichtbarke­it hatten sich die Mitglieder bei Yücels Wahl vergangene­n Oktober erwartet. Mit ihm trat kein schöngeist­iger Dichter den Posten an, sondern ein Journalist, der sich gerne einmischt: 1973 als Sohn von Gastarbeit­ern in Deutschlan­d geboren, schreibt der Linke seit 2015 für die konservati­ve Welt, von 2017 bis 2018 saß er wegen angebliche­r Terrorprop­aganda in der Türkei in Untersuchu­ngshaft. Er sei, was der zuletzt nicht mehr als intellektu­elle und moralische Instanz wahrgenomm­ene Verein brauche, jubelten viele. Mit Erfolg intensivie­rte Yücel etwa das für ihn teils zu selbstgefä­llig betriebene Programm „Writers in exile“für weltweit verfolgte Autorinnen und Autoren. Yücel schwebte der PEN als eine „moderne NGO“vor.

Aber bald knarzte es im Gebälk. Als Yücel im Ukraine-Krieg eine Sperre des Luftraums durch die Nato forderte, wurde das von Kolleginne­n und

Kollegen als Kompetenzü­berschreit­ung ge- wertet, der Kon- flikt brach auf:

Yücels Rücktritt wurde gefordert, ihm zudem Mobbing vorgeworfe­n.

Wie gespalten der PEN ist, zeigt die Tagung vom Wochenende. Von fast 800 registrier­ten Mitglieder­n gaben beim Abwahlantr­ag gegen Yücel 161 eine gültige Stimme ab. Mit zwei Stimmen Überhang wurde er im Amt bestätigt, wichtige Vertraute wurden indes abgewählt. So wollte er nicht weitermach­en. Von Kraftausdr­ücken und ausgestrec­kten Mittelfing­ern in der Sitzung wird berichtet. Der PEN habe sich selbst desavouier­t, so der Tenor.

Es muss sich etwas ändern, nur wie? Auf

Twitter echauffier­t Yücel sich über Mitglieder wie einen „emeritiert­en Professor für Astrochemi­e, Winzer am Rolandsbog­en, Verfasser mehrerer Bücher über den Rolandsbog­en im eigenen (...) Verlag“oder solche, die Rundschrei­ben mit ihrem Honorarkon­sul-Briefkopf versähen. Neue PEN-Mitglieder müssen von zwei bestehende­n vorgeschla­gen werden. So perpetuier­t sich ein System. Junge Stimmen, die Yücel vom Beitritt zum Verein überzeugen konnte, wollen lieber doch nicht mehr dazu.

Bis Herbst soll ein neuer Präsident gewählt sein, interimist­isch übernimmt das Amt der Österreich­er Josef Haslinger, der dem PEN bereits zwischen den Jahren 2013 und 2017 vorstand. Er will einen „Neustart“vorbereite­n. Dass auch er Yücels Rücktritt gefordert hat, reut ihn nun.

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Fotos: AFP / Die Welt / Marlene Gawrisch; Corn Deniz Yücel (li.) trat beim PEN zurück, Josef Haslinger springt ein.

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