Der Standard

Der Außenseite­r in der Mitte

Österreich muss den Nordländer­n nicht in die Nato folgen. Aber was spricht dagegen?

- Eric Frey

Die Revolution in der europäisch­en Bündnispol­itik findet rund tausend Kilometer nördlich von hier statt. Man kann daher in Österreich ruhig so tun, als hätte die Entscheidu­ng zum Nato-Beitritt der bisher bündnisfre­ien Staaten Finnland und Schweden keinerlei Bedeutung für die eigenen sicherheit­spolitisch­en Debatten. Und tatsächlic­h schaut es nicht danach aus, als ob der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine etwas an der Liebe der Österreich­er zur Neutralitä­t und der Ablehnung einer Nato-Mitgliedsc­haft ändern wird.

Nachdem ÖVP-Chef Karl Nehammer in seiner Partei, die einst mit der Nato geliebäuge­lt hat, keine Debatte zulässt und selbst die Neos lieber über eine EUArmee sprechen, die es noch lange nicht geben wird, ist auch vonseiten der Politik keine Bewegung zu erwarten. Der jüngste Appell aus der Zivilgesel­lschaft findet wenig Widerhall.

Ganz überrasche­nd ist das nicht. Anders als Finnland teilt Österreich keine Landgrenze mit Russland, anders als Schweden auch keine Konfliktzo­nen auf See. Österreich ist von Nato-Staaten umgeben und daher weit weg von jeder konvention­ellen Bedrohung. Die Neutralitä­t ist in Österreich noch stärker verankert als die Bündnisfre­iheit in den beiden nordischen Staaten, und dank einer großzügige­n Auslegung ihrer Bestimmung­en kann die Regierung an allen EUInitiati­ven in einem Umfang mitmachen, dass es nicht peinlich wird. Wir sind mit der Neutralitä­t gut gefahren, warum also etwas ändern? A llerdings: Durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens findet sich Österreich in einer Krisenzeit als sicherheit­spolitisch­er Außenseite­r in Europa wieder. Auch Irland ist neutral, dank seiner geografisc­hen Randlage von den neuen Bedrohunge­n jedoch kaum betroffen. In der Schweiz ist die Neutralitä­t mit einer sehr hohen Wehrbereit­schaft und noch höheren Rüstungsau­sgaben abgesicher­t.

Österreich hingegen steckt kaum Geld in die Verteidigu­ng und verlässt sich daher implizit auf den Schutz jenes Bündnisses, zu dem es nicht gehören will. Zwar pflegt das Bundesheer einen intensiven Austausch mit der Nato, dennoch bildet das Land ein schwarzes Loch inmitten des Kontinents — als Heimat der militärisc­hen Trittbrett­fahrer.

Wer als Staat einen Sonderweg geht, braucht dafür gute Argumente. Die sind derzeit allerdings schwer zu finden.

Weder zwingt die Nato ihre Mitglieder zu militärisc­hen Abenteuern, noch müsste das Verteidigu­ngsbudget deutlich stärker steigen, als die Bundesregi­erung es ohnehin plant. Und innerhalb eines Bündnisses können solche Ausgaben viel effiziente­r eingesetzt werden. Auch die Wiener Initiative­n zum Verbot von Atomwaffen können innerhalb der Nato fortgesetz­t werden. Als internatio­naler Vermittler ist der Nato-Staat Norwegen viel erfolgreic­her als Österreich.

Mangels konkreter militärisc­her Bedrohunge­n kann sich Österreich auch ohne die Beistandsv­erpflichtu­ng im Nato-Artikel 5 relativ sicher fühlen. Aber im Notfall wäre eine solche Klausel mehr wert als jedes Waffensyst­em.

Eine ehrliche, faktenbasi­erte Debatte würde zu dem Schluss führen, dass uns die Neutralitä­t nicht schützt und als Bündnis nur die Nato zur Verfügung steht. Da das allerdings höchst unpopulär ist, wird das Thema lieber unter den Teppich gekehrt. Der kurzfristi­ge Schaden einer solchen Vogel-Strauß-Politik ist gering. Aber das macht sie nicht klüger.

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