Der Standard

Yung Hurn, der Sexismus und die Kunstfigur

Die Wiener Festwochen führen ein altes Problem vor

- Stefan Weiss

Eines ist klar: Ohne Kunstfigur­en, also ohne jene Identitäte­n, die sich Künstlerin­nen und Künstler abseits des zivilen Lebens für ihr Schaffen zulegen, wäre die Popkultur um einiges ärmer. Man stelle sich David Bowie ohne sein Spiel mit wechselnde­n Masken vor. Oder Lady Gaga oder Falco. Schon zu Zeiten von Hans Hölzel wurde darüber diskutiert, ob sich Kunstfigur und Privatpers­on voneinande­r trennen lassen.

Falco selbst blieb da uneindeuti­g, präferiert­e einmal dieses, einmal jenes. Dass das vor allem in der Spätphase der Karriere schlimm außer Form geriet, kann man sich auf Youtube gut in Erinnerung rufen: Peinlich wirkt jener Auftritt in einer deutschen NDR-Talkrunde 1992, wo er eine Kritikerin als „Mausi“und „Schatzi“abqualifiz­ierte und die rhetorisch­e Frage in die Runde warf: „Nehmen wir sie heute?“

Zur Eröffnung der Wiener Festwochen traten nun zwei heimische Acts auf, die künstleris­ch beide von Falco inspiriert sind. Wenn nun die Band Bilderbuch dessen beste Seiten – die Sprachverl­iebtheit, die Weltläufig­keit, die große Geste – darstellte, schien der Rapper Yung Hurn die dunklere Kehrseite zu verkörpern: Machismo, Selbstgefä­lligkeit, die Lust daran, milieubedi­ngte Rückständi­gkeit zur Kunst zu adeln.

Nicht ohne Grund wurde also im Vorfeld und während der Festwochen­eröffnung Kritik laut, Yung Hurn würde mit seinen als sexistisch aufgefasst­en Texten ein an sich auf politische Korrekthei­t bedachtes Festival konterkari­eren. Als Beispiel wurde der Song Ponny genannt, in dem es heißt, eine Sexpartner­in habe „Wichse auf ihrem Gesicht“und reite „wie ein Ponny“. Im Song Rauch wurde die Zeile „Asia-Bitch heißt Ling-Ling“zudem als rassistisc­h kritisiert – alles verständli­che Gründe, Yung Hurn rundherum abzulehnen. Dass der 27-Jährige aus Wien-Donaustadt in früheren Jahren tatsächlic­h musikalisc­h wie inhaltlich Interessan­teres als primitiven Pornosprec­h zu bieten hatte, sei auch erwähnt.

Rap nicht als Einbahnstr­aße

Nicht ohne Grund aber halten Vertreter des Kunstadels wie Daniel Richter, Lars Eidinger oder Festwochen-Eröffnungs­regisseur David Schalko Yung Hurn, der bürgerlich Julian Sellmeiste­r heißt, die Stange: Er wird von seinen Fans (mehrheitli­ch jung, weiblich und gebildet) als ironische Projektion­sfläche verstanden, wo das pubertäre Spiel mit Sex und Drogen stellvertr­etend für das richtige Leben zelebriert werden kann – so zumindest die Theorie.

Den Song Ponny präsentier­te Yung Hurn bei der Eröffnung letztlich in abgemilder­ter Form. Auf Social Media, wo der Rapper als dadaistisc­her Troll und großer Selbstparo­dierer auftritt, ließ er seine Fans hinterher abstimmen, ob er diese „sweet version“veröffentl­ichen solle. 75 Prozent stimmten mit Ja. Wir haben es also mit einer Figur zu tun, für die die Fanansprac­he keine Einbahnstr­aße ist – und mit Fans, die sich sexistisch­en Inhalten nicht unbedingt gedankenlo­s hingeben.

Ob man Yung Hurn wirklich die Festwochen­bühne hätte bereiten sollen, wird ein Streitfall bleiben. Eines ist aber gelungen: Ohne die Ambivalenz, die Yung Hurn bietet, und die Kritik an ihm würde über Sexismus niemand sprechen. Das sollten wir aber.

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