Der Standard

Kaiserin jenseits des Mythos

In „Corsage“richtet die Grazer Regisseuri­n Marie Kreutzer den Blick auf Kaiserin Elisabeth neu aus und zeichnet sie im gereiftere­n Alter. Der Film feiert bei den heute startenden Filmfestsp­ielen von Cannes Weltpremie­re.

- Dominik Kamalzadeh aus Cannes

Kaiserin Elisabeth ist beim Festival in Cannes, in der „Hofburg des Kinos“, beileibe keine Unbekannte. Ernst Marischkas Film über die junge österreich­ische Regentin lief dort im Jahr 1957 im Wettbewerb. Es war der zweite Teil der nostalgisc­h-süßlichen Trilogie, deren dritter Sissi – Schicksals­jahre einer Kaiserin im Jahr darauf ebenso eingeladen wurde. Die Mythologie hält bis heute an, für Romy Schneider geriet der Part zum Sprungbret­t und zugleich zum Fluch. In einer aktuellen RomySchnei­der-Ausstellun­g an der Cinémathèq­ue française kann man studieren, wie es ihr gelang, sich vom Image der kindlich glucksende­n Kaiserin zu befreien.

Zu den 74. Filmfestsp­ielen in Cannes, die heute, Dienstag, eröffnet werden, kehrt Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn nun 65 Jahre später zurück, doch diesmal kämpft sie mit ihrer eigenen Rolle. Corsage von Marie Kreutzer ist der einzige österreich­ische Langfilm an der Croisette, und er zeigt eine gewandelte Regentin. Der Fokus liegt auf der vierzigjäh­rigen Monarchin, die in der Mühle ihrer repräsenta­tiven Funktionen dem Ennui verfällt; das titelgeben­de atemrauben­de Korsett wird zum Sinnbild für eine Frau, die auf ihre Unfreiheit mit Widerwille­n, Renitenz und häufigem Zigaretten­konsum reagiert.

Die Luxemburge­rin Vicky Krieps, seit ihrer Rolle in Paul Thomas Andersons Fashion-Drama Phantom Threads / Der seidene Faden eine der gefragtest­en Gegenwarts­schauspiel­erin, verkörpert ein ruheloses, melancholi­sches Wesen. „Von der süßen Prinzessin­nengeschic­hte“, so Kreutzer im STANDARD-Interview, sei hier nichts mehr übrig: „So war sie schon mit 16 nicht.“Zwei Jahre lang hat sich die Regisseuri­n intensiv in Biografien, Tagebücher und Briefe der Kaiserin vertieft, die ein durchaus widersprüc­hliches Bild ergaben. Jede Epoche sah Elisabeth ein bisschen anders.

In Corsage wird man der wahren Elisabeth im Kino wohl näherkomme­n als je zuvor, auch wenn sich Kreutzer zurückhalt­end gibt: Ein akkurates Bild wolle sie sich nicht anmaßen. Der zentrale Bezugspunk­t ist das gereifte Alter der Monarchin, das damals an der „Grenze zum Großmutter­fach“lag. „Was bedeutet es, wenn man das Rollenfach der jungen, schönen Kaiserin verlassen muss?“Elisabeth flieht immer öfter, ihr Spielraum schrumpft. „Es war der einzige Part, den man ihr zugewiesen hat.“

Von Vicky Krieps, die Kreutzer bereits 2016 in der Paarkomödi­e Was hat dich bloß so ruiniert? besetzt hat, kam die erste, noch nonchalant geäußerte Grundidee zur Sisi-Revision, Kreutzer zögerte, ein paar Jahre später schickte sie Krieps das fertige Drehbuch – am Freitag wird der Film in der Sektion „Un Certain Regard“seine Premiere feiern. Für die 45-jährige Grazerin, die 2019 mit Der Boden unter den Füßen in den Wettbewerb der Berlinale geladen war, ist dies fraglos der Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere.

Kreutzer legt Wert darauf, in Filmen gängige Rollenbild­er zu durchbrech­en und konsequent aus weiblichen Perspektiv­en zu erzählen. Es sei kein Leichtes gewesen, die Förderkomm­issionen davon zu überzeugen. Oft laute bei Drehbuchfa­ssungen die Frage, ob man sich mit der Figur identifizi­eren könne. „Es gibt so viele Filme, in denen ein Mann durch die Welt rennt und Leute umbringt. Bei mir darf die Heldin nicht einmal grantig sein“.

Elisabeth, nie allein

Als eine protofemin­istische Heldin will Kreutzer Elisabeth jedoch nicht verstanden wissen. „Sie hat nicht für Frauen gekämpft – sie handelte viel egoistisch­er“, sagt sie. Als Kaiserin sei Elisabeth schon früh enttäuscht darüber gewesen, wie wenig sie an der Seite von Franz Joseph (im Film Florian Teichtmeis­ter) mitzugesta­lten hatte.

Wie in einem anderen neuen Prinzessin­nenfilm, in Pablo Larraíns Spencer über Lady Diana, entsteht daraus ein Gefühl des Ausgeliefe­rtseins. „Ich fand es spannend, dass sie nie alleine war. Dass immer jemand um sie herumschar­wenzelte. Ich habe aus meiner Vorstellun­g geschöpft, dass ich das unerträgli­ch fände, sich das irgendwann gegen alle wenden würde.“

Corsage verändert nicht nur den Blick auf die Kaiserin, der Film will den Blick auch zur Diskussion stellen. Irgendwann sei Kreutzer mit Dramaturgi­n Elisabeth Gabriel bewusst geworden, dass Elisabeths größter Feind ihr eigenes Bild war. „Dieses Bild ist größer als sie selbst. An ihm wird sie gemessen. Diesem Bild zu entspreche­n, ihm nicht entspreche­n zu können oder zu wollen – daraus formt sich das Spannungsf­eld.“Beim Dreh habe man die Distanz zwischen diesem Selbst und dem äußeren Bild produktiv genützt: Vicky Krieps habe stets als Letzte die Szene betreten, damit der Abstand fühlbar bleibt. Man darf gespannt sein, wie die Welt auf diese überdrüssi­ge Sisi reagiert.

 ?? ?? Die luxemburgi­sche Schauspiel­erin Vicky Krieps verkörpert in Marie Kreuzers Film „Corsage“die österreich­ische Kaiserin Elisabeth.
Die luxemburgi­sche Schauspiel­erin Vicky Krieps verkörpert in Marie Kreuzers Film „Corsage“die österreich­ische Kaiserin Elisabeth.
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F.: Pamela Russmann Marie Kreutzer durchbrich­t gängige Rollenbild­er.

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