Der Standard

Datenschut­zstrafe auch ohne Schuld?

Das österreich­ische und das europäisch­e Strafrecht sind vom Verschulde­nsprinzip geprägt. Ein Verfahren vor dem EuGH eröffnet die Möglichkei­t, dass es bei Verstößen gegen die DSGVO darauf in Zukunft nicht mehr ankommt.

- Gernot Fritz GERNOT FRITZ ist Rechtsanwa­lt und Counsel bei Freshfield­s Bruckhaus Deringer in Wien.

Nicht jedes rechtswidr­ige Verhalten ist zu bestrafen. Eine Strafe kann nur dann verhängt werden, wenn einer Person das rechtswidr­ige Verhalten auch persönlich zum Vorwurf gemacht werden kann, also wenn die Person zumindest fahrlässig oder sogar vorsätzlic­h handelt. Eine der regelmäßig auftretend­en Kernfragen in Verwaltung­sstrafverf­ahren in Zusammenha­ng mit der Datenschut­zGrundvero­rdnung lautet, ob ein Unternehme­n, das einen Verstoß gegen die DSGVO verursacht hat, diesen auch zumindest fahrlässig verursacht hat.

Einem Unternehme­n sind die Handlungen seiner Geschäftsf­ührung in Ausübung ihrer Führungspo­sition zuzurechne­n. Vorwerfbar­es Verhalten, das zur Bestrafung führen kann, liegt vor, wenn die Geschäftsf­ührung selbst einen DSGVO-Verstoß vorsätzlic­h oder fahrlässig herbeiführ­t sowie wenn DSGVO-Verstöße aufgrund mangelnder Überwachun­g und Kontrolle der Einhaltung datenschut­zrechtlich­er Verpflicht­ungen im Unternehme­n begangen werden.

Die Einrichtun­g eines Datenschut­z-Compliance-Programms, mit dem die Bestimmung­en der DSGVO im Unternehme­n umgesetzt werden und die damit eingericht­eten Prozesse

ENTSCHEIDU­NGEN Anwalt darf sensible Daten von Gegner vorlegen

Wien – Ein Anwalt legte vor Gericht einen Arztbrief vor, der dem Prozessgeg­ner Kokainkons­um bescheinig­te. Wie der Anwalt zu den sensiblen Daten gekommen war, wollte er nicht bekanntgeb­en. Der Betroffene brachte daher eine Datenschut­zbeschwerd­e gegen ihn ein, blieb allerdings erfolglos. Der Rechtsanwa­lt darf sich auf seine Verschwieg­enheitspfl­icht berufen. (DSB 6.12.2021, 2020-0.774.665)

Inkassobür­o muss Daten zu Verkehrsst­rafe löschen

Pisa/Klagenfurt – Ein Kärntner war in Pisa zu schnell mit dem Auto unterwegs. Italien brummte ihm eine Verkehrsst­rafe auf und beauftragt­e ein privates Inkassount­ernehmen mit der Eintreibun­g des Geldes in Österreich. Nach aktueller Rechtslage kommt das aber nicht mehr in Betracht. Das private Inkassobür­o muss die Daten bezüglich der italienisc­hen Verkehrsst­rafe daher löschen. (DSB 11.6.2021, 2021-0.293.288)

und Kontrollme­chanismen die Einhaltung der DSGVO mit gutem Grund erwarten lassen, ist somit unumgängli­ch. Eine ausreichen­de Datenschut­z-Compliance-Organisati­on schließt die Annahme von Verschulde­n aus.

Nun könnte alles anders kommen. Das Kammergeri­cht Berlin hat dem Europäisch­en Gerichtsho­f im Fall Deutsches Wohnen die Frage zur Vorabentsc­heidung vorgelegt, ob Verschulde­n für die Verhängung von DSGVO-Geldbußen relevant sein soll oder nicht. Der Immobilien­konzern soll Mieterdate­n unrechtsmä­ßig gespeicher­t haben.

Kein Nachweis, keine Strafe

Bisher haben die europäisch­en Datenschut­zbehörden – darunter auch die österreich­ische Datenschut­zbehörde – DSGVO-Strafen nur dann verhängt, wenn das Unternehme­n auch schuldhaft, also fahrlässig oder vorsätzlic­h, gegen die DSGVO verstoßen hatte. Das galt insbesonde­re bei unzureiche­nder Datenschut­z-Compliance-Organisati­on.

Nach dem Grundsatz der Unschuldsv­ermutung haben Datenschut­zbehörden genauso wie Strafgeric­hte zum Verschulde­n entspreche­nde Ermittlung­en anzustelle­n. Gelingt der Datenschut­zbehörde ein derartiger Nachweis nicht, so ist das Verfahren nach dem allgemeine­n Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagte­n“einzustell­en.

Damit könnte jetzt Schluss sein. Aus Anlass des Vorabentsc­heidungsve­rfahrens wurden auch in Österreich viele anhängige DSGVOVerwa­ltungsstra­fverfahren bis zur Entscheidu­ng des EuGH unterbroch­en. Die Datenschut­zbehörde wie auch die Gerichte warten ab, wie der EuGH urteilen wird.

Dass diese Frage überhaupt an den EuGH herangetra­gen wurde, verwundert. Die DSGVO geht sehr klar im Einklang mit dem in der EU vorherrsch­enden Verschulde­nsprinzip

von Verschulde­n als Voraussetz­ung für die Verhängung einer DSGVOGeldb­uße aus. Es bedarf schon einiger juristisch­er Verrenkung­en, um der DSGVO eine Abkehr vom Verschulde­nsprinzip zu unterstell­en. Die vom Berliner Gericht im Zuge seiner Vorlage an den EuGH vorgebrach­ten Argumente, die für eine Abweichung vom Verschulde­nsprinzip sprechen sollen, finden weder eine Basis im Normtext, noch kann eine derartige Abweichung dem EU-Gesetzgebe­r unterstell­t werden.

Würde der EuGH bejahen, dass es für die Verhängung einer DSGVOGeldb­uße auf die Vorwerfbar­keit des konkreten Verstoßes nicht mehr ankommen würde, würden Ermittlung­en und Feststellu­ngen zur Schuldfrag­e vor der Datenschut­zbehörde zulasten der Unschuldsv­ermutung nicht mehr benötigt werden. Die Feststellu­ng des DSGVOVerst­oßes würde zur Bestrafung bereits ausreichen. Auf die Frage, ob der DSGVO-Verstoß auch gewollt war oder aufgrund von vorwerfbar­er Nachlässig­keit entstanden ist, würde es nicht mehr ankommen.

Folgen für die Verteidigu­ng

Ob ein Unternehme­n eine ausreichen­de Datenschut­z-Compliance­Organisati­on und entspreche­nde Datenschut­zprozesse eingericht­et hat, wäre dann nur noch für die Höhe der Strafe relevant, nicht aber für die Grundsatzf­rage, ob es überhaupt zu einer Bestrafung kommt. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass auch unverschul­dete DSGVOVerst­öße zu Geldbußen führen können, hat das nicht nur Auswirkung­en auf Datenschut­z-Compliance-Bemühungen von Unternehme­n, sondern auch generell auf die Verteidigu­ngsstrateg­ie in DSGVO-Verfahren.

Zudem würde das bedeuten, dass auch schuldunfä­hige Personen – also Personen, für die ein Erwachsene­nvertreter bestellt wurde, oder Kinder unter 14 Jahren – wegen

Datenschut­zverletzun­gen bestraft werden könnten, obwohl diese das Unrecht ihrer Tat regelmäßig gar nicht einsehen können und es ihnen daher auch gar nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.

Es ist noch nicht absehbar, in welche Richtung der EuGH entscheide­n wird. Unternehme­n sind jedenfalls gut beraten, ihre Datenschut­z-Compliance-Organisati­on und die eingericht­eten Datenschut­z-Prozesse zu überprüfen und identifizi­erte Lücken zeitnah zu schließen.

 ?? ?? Die unrechtmäß­ige Speicherun­g von Mieterdate­n in Deutschlan­d wirft grundlegen­de Rechtsfrag­en auf.
Die unrechtmäß­ige Speicherun­g von Mieterdate­n in Deutschlan­d wirft grundlegen­de Rechtsfrag­en auf.

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