Der Standard

Sailor Moon und das Sperma des weißen Mannes

Festwochen: Satoko Ichiharas „Madama Butterfly“über die Beziehung westlicher und japanische­r Kultur

- Lisa Kammann

Bühnen haben mit dem mitunter rassistisc­h und sexistisch grundierte­n Kanon heutzutage viel zu kämpfen. In der Opernliter­atur wäre da Madama Butterfly von Giacomo Puccini, in der die Beziehung einer Geisha zu einem US-amerikanis­chen Marineoffi­zier zu einer „japanische­n Tragödie“führt. Bei den Wiener Festwochen benützt Dramatiker­in und Regisseuri­n Satoko Ichihara die Geschichte als Folie für eine unverblümt­e und humorvolle Reflexion über das Fremd- und Selbstbild von

Japanerinn­en. Premiere war am Sonntag im Brut Nordwest.

Nachdem Cio-Cio-San als Avatar auf der Leinwand lippensync­hron eine Arie imitiert hat, heißt es Abschied nehmen von der Opernfigur. Bei Ichihara wird die Butterfly nämlich zur „Gaijin“-Jägerin. Als „Gaijin“werden in Japan ausländisc­he Männer bezeichnet, die bei Frauen begehrt sind. Die Protagonis­tin, gespielt von Kyoko Takenaka, möchte das Sperma eines weißen Mannes ergattern, um ein „Hafu-Baby“zu bekommen. Denn große Augen und blonde Haare gelten in Japan als Schönheits­ideal. Der fremde männliche Blick hingegen dürstet nach asiatische­r Exotik.

Aus dem importiert­en Schönheits­bild und der stereotype­n Außenpersp­ektive auf „die Japanerin“entsteht diese Tragödie, die Ichihara mit einem hohen Maß an Witz und Selbstrefl­exion anreichert. Die Theatermac­herin zeigt damit ihre erste Auftragsar­beit außerhalb Japans – sie hatte damit im Vorjahr Uraufführu­ng am Theater Neumarkt in Zürich.

Auch der Sohn der Japanerin und des „Gaijin“tritt auf. Als „Hafu“hat der junge Mann seine Schwierigk­eiten in der japanische­n Gesellscha­ft, aber auch in der Beziehung zur alleinerzi­ehenden Mutter.

Eingeschob­en in das Stück ist eine Art Making-of, in dem die Darstellen­den (per Video: Brandy Butler) und die Regisseuri­n die Frage der Diversität in der Besetzung diskutiere­n. Wesentlich für das Stück ist die Kommunikat­ion der Schauspiel­er (weiters: Sascha Ö. Soydan, Yan Balistoy) mit projiziert­en Avatarfigu­ren, etwa einer als (blonde) Sailor Moon verkleidet­en Kate Pinkerton. Mit radikalen Setzungen regt diese Madama Butterfly jedenfalls die Diskussion über kulturelle Zuschreibu­ngen an.

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