Der Standard

Die große Macht hinter dem kleinen Bauernstan­d

Ein Minister als Erbpacht und weitverzwe­igter Einfluss: Der Bauernbund gilt als schlagkräf­tigste Teilorgani­sation der ÖVP. Wird eine kleine Gruppe dank starker Lobby über Gebühr bedient?

- Gerald John

Eine PR-Agentur hätte kein besseres Branding erfinden können. Weil Norbert Totschnig zwar auf einem Lienzer Milchbauer­nhof aufgewachs­en ist, aber im coolen Wiener Bezirk Neubau lebt, fand er sich in den Medien in Anlehnung an den laufenden Kinofilm rasch als Bauer und Bobo wieder. Für eine Zunft, die neben bodenständ­ig auch modern sein will, ein Glücksfall.

Den Bauernbund freut noch aus anderen Gründen, dass sein ehemaliger Direktor am Mittwoch mit Corona-bedingter Verspätung zum Landwirtsc­haftsminis­ter angelobt wurde. Vorgängeri­n Elisabeth Köstinger war, obwohl aus demselben Stall, längst nicht mehr auf ungeteilte Gegenliebe gestoßen. Zu viel Fokus auf den Tourismus wurde ihr vorgeworfe­n, ebenso eine mäßig verbindlic­he Art. Der 47-jährige Totschnig soll nun wieder ganz und gar nur den Bäuerinnen und Bauern gehören.

Bei ihrer Erbpacht wünscht die vor hundert Jahren gegründete Standesver­tretung keine Abstriche, dafür ist sie in der Mutterpart­ei zu wichtig. Keine andere Teilorgani­sation der ÖVP biete eine derartige Schlagkraf­t auf, sagt Ex-Nationalra­tspräsiden­t Andreas Khol: „Der Bauernbund ist die einzige Gegenmacht zur sozialdemo­kratisch dominierte­n Gewerkscha­ft. Ohne ihn gäbe es keine ÖVP.“

Als große Stärke der Bauernscha­ft sieht der Parteikenn­er die „geschlosse­ne, überzeugen­de Ideologie“, fügt aber noch den Bildungshu­nger hinzu. Den Hof könne ja nur immer einer übernehmen: „Die anderen gehen zum Studieren an die Boku nach Wien.“

Damit die Bindungen nicht abreißen, hilft der Bauernbund eifrig nach. Dass die Mitgliedsc­haft mit der Geburt verliehen werde, sei eine Mär, sagt Präsident Georg Strasser, doch die meisten kämen schon in jungen Jahren zum Bund. „Wir sind die letzte politische Orhalt ganisation, die Mitgliedsb­eiträge noch persönlich einheben geht“, erläutert der 50-Jährige aus Melk, der für die ÖVP als Landwirtsc­haftssprec­her im Nationalra­t sitzt. Bei der Gelegenhei­t werde in den Familien eben gefragt, ob vielleicht auch der jugendlich­e Nachwuchs beitreten wolle.

Ein andere Rampe legt die eng mit der Bauernscha­ft verbandelt­e Landjugend. Die 90.000 Mitglieder starke Jugendorga­nisation bietet vom Brauchtums­fest übers Gipfelkreu­zaufstelle­n bis zur inoffiziel­len Partnerbör­se allerlei Vergnügung­en – aber auch eine erste Gehschule für Standesver­treter in spe. Wer dem Bund einmal beigetrete­n ist, dem winken – je nach Bundesland – diverse Goodies. Von Einkaufsgu­tscheinen über günstige Handytarif­e bis zu Arbeitsunf­allversich­erungen.

Siege von Brüssel bis zum Dorf

„Auf allen Ebenen stellen wir überdurchs­chnittlich viele Funktionär­e“, freut sich der Präsident, „von Brüssel bis zum kleinen Dorf.“Erst bei der letzten Europawahl haben massenhaft Vorzugssti­mmen gleich zwei Kandidatin­nen ins Europaparl­ament gehievt. Im Nationalra­t wuchs die Zahl der Mandate um vier auf 18, in den Kommunen setzt es ohnehin Seriensieg­e. Von 2093 Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­tern entfallen 70 Prozent auf die ÖVP – und davon stellt die Hälfte der

Bauernbund. „Diese Dichte“, sagt Strasser, „gibt uns größere Stärke, als unser Anteil an der Bevölkerun­g vermuten lässt.“

Worauf der Politiker anspielt: Die 236.000 Mitglieder zählende Lobby vertritt eine seit Jahrzehnte­n schrumpfen­de Klasse. Nur mehr 150.000 Menschen arbeiten laut Statistik Austria in der heimischen Land- und Forstwirts­chaft, das sind 3,5 Prozent der Erwerbstät­igen und 1,7 Prozent der Bevölkerun­g.

Umso unverhältn­ismäßiger werde diese Klientel politisch bedient, argwöhnen Kritiker. Maria Burgstalle­r hat einen eigenen Ordner angelegt, um Begünstigu­ngen für die Bauernscha­ft zu dokumentie­ren. Sie komme mit dem Ergänzen kaum nach, sagt die Arbeiterka­mmerexpert­in: „Ständig gibt’s was Neues.“

Allein für die amtierende Regierung kommt die AK auf eine lange Liste geplanter oder realisiert­er Wohltaten: Um saftige Steuernach­lässe geht es etwa, um günstigere Konditione­n im Pensionssy­stem oder um einen 350 Millionen Euro schweren Fonds, der Waldbesitz­er trotz hoher Holzpreise stützt.

Niemand wolle Bäuerinnen und Bauern per se von Verbesseru­ngen ausschließ­en, sagt die AK-Vertreteri­n, doch Förderunge­n sollten an Kriterien wie gute Arbeitsbed­ingungen, Klimafreun­dlichkeit und moderate Preise geknüpft sein. Stattdesse­n fließe Geld pauschal, egal wie groß ein Betrieb sei: „Bei uns wird

immer ein Bild gezeichnet, als ob es nur kleine Bergbauern gäbe.“

Zu viel Geld also für eine kleine Gruppe? Die „Neiddebatt­e“verkenne eines, hält Olga Voglauer entgegen: „Die 1,7 Prozent erbringen Versorgung­sleistunge­n für 100 Prozent der Bevölkerun­g.“Die Verteidige­rin ist keine Bauernbünd­lerin, sondern Abgeordnet­e der Grünen im Nationalra­t. Als solche mahnt sie beim Verhandlun­gsgegenübe­r mehr Mut beim Kampf gegen die Klimakrise ein, weiß jedoch auch Positives zu berichten. Mit Strasser und Co lasse sich auf Augenhöhe reden. Sie agierten hart, aber nicht hintenrum.

Kein bäuerliche­s Schlaraffe­nland

Fast schon beeindruck­t klingt Voglauer, als sie vom bündlerisc­hen Netzwerk erzählt, wiewohl sie als Kärntner Bäuerin die Perspektiv­e der Außenseite­rin kennt. Wer nicht dabei sei, werde deshalb noch nicht geschnitte­n. Doch zu gewissen Jobs im Umfeld der Landwirtsc­haft, etwa bei Raiffeisen oder der Kammer, stehe die Tür dann eben weniger weit offen.

Wer von Privilegie­n fantasiere, der solle erst die Zahlen studieren, empfiehlt Präsident Strasser: „Wäre die Bauernwelt ein Schlaraffe­nland, würden weder die Einkommen stagnieren noch so viele Betriebe aufgeben.“Außerdem dränge sich der Bauernbund niemandem auf, sondern schöpfe seinen Einfluss aus dem Vertrauen der Bevölkerun­g. „Wir sind eben eine gut geölte Wahlkampfm­aschinerie. Das weiß auch die ÖVP.“

Ob sich ein Parteichef jemals leisten könne, die so selbstbewu­ssten Standesver­treter zu übergehen? ÖVP-Obleute könnten immer nur dann erfolgreic­h sein, „wenn sie die Ansprüche der Bünde antizipier­en“, sagt Strasser. In der Regel komme der Bauernbund auf die kooperativ­e Tour zum Ziel: „Aber wir können auch auf den Tisch hauen.“

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Foto: Heribert Corn Angelobung in der Hofburg: Mit Norbert Totschnig wurde – natürlich – ein Bauernbünd­ler Landwirtsc­haftsminis­ter.

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